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Naher Osten: Frieden ohne Gerechtigkeit / Middle East: Peace Without Justice

Von Robert Fisk / by Robert Fisk

Im Folgenden dokumentieren wir einen Kommentar des langjährigen Nahost-Korrespondenten des britischen "Independent", Robert Fisk, der auch unseren Lesern kein Unbekannter mehr ist. Der Beitrag ist von Andrea Noll ins Deutsche übersetzt worden.

Frieden ohne Gerechtigkeit

von Robert Fisk

Endlich beenden die Palästinenser ihre Besatzung Israels. Keine palästinensischen Panzer mehr, die in Haifa und Tel Aviv eindringen, keine palästinensischen F-18-Bomber mehr, die bevölkerungsreiche israelische Zentren bombardieren, und die palästinensischen Apache- Helikopter stellen die “gezielte Tötung” (sprich ‘Mord’) hochrangiger israelischer Militärs ein. Die Palästinenser versprechen, alle “Akte der Gewalt” gegen Israelis einzustellen. Israel verspricht, alle “militärischen Aktivitäten” gegen die Palästinenser einzustellen. Das ist es. So sieht Frieden heute aus. Wäre gestern ein Marsmensch (sagen wir mal, ein gebildeter) in der Fantasy-Welt von Sharm el-Sheikh gelandet, die Situation hätte sich ihm so dargestellt. Die Palästinenser üben “Gewalt” aus, die Israelis, führen lediglich unschuldige “Operationen” durch. Die palästinensische “Gewalt” - oder besser “Terror und Gewalt” (Letzteres ist der populärere Ausdruck, da er das Stigma des 11. September trägt) - ginge nun zu Ende. Und Mahmoud Abbas macht alles mit. Abbas - der einem engen libanesischen Freund vor kurzem sagte, er gehe in Anzug und Krawatte, um “anders” auszusehen als Jassir Arafat. Welches Volk hält hier eigentlich die Heimat eines anderen besetzt? Das blieb (gestern) rästelhaft.

Der silberhaarige, weise Mahmoud Abbas hat seine Rolle gut gespielt - will er uns doch vergessen machen, daß er es war, der die Osloer Verträge verfaßt hat. Auf 1000 Seiten kam darin das Wort “Besatzung” nicht einmal vor. Nie war bei ihm von einem “Rückzug” der Israelis von palästinensischem Gebiet die Rede, immer nur von “Umgruppierung”. Das Wort ‘Besatzung’ fiel gestern nicht ein- einzigesmal. Mit dem Wort “Besatzung” verhält es sich übrigens wie mit Sex: wegzensiert aus der historischen Sprache. Und wie üblich - beziehungsweise wie in Oslo - verschob man die eigentlichen Themen auf einen späteren Zeitpunkt: Flüchtlinge, “Rückkehrrecht”, Ost-Jerusalem als mögliche Hauptstadt Palästinas - darüber werden wir später reden. Nie hätten wir sie nötiger gehabt - die scharfe Zunge des inzwischen verstorbenen Edward Said. Die Siedlungen - jüdische Kolonien, exklusiv nur für Juden und auf arabischem Territorium errichtet -, waren gestern selbstverständlich kein Thema, ebensowenig wie Ost-Jerusalem und das “Rückkehrrecht” der 48ger Flüchtlinge. “Unrealistische Träume” nannten das die Israelis gestern. Über all das wird man “später” diskutieren - siehe Abbas hoffnungsloser Oslo-Vertrag. Solange man die wahren Ursachen des Kriegs hintenanstellen kann, solange das gelingt, ist alles okay. “Ende der Gewalt” - einer Gewalt, die 4 000 Menschen das Leben kostete -, damit war gestern alles gesagt, minus der wichtigen Tatsache allerdings, daß es sich zu Zweidritteln um palästinensisches Leben handelte, das verlorenging. Frieden, Frieden, Frieden, das klingt wie Terror, Terror, Terror - wie eine Ware, die man sich im Supermarkt kauft, nur...

Letztendlich geht es um folgende Themen: Werden die Israelis ihre massiven Westbank-Siedlungen abbauen, inklusive der Siedlungen um Jerusalem? Darüber gestern kein einziges Wort. Werden sie den Ausbau jüdischer Siedlungen stoppen - Siedlungen, exklusiv nur für Juden, wie sie überall in der Westbank errichtet wurden? Auch dazu kein Wort am gestrigen Tag. Werden sie es dulden, daß die Palästinenser das arabische Ost-Jerusalem zu ihrer Hauptstadt machen? Auch darüber kein Wort gestern. Werden die Palästinenser aufgrund dieser Null-Versprechungen wohl die “Intifada” beenden - inklusive jener mörderischen Selbstmordbomben?

Mit den israelisch-palästinensischen Gesprächen verhält es sich wie mit den Wahlen im Irak - beides fand unter Fremdbesatzung statt, und beides ist historisch, weil es eben “historisch” ist. US-Außenministerin Condoleezza Rice “warnte” die Palästinenser, sie müßten die “Gewalt kontrollieren”. Umgekehrt wurde an die israelische Armee wie üblich nicht die Bitte gerichtet, ihre Gewalt zu “kontrollieren”. Die conditio sine qua non dieser Gleichung: Die Palästinenser sind schuldig. Die Palästinenser sind die “gewaltätige” Partei. Aus diesem Grund ermahnt man sie, der “Gewalt ein Ende” zu setzen. Die Israelis beenden lediglich “Operationen”. So gewinnt man den Eindruck, die Palästinenser sind per se gewaltätig, während sich die Israelis per se gesetzestreu verhalten - schließlich führen sie ja nur “Operationen” durch. Und bei all dem Nonsens macht Mahmoud Abbas mit.

Die Berichterstattung über die Ereignisse vom gestrigen Tag bringt es deutlich zutage. CNN: Es geht um “ein Ende aller Gewalt”. Heißt das, Besatzung und illegale Kolonisation stellen keine Form der Gewalt dar? AAP (American Associated Press) spricht feige von “Städten, die im Moment weiter unter israelischer Sicherheitskontrolle bleiben” - man könnte auch sagen, unter israelischer Besatzung. Aber das wird den Lesern verschwiegen. Mahmoud Abbas wird zum Hamid Karsai Palästinas, Abbas Krawatte zum Äquivalent der grünen Karsai-Robe. Abbas ist “unser” neuer Mann in Palästina, der “Tsunami”, der alles Arafat-Kontaminierte hinwegwäscht. Condoleezza Rice hat es übrigens geschafft, einen Besuch am Grabe Arafats zu vermeiden. Aber es bleiben Panzerfallen wie: Ost-Jerusalem, die jüdischen Siedlungen und das “Recht auf Rückkehr” der palästinensischen Flüchtlinge von 1948 in die verlorene Heimat. Falls wir also wie die “Friedensstifter” von Sharm el-Sheikh applaudieren, sollten wir uns Folgendes bewußt machen: Ohne eine Lösung - und zwar umgehend - für die großen Unrechtsfragen wird sich die neue “Friedensmission” als ebenso blutig erweisen wie Oslo. Fragen Sie Mahmoud Abbas - den Autor des ersten tödlichen Vertrags.

Independent / ZNet 11.02.2005
Internet: www.zmag.de

Peace Without Justice

by Robert Fisk

So, the Palestinians will end their occupation of Israel. No more will Palestinian tanks smash their way into Haifa and Tel Aviv. No more will Palestinian F-18s bomb Israeli population centres. No more will Palestinian Apache helicopters carry out "targeted killings" - ie: murders - of Israeli military leaders.

The Palestinians have promised to end all "acts of violence" against Israelis while Israel has promised to end all "military activity" against Palestinians. So that's it, then. Peace in our time.

A Martian - even a well-educated Martian - would have gathered that this was the message, supposing he dropped in on the fantasy world of Sharm el-Sheikh yesterday. The Palestinians had been committing "violence", the Israelis carrying out "innocent" operations. Palestinian "violence" or "terror and violence" - the latter a more popular phrase since it carried the stigma of 11 September 2001 - was now at an end. Mahmoud Abbas - who told a close Lebanese friend this year that he wore a suit and tie so that he would look "different" to Yasser Arafat - went along with all this. Just which people were occupying the homes of which other people remained a mystery.

Silver-haired and wisdom-burdened, Mahmoud Abbas looked the part. We had to forget that it was this same Abbas who wrote the Oslo Accords, who in 1,000 pages failed to use - even once - the word "occupation", and who talked not of Israeli "withdrawal" from Palestinian territory, but of "redeployment".

At no point yesterday did anyone mention occupation. Like sex, "occupation" had to be censored out of the historical narrative. As usual - as in Oslo - the real issues were put back to a later date. Refugees, the "right of return", East Jerusalem as a Palestinian capital: let's deal with them later. Never before have we been in such need of the caustic voice of the late Edward Said. Settlements - Jewish colonies for Jews, and Jews only, on Arab land - were not, of course, discussed yesterday. Nor was East Jerusalem. Nor was the "right of return" of 1948 refugees. These are the "unrealistic dreams" that were referred to by the Israelis yesterday.

All this will be discussed "later" - as they were supposed to be in Abbas's hopeless Oslo agreement. As long as you can postpone the real causes of war, that's OK. "An end to violence," that has cost 4,000 deaths - it was all said yesterday, minus the all-important equation that two-thirds of these were Palestinian lives. Peace, peace, peace. It was like terrorism, terrorism, terrorism. It was the sort of stuff you could buy off a supermarket shelf. If only.

At the end of the day the issues were these. Will the Israelis close down their massive settlements in the West Bank, including those which surround Jerusalem? No mention of this yesterday. Will they end the expansion of Jewish settlements - for Jews, and Jews only, across the Palestinian West Bank? No mention of this yesterday. Will they allow the Palestinians to have a capital in Arab East Jerusalem? No mention of this yesterday. Will the Palestinians truly end their "intifada" - including their murderous suicide bombings - as a result of these non-existent promises?

Like the Iraqi elections - which were also held under foreign occupation - the Israeli-Palestinian talks were historic because they were "historic". US Secretary of State, Condoleezza Rice, "warned" Palestinians that they must "control violence" but there was, as usual, no request to "control" the violence of the Israeli army.

Because the sine qua non of the equation was that the Palestinians were guilty. That the Palestinians were the "violent" party - hence the admonition that the Palestinians must end "violence" while the Israelis would merely end "operations". The Palestinians, it seems, are generically violent. The Israelis generically law-abiding; the latter carry out "operations". Mahmoud Abbas went along with this nonsense.

It was all too clear in the reporting of yesterday's events. What was on offer, said CNN, was "an end to all violence" - as if occupation and illegal colonisation was not a form of violence. The American Associated Press news agency talked gutlessly about "towns that, for now, continue to be under Israeli security control" - in other words, under Israeli occupation, although they would not tell their readers this.

So Mahmoud Abbas is going to be the Hamid Karzai of Palestine, his tie the equivalent of Karzai's green gown, "our" new man in Palestine, the "tsunami" that has washed away the contamination of Yasser Arafat, whose grave Condoleezza Rice managed to avoid. But the tank-traps remain: East Jerusalem, Jewish settlements and the "right of return" of 1948 Palestinians to the homes they lost.

If we are going to clap our hands like the Sharm El-Sheikh "peacemakers" yesterday, we'd better realise that unless we are going to resolve these great issues of injustice now, this new act of "peacemaking" will prove to be as bloody as Oslo. Ask Mahmoud Abbas. He was the author of that first fatal agreement.

The Independent; February 11, 2005
www.zmag.org



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