Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Nahost-Friedensprozess - Schlussfolgerungen des Rates / Middle East peace process - Council conclusions

EU verabschiedet Aktionsplan für den Nahen Osten und träumt von entscheidendem Durchbruch - Steinmeier: "Hoffnung keimt auf" - Doukumente (u.a. die "Schlussfolgerungen des Rates - englisch)

Im Folgenden dokumentieren wir

  1. einen Beitrag des deutschen Außenministers Steinmeier über die europäische Nahostpolitik,
  2. die "Schlussfolgerungen" des Rats zur europäischen Nahostpolitik (Middle East peace process - Council conclusions) im Wortlaut (englisch),
  3. eine Stellungnahme aus der Linksfraktion des Bundestages dazu.
Hier geht es zu einem Kommentar von Peter Strutynski.



Ein europäischer Aktionsplan für den Nahen Osten

15.10.2007

Gastkommentar von Bundesaußenminister Steinmeier im Handelsblatt vom 15. Oktober 2007 *

In den letzten Jahren haben wir uns an schlechte Nachrichten aus dem Nahen Osten gewöhnt: Terror und Gewalt, ständig wachsendes Leid der Zivilbevölkerungen, dann der Hamas-Putsch in Gaza, gefolgt von der Ausrufung des Notstandes durch Präsident Abbas.

Und heute? Hoffnung keimt auf, weil der Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinensern wieder in Bewegung gekommen ist. Zum ersten Mal seit sieben Jahren hat sich eine ernsthafte Verhandlungsperspektive eröffnet. Der Premierminister Israels und der palästinensische Präsident stehen in intensiven Gesprächen über die Ausgestaltung einer künftigen Zwei-Staaten-Lösung. Die Arabische Liga nimmt eine konstruktive Haltung zum Gesprächsprozess ein. Die Einladung Präsident Bushs zu einem Nahosttreffen im Herbst bietet den Parteien, aber auch anderen Akteuren einen Focus, an dem sich alle Bemühungen ausrichten können und der für zusätzliche Dynamik sorgt.

Allem – aus Erfahrung wohl begründeten – Pessimismus zum trotz: Es gibt eine reale Chance, die lang ersehnte Verhandlungslösung im israelisch palästinensischen Konflikt zu erreichen. Der Erfolg ist alles andere als garantiert. Experten betonen bekannte Gefahren und Hindernisse. Wir sollten uns von den Schwierigkeiten nicht einschüchtern lassen. Jetzt sind Energie, Einsatz und Konzentration auf das Machbare gefragt. Europa hat dabei eine wichtige Rolle zu übernehmen. Nicht in einem eitlen Wettlauf um mediale Anerkennung, sondern in engster Abstimmung mit den Parteien und den wichtigen Akteuren und als Teil einer möglichst kohärenten Unterstützung der Friedensbemühungen durch die Internationale Gemeinschaft insgesamt.

Aus meiner Sicht stehen für Europa zwei Aufgaben im Vordergrund: Erstens: für den Gesprächsprozess Olmert/Abbas muss ein unterstützendes und förderliches regionales und internationales Umfeld geschaffen werden. Und zweitens: Der Aufbau wirtschaftlicher wie institutioneller Strukturen und des Sicherheitssektors in den palästinensischen Gebieten muss schnell vorangebracht werden.

Für die erste Aufgabe – der politischen Gestaltung und Absicherung des Verhandlungsprozesses – sind die USA von zentraler Bedeutung. Das Engagement der amerikanischen Außenministerin verdient Anerkennung und Unterstützung. Es verdient - und wie ich meine: bedarf - tatkräftiger europäischer Mithilfe. Die EU hat substanzreiche, enge und vertrauensvolle Beziehungen zu den Parteien und den Staaten der Nahostregion, die es in enger Abstimmung mit Washington in diese kritische Phase einbringen kann.

Darüber hinaus sollten wir jedoch schon heute unseren Blick auf den langen und schwierigen Weg richten, der nach einer Nahost-Konferenz vor uns liegt. Hier gewinnt die zweite Aufgabe – Wiederaufbau und Entwicklung – an Bedeutung. Bereiche, in denen die EU über große Expertise und Erfahrung verfügt:

Schon heute sind die EU und ihre Mitgliedstaaten mit über 800 Mio Euro an finanzieller und humanitärer Hilfe 2007 der größte Geber in der Region. Die EU hat nach dem Wahlsieg Hamas’ den Temporary International Mechanism TIM entwickelt. Über ihn floss seit Sommer 2006 über 494 Mio Euro Direkthilfe an Hamas vorbei in die palästinensischen Gebiete. Die damit gewährleistete Versorgung der Bevölkerung mit Elektrizität, Wasser und Energie gab vielen Hunderttausenden wenigstens das zum Überleben Nötigste und bewahrte das palästinensische Gemeinwesen vor dem vollständigen Zusammenbruch. Gleichzeitig leistet die EU mit einer Polizeiaufbau-Mission seit Januar 2006 ihren Beitrag zu Ausbildungs- und Wiederaufbauhilfe für die palästinensische Polizei.

Es ist keine Übertreibung zu behaupten: Ohne die substantielle Hilfe der EU hätten die Kräfte des Friedens und des Ausgleichs in Palästina auf verlorenem Posten gestanden.
Diese Kraft Europas wird in den nächsten Wochen und Monaten noch mehr gebraucht. Um nach einer israelisch-palästinensischen Vereinbarung und der für den Herbst geplanten Nahostkonferenz zügig die nötige stabilisierende Wirkung und Durchschlagkraft herzustellen, muss Europa seinen Unterstützungsbeitrag schon heute klar umreißen.

Meinen EU-Kollegen beim Außenminister-Rat am kommenden Montag werde ich daher vorschlagen, einen „EU-Aktionsplan für den Nahen Osten“ zu erarbeiten. Sein Ziel muss sein, den Verhandlungsprozess zwischen Israel und den Palästinensern zu unterstützen und zu fördern. Folgende Maßnahmen sollten dabei berücksichtigt werden:
  • Wir müssen den Palästinensern helfen, wieder unabhängiger von Entwicklungshilfe zu werden. Dies kann nur über die Stärkung der Eigenkräfte der palästinensischen Privatwirtschaft geschehen. Dazu zählen beispielsweise die gezielte Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen und der Aufbau von Sonderwirtschaftszonen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben bereits einige Ideen entwickelt. Wir sollten sie gezielt ausbauen.
  • Ein moderner und demokratischer Sicherheitsapparat in Palästina kann den berechtigten Schutz der palästinensischen Bevölkerung vor Kriminalität und Banden sicherstellen sowie Israelis vor Selbstmordattentätern und terroristischer Bedrohung schützen. Die EU ist bereits durch die Mission EU-POLCOPPS ein wichtiger Partner beim Aufbau der palästinensischen Polizei. Sie wird noch erheblich mehr Anstrengungen bei Ausbildung und Ausstattung der Polizei, aber auch beim Aufbau eines starken Justizapparats leisten müssen.
  • Eine gut ausgebildete Bevölkerung ist die beste Garantie für Demokratie und wirtschaftlichen Fortschritt. Die Abwanderung junger Führungskräfte muss gestoppt werden. Die EU kann dazu Studierenden und Universitäten Hilfestellungen geben und sollte auch bei der Verbesserung des Schulsystems helfen.
  • Ein neuer Staat Palästina braucht funktionierende und transparente staatliche Institutionen. Die Zeit drängt. Die EU muss daher ihre bereits begonnenen Anstrengungen bei der Reform der staatlichen Strukturen vorantreiben. Hierzu zählt auch der Aufbau demokratischer Parteien.
Stabilität im Nahen Osten ist von zentraler Bedeutung für Europas Sicherheit. Und für uns Deutsche ist und bleibt die Sicherheit und das Wohlergehen Israels ein definierendes Element und zentrales Ziel unserer Außenpolitik. Beides, Sicherheit für Israel und ein lebensfähiges Palästina sind möglich. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir jetzt handeln und unsere ganze politische Energie auf den Erfolg der Nahostkonferenz und die Gestaltung der Zeit danach richten. Wenn wir die Möglichkeiten des Quartetts nutzen und wenn Europäer und Amerikaner weiter Schulter an Schulter arbeiten, so können wir Erfolg haben.

Dieser Beitrag erschien im "Handelsblatt" vom 15. Oktober 2007;
Quelle: Website des Auswärtigen Amtes; www.auswaertiges-amt.de


Middle East peace process - Council conclusions

The Council adopted the following conclusions:
  1. "The Council warmly welcomes the present opportunity for progress on Israel-Palestinian peace. It commends the efforts of Palestinian President Abbas and Israeli Prime Minister Olmert and encourages them to take courageous steps in their political dialogue. This dialogue must achieve concrete results, leading to meaningful final status negotiations and to their shared goal of a two-state solution with the establishment of a independent, democratic and viable Palestinian state living side by side in peace and security with Israel and its other neighbours.
  2. The Council expresses its full support to the upcoming international meeting as set out in the Quartet statement of 23 September 2007. The Council expects this meeting to provide support to the parties in their bilateral discussions and negotiations in order to move forward urgently on a successful path to a Palestinian state in the West Bank and Gaza that will unite all Palestinians. It is a crucial opportunity for regional and international partners to effectively support a comprehensive Middle East Peace Process. It emphasizes the leading role of the Quartet in the preparation of the meeting and the implementation of its conclusions. Broad and constructive involvement by Arab States will be crucial. In this context, the EU supports the action taken forward on the Arab Peace Initiative. The Council invites the EU High Representative in full association with the Commission to examine, and where necessary, re-focus EU activities with a view to developing an EU action plan in order to further support the parties in their ongoing negotiations and the subsequent implementation period.
  3. In order to consolidate the progress achieved so far and to fulfil the potential of the current process, the Council calls upon the parties to desist from any actions that threaten the viability of a comprehensive, just and lasting settlement, in conformity with international law. Progress in negotiations, enhanced cooperation on the ground and building Palestinian institutions should be concurrent and mutually-reinforcing processes and lead to improvements in the day to day life of the Palestinian population. The EU urges the parties to take additional steps to meet previous commitments, including those under the Road Map and the Agreement on Movement and Access.
  4. The Council reiterates its full support to President Abbas and Prime Minister Fayyad. The Council endorses the extension of the Temporary International Mechanism until December 31, 2007 and stands ready to maintain its high levels of economic and humanitarian assistance to the Palestinians and stresses that for this assistance to be effective in promoting economic development, it should accompany a credible political process. The EU reiterates the Quartet’s call upon all countries able to do so to urgently provide financial support to the Palestinian Authority and undertakes to work with partners to facilitate the transition to direct international assistance as soon as possible. The Council underlines the importance of the donors’ meeting in December and welcomes the offer of France to host it.
  5. The Council supports the work of Quartet Representative Tony Blair in developing with the Palestinian Authority government a multi-year agenda to strengthen institutions, help to create a climate of law and order and promote economic development, and looks forward to his next progress report.
  6. The re-engagement and expansion of EUPOL COPPS is an important element in the improvement of security. To this end the Council expects Israel to provide accreditation to the mission without further delay.
  7. The Council reiterates its grave concern at the humanitarian situation in Gaza. It underlines the importance of uninterrupted emergency and humanitarian assistance without obstruction and calls for the continued provision of essential services. The Council reiterates its call on all parties to work urgently for the opening of the crossings in and out of Gaza for both humanitarian reasons and commercial flows. This is essential to ensure the viability of the Palestinian economy and to improve living conditions for the Palestinian people."


Auszug aus: COUNCIL OF THE EUROPEAN UNION: PRESS RELEASE, 2824th Council meeting. General Affairs and External Relations. External relations, Luxembourg, 15-16 October 2007 [13720/07 (Presse 227)], PROVISIONAL VERSION, p. 26-27




Verbindlichkeiten für die Internationale Nahostkonferenz einfordern

Wolfgang Gehrcke, Obmann der LINKEN im Auswärtigen Ausschuss fordert, dass die im November in den USA geplante internationale Nahost-Konferenz einen verbindlichen Prozess zu Endstatusverhandlungen einleiten muss.

"Die Palästinenser haben Kompromissbereitschaft gezeigt. Sie bestehen nicht mehr auf der Vollständigkeit der Grenzziehung auf der von der UNO festgelegten Linie. Nichts Geringeres steht auf dem Spiel als die Frage, wie ein lebensfähiger palästinensischer Staat entstehen und dauerhaft existieren kann, auch als territoriales, ökonomisches, politisches, soziales und kulturelles Gebilde."

Israel müsse sein Spiel auf Zeit beenden. "Wenn Ehud Olmert erklärt, dass das internationale Treffen eher mit einer israelisch-palästinensischen Absichtsdeklaration als mit einem verbindlichen Abkommen über die Prinzipien der Konfliktbeilegung enden werde, stellt er den Sinn der Konferenz insgesamt in Frage."

Die deutsche Diplomatie müsse jetzt ihre guten Beziehungen zu den USA und Israel nutzen, um eine ergebnisorientierte Konferenz einzufordern.

Der außenpolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE, Norman Paech, kritisiert in diesem Zusammenhang, dass der von Außenminister Steinmeier angekündigte „EU-Aktionsplan für den Nahen Osten“ den Anforderungen zur Lösung des Nahost-Konfliktes nicht gerecht wird.

"Die darin enthaltenen Maßnahmen entsprechen in keiner Weise dem, was die Palästinenser derzeit am dringendsten benötigen." So wichtig eine "Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen und der Aufbau von Sonderwirtschaftszonen" oder die Bildung "funktionierender und transparenter staatlicher Institutionen" und "demokratischer Parteien" für jede Gesellschaft auch sei, angesichts der sich zu einer humanitären Katastrophe ausweitenden Abschnürung des Gaza-Streifens und des unvermindert fortschreitenden Landraubs zur Ausweitung der Siedlungen in der Westbank, habe die EU am dringendsten die Israelische Regierung zur Einhaltung der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts zu bewegen.

"Es fehlt der palästinensischen Bevölkerung nicht an Eigeninitiative oder Entwicklungshilfe, sondern an Freiheit der Bewegung, freiem Zugang zum internationalen Markt und Freiheit von den täglichen Überfällen des israelischen Militärs." Für diese verzweifelte Situation der Bevölkerung sei aber auch die EU mitverantwortlich, solange sie diese Politik unterstütze. Die Aufhebung der Blockade des Gaza-Streifens und der militärischen Besatzung der Westbank sichere auch israelische Ortschaften vor den – gleichfalls illegalen und nicht zu rechtfertigenden - Raketen und Selbstmordattentaten der Palästinenser.

Quelle: Website der Fraktion Die LINKE im Bundestag; www.linksfraktion.de


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