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Naher Osten: Nicht Ratlosigkeit, aber Besorgnis und Skepsis

Der Friedensforscher Ernst-Otto Czempiel im Interview

Die Sendung "Morgenecho" des wdr brachte am 3. April ein Gespräch mit dem ehemaligen Leiter der hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung. Die Moderation hatte Holger Beckmann. Wir dokumentieren das Gespräch:


Moderator: Wie kann die Gewalt im Nahen Osten beendet und ein Weg zu Verhandlungen gefunden werden? Herrscht bei Ihnen auch Ratlosigkeit?

Czempiel: Ratlosigkeit würde ich nicht sagen, aber große Besorgnis und große Skepsis, ob es noch gelingen wird.

Moderator: Wie könnte es denn gelingen? Gibt es noch irgend etwas, was an Lösungsmöglichkeiten noch nicht ausgelotet worden ist bisher?

Czempiel: Also man muß ja zunächst mal davon ausgehen, daß jedenfalls die israelische Seite durchaus eine Lösung ins Auge gefaßt hat, und zwar mit Gewalt, nämlich zu versuchen, die Autonomie der Palästinenser wieder rückgängig zu machen, die ganzen Gebiete erneut zu besetzen und zu behalten und dann in diesen Gebieten mit militärischer oder polizeilicher Gewalt für Ordnung und Ruhe sorgen. Ich denke, daß das im Hintergrund von Scharons Politik steht. Und es ist natürlich angesichts der Verzweiflung, die in Israel ja auch herrscht, ganz verständlich, daß solche radikalen Lösungen erwogen werden. Aber sie werden zu nichts führen. Wir wissen, daß erstens die Welt das nicht hinnehmen wird und daß zweitens der Terrorismus dadurch in einer Weise angestachelt wird, daß Israel auch verliert. Insofern also ist die Strategie, die dort in Jerusalem gefahren wird, sicherlich aussichtslos. Aber eine Lösung ist halt auch eine solche, und das muß man auch ins Auge fassen, daß das offenbar probiert wird. Und deswegen sehe ich diese Lage als ... schwierig an (akustisch unverständlich).

Moderator: Aber das ist eben nur die Gewaltlösung. Und im Grunde müßte die Suche nach einer politischen, nach einer friedlichen Lösung weitergehen - oder zumindest der Weg hin zu einer friedlichen Lösung eingeschlagen werden. Aber selbst das, was da international an Bemühungen im Moment stattfindet: Die UNO- Resolution also, die den Rückzug der israelischen Truppen aus den autonomen Gebieten vorsieht, das stößt im Moment auf taube Ohren. Woran liegt das?

Czempiel: Ich denke, es liegt daran, daß die Situation inzwischen sich so eskaliert hat, daß also die Radikalen auf beiden Seiten, der Kampf der Selbstmord-Attentäter gegen die israelischen Panzer, daß der diese beiden Seiten so ineinander verkrallt hat, daß sie von sich aus, von alleine gar nicht mehr imstande sind, einen Ausweg zu suchen. Und deswegen reichen diese Appelle nicht aus. Ich meine, wie die politische Lösung aussehen kann, wissen wir ja, das hat der Mitchell-Plan und das hat der Tenet-Plan in den letzten Jahren erneut wieder dargestellt. Wir wissen, daß es einen palästinensischen Staat geben soll - das hat sogar der amerikanische Präsident Bush gesagt -, das steht sogar in einer UNO-Resolution inzwischen drin. Also wie es aussehen kann, wissen wir. Wir wissen nur nicht, wie man da hinkommen kann. Und ich denke, wir machen im Moment die Erfahrung, daß das, was wir machen, nämlich lediglich gute Ermahnungen abgeben, nicht wahr, die Hände ringen und sagen "Gott ja, wir sind ja so besorgt, und wir fordern euch auf, von der Gewalt zu lassen", das führt überhaupt nicht weiter. Das bedient vielleicht die innenpolitischen Interessen der Politiker, die diese Äußerungen tun, führt aber nicht aus dem Kampf heraus.

Moderator: Aber was würde weiterführen?

Czempiel: Wir haben ja ein Vorbild, und das war das Vorbild, das der Vater Bush, der frühere Präsident Bush, 1991 gegeben hat. Man muß die Konfliktlösung internationalisieren. Man muß die Bearbeitung des Konfliktes den beiden Parteien selber entwinden und einer internationalen Konferenz anvertrauen. In dem Moment hat man eine Chance. So ist Bush 91 verfahren. Die Konferenz in Madrid hat die Kampfhähne sozusagen in einen internationalen Kontext versetzt, der Welt präsentiert. Und da mußten sie sich äußern.

Moderator: Aber wer sollte jetzt an dieser Konferenz teilnehmen, wenn selbst die UNO offensichtlich im Moment keine Stimme mehr hat und auch die Bemühungen der USA vergeblich sind? Wer könnte bei so einer Konferenz die Streithähne jetzt auseinander bringen?

Czempiel: Diese Konferenz selber. 91 hat es Rußland und Amerika gemacht oder Amerika und Rußland. Und wenn Amerika sich dahinter setzt, käme sie auch zustande. Wenn die Europäer wirklich darauf drängen würden, käme sie auch zustande. Wenn der UNO-Sicherheitsrat nicht nur eine Idee äußern, sondern eine Anordnung erteilen würde, käme sie zustande. Das Problem ist, daß im Westen, bei den Vereinigten Staaten und bei den Europäern dieser Entschluß immer noch nicht gefaßt worden ist.

Moderator: Aber entscheidend wären wahrscheinlich auch die Vereinigten Staaten, die da eben vorwärts gehen müßten. Woran meinen Sie, liegt es, daß da so viel Passivität zu beobachten ist im Moment in der Regierung Bush?

Czempiel: Es liegt meines Erachtens daran, daß die Regierung Bush kein Interesse daran hat, eine solche Lösung - - Sie will nach wie vor der Regierung Scharon freie Hand geben und deckt das Vorgehen Scharons ab, indem sie nur auf der rhetorischen und deklaratorischen Seite gute und wohlwollende Äußerungen von sich gibt, aber nichts tut. Wenn sie etwas täte, tun wollte - Musterbeispiel Vater Bush, der hat etwas getan -, würde es auch passieren.

Moderator: Aber das ist doch ein gefährliches Spiel oder nicht? Wenn man sich mal die Situation auch in den arabischen Nachbarstaaten im Nahen Osten ansieht. In Ägypten gibt es Demonstrationen, in Jordanien pro-palästinensische Demonstrationen. Wie lange können die Regierungen dort eigentlich diesen Druck noch aushalten und diesem Druck begegnen?

Czempiel: Also sie sind eigentlich darauf geeicht sozusagen. Sie machen das ja schon seit Jahren. Dieser Druck steigt, das ist ja klar. Er wird noch sehr viel mehr steigen, wenn Amerika den Irak angreift. Und ich schließe das gar nicht aus, daß es Teil des Gesamtplanes ist, der auch in Washington diskutiert wird, daß man zunächst mal das Augenmerk auf den Nahost-Konflikt lenkt und auf diese Weise die Aufmerksamkeit ablenkt davon, daß der Irak ja auch auf der amerikanischen Liste steht. Und Scharon und Bush sind sich in einem Punkte einig: Präferenz der Gewalt. Auch der Irak soll ja - das ist unbestritten in Washington - mit Gewalt dazu gebracht werden, auf die Anfertigung von Massenvernichtungswaffen zu verzichten. Das heißt wir haben hier identische Vorgehensweisen, identische Präferenzen für eine bestimmte Form der Konfliktlösung. Und ich unterstelle mal Washington, daß das der eigentliche Grund ist, warum Washington nichts macht und warum die Europäer nicht mitmachen. Also warum die Europäer nicht stärker drängen, das kann ich mir nun gar nicht erklären, daß sie dazu noch nicht imstande sind - oder daß sie eben auch von Washington und von Jerusalem aus daran gehindert werden oder darauf hin verwiesen werden, daß sie das nicht tun sollen. Das ist eine Katastrophe. Es ist wirklich eine Katastrophe. Und es ist sehr gefährlich, denn wenn der Irak noch dazu kommt, dann, denke ich, bricht wirklich die Stabilität der nahöstlichen Staaten zusammen. Und die Tatsache, daß der Ölpreis kontinuierlich steigt, ist ein Indiz dafür, daß die Wirtschaft jedenfalls antizipiert, daß eine solche entsetzliche Entwicklung vor der Tür steht.

Morgenecho / wdr 5 am 03. 04. 2002


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