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Hillary Clinton im Nahen Osten / Appell: "Israel-Palästina: Dringlichkeit eines new deal"

Französische Intellektuelle und Politiker fordern von Obama eine neue Politik

Im Folgenden dokumentieren wir einen weiteren Artikel über den jüngsten Besuch der neuen US-Außenministerin Hillary Clinton im Nahen Osten (siehe hierzu auch "Clinton fordert Zwei-Staaten-Lösung" sowie einen viel beachteten Appell französischer Intellektueller und Politiker an Barack Obama nach einem Politikwechsel im israelisch-palästinensischen Konflikt (siehe unten: Israel-Palästina: Dringlichkeit eines new deal.


Nichts ist so kühl, wie es scheint

Clinton-Besuch in Israel - neue Politik auf beiden Seiten oder doch nicht?

Oliver Eberhardt, Jerusalem *

Ist dies das Ende des Schmusekurses zwischen Israel und den Vereinigten Staaten? Zu ihrer ersten Nahostreise wurde die neue US-Außenministerin Hillary Clinton mit harten Worten empfangen. Vor allem der designierte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu betonte, es müssten nun neue Wege eingeschlagen werden: Der Friedensprozess, wie er während der Konferenz in Annapolis Ende 2007 eingeleitet worden war, sei tot.

Man könnte meinen, es habe sich nichts geändert: Es sind die gleichen Gesichter unter den teuren Haarschnitten der Coiffeure in Washingtons 16NW-Straße und über den unverkennbaren dunklen Anzügen der Herrenausstatter in der ENW-Straße der US-Hauptstadt, die in diesen Tagen Tee in den Lobbies der Jerusalemer Nobelhotels und Bier an deren Bars trinken. Dabei sagen sie Sachen, die sie auch in den vergangenen acht Jahren stets gesagt haben, wenn die Führungsebene des US-amerikanischen Außenministeriums zu Besuch in Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten war: Beide Seiten müssten sich an die »Straßenkarte zum Frieden« (Roadmap) des Nahostquartetts aus USA, Europäischer Union, Russland und Vereinten Nationen halten; beide Seiten müssten sich auf »schmerzhafte Kompromisse« einlassen. Aber drei Dinge haben sich geändert: Ihre Chefin heißt jetzt nicht mehr Condoleezza Rice, sondern Hillary Clinton. In Israel dürfte in den kommenden Wochen der rechtskonservative Benjamin Netanjahu als Premierminister das Steuerrad übernehmen. Und damit hat sich die Gangart zwischen Israel und den Vereinigten Staaten geändert.

Olmert trifft Clinton

Über das Treffen zwischen dem israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert und US-Außenministerin Hillary Clinton verbreitete die israelische Botschaft in Berlin am 3. März folgende Nachricht:

Israels Ministerpräsident Ehud Olmert hat am Dienstagabend (3. März) die neue US-Außenministerin Hillary Clinton getroffen, die zu einem Antrittsbesuch nach Jerusalem gereist war.

Olmert bemerkte bei dem Treffen u. a.: „Israel kann keinen atomaren Iran tolerieren, und ich habe von Präsident Obama und der Außenministerin gehört, dass sie entschieden gegen einen atomaren Iran sind. Wir werden über Möglichkeiten beraten, mittels derer wir dies gewährleisten können.“

In Bezug auf die politischen Hoffungen Israels betonte Olmert, dass es im Konflikt mit den Palästinensern keine Alternative zu einer Zwei-Staaten-Lösung gebe: „Das ist die einzige Lösung – es besteht kein Zweifel -, und sie spiegelt absolut Israels oberstes strategisches Interesse wider und ebenso das Interesse des palästinensischen Volkes.“

Clinton unterstrich abschließend abermals: „Ich bin sehr dankbar, einmal mehr hier in Israel zu sein, und gelobe nicht nur meine persönliche Verpflichtung, sondern auch die meines Landes, gegenüber dem fundamentalen und unzerreißbaren Band, das uns mit Israels Sicherheit verbindet und gegenüber unseren bleibenden Bindungen der Freundschaft.“



Das ließ sich bereits erkennen, bevor Clinton sich überhaupt auf den Weg zum verschneiten Luftwaffenstützpunkt Andrews gemacht hatte. »Die Clinton« solle sich warm anziehen, erklärte ein Mitarbeiter Netanjahus in einer Jerusalemer Kneipe und deutete konspirativ auf den strömenden Regen, der Jerusalem tagelang in eine südliche Dependance des Polarmeeres verwandelt hatte.

Aber gemeint haben dürfte er damit vor allem dies: Sein Chef - von dem jeder erwartet, dass er im Laufe der kommenden Wochen eine Koalition zusammenzimmert - wird als Premierminister einen neuen Weg einschlagen. Statt einen »umfassenden Frieden« will er einen »ökonomischen Frieden«, der auf wirtschaftlicher Entwicklung in den palästinensischen Autonomiegebieten aufbaut und darauf, dass die Palästinenser im Gegenzug auf Gewalt verzichten. Von Siedlungsräumungen im Westjordanland will Netanjahu derzeit nichts wissen - aus gutem Grund: Um eine Koalition auf die Beine zu stellen, braucht der Mann, der bereits von 1996 bis 1998 das Amt des Regierungschefs innehatte, die Unterstützung mindestens einer rechten Partei. Und welche dies auch immer sein wird: Siedlungsräumungen, eine Aufgabe des arabischen Ostteils Jerusalems und Zugeständnisse in der Flüchtlingsfrage werden mit ihr nicht zu machen sein.

Es sei ein nettes, aber »leicht unterkühltes« Gespräch gewesen, sagten Quellen im Umfeld beider Seiten nach einem ersten Treffen Clintons mit Netanjahu. Zur offenen Konfrontation kam es dann während Clintons Antrittsbesuch in Ramallah am Mittwochnachmittag. Wirtschaftliche Zusammenarbeit sei nicht genug, antwortete Clinton Netanjahu während einer Pressekonferenz mit dem palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas. Der diplomatische Prozess müsse fortgeführt werden; an der »Straßenkarte zum Frieden« führe kein Weg vorbei. Israel müsse sich an die Verpflichtungen halten, die es in der Friedenslandkarte eingegangen sei, den Siedlungsbau einstellen, auf eine Zweistaatenlösung hinarbeiten - ein deutliches Zeichen dafür, dass im Verhältnis zwischen Israel und den USA frostige Zeiten bevorstehen.

Jedenfalls offiziell. Denn nicht nur in Washington ist die Verwaltung des Außenministeriums bislang dieselbe wie die zu Zeiten von Rice. Auch in den schmucklosen Büros Tel Avivs sitzen weiterhin jene Leute in Anzügen von den Stangen der israelischen Kaufhauskette Maschbir, die bereits für Außenminister arbeiteten, an deren Namen sich kaum noch jemand erinnert.

Nach Clintons Besuch in Ramallah versammelten sie sich zur »Happy hour« mit ihren USA-Kollegen in einer Jerusalemer Bar, sprachen von alten Zeiten und wer gerade was mit wem oder alleine macht, und erklärten auf Nachfrage, dass nichts so kühl ist, wie es scheint, so lange die Leute im Hintergrund die gleichen bleiben: »Politiker kommen und gehen, wir bleiben und tun unsere Arbeit, wie wir sie immer getan haben«, sagte einer der Israelis. Und ein Amerikaner fügte hinzu: »Von uns aus können die sich zanken. Viel ändern wird sich trotzdem nicht.«

* Aus: Neues Deutschland, 5. März 2009

D o k u m e n t a t i o n **

Israel-Palästina: Dringlichkeit eines new deal

Die Dramen, die über Gaza hereingebrochen sind, können nicht als eine weitere Episode eines endlosen Krieges, die fatal das folgende Desaster ankündigen, angesehen werden. Die Erfordernis, die dafür Verantwortlichen zu verfolgen, ist notwendig, ebenso eine diplomatische Aktion, um den „Haufen von Schutt und Leichen“, die sich angehäuft haben, ein Ende zu setzen. Doch es drängt sich eine Priorität auf: die Rückkehr zur Politik durch Verhandlungen zwischen antagonistischen Partnern.

Denn es gibt keinerlei militärische Lösung für diese Konfrontation, in der mit dem Finger auf den Nachbarn als permanenter Aggressor gegenüber einem Staat gezeigt wird, der zur „legitimen Verteidigung“ gezwungen sei, wenn sich die aggressive koloniale Logik der Enteignung, des Exils, der Ghettoisierung und der brutalen Unterdrückung darauf bezieht. In keinem Fall wird die Eskalation der Gewalt die Sicherheit und das Lebensrecht sichern, weder der Israelis noch der Palästinenser, die nebeneinander und gemeinsam zu leben haben; im Gegenteil, sie wird nicht aufhören, den Graben zwischen ihnen noch gefährlicher zu vertiefen.

Ein Kompromiss für den – unausweichlichen – Frieden ist möglich, jetzt: Die Hauptsache der Streitigkeiten ist während der gescheiterten Verhandlungen in Taba (2000-2001) geprüft worden, danach bestätigt durch die Logik der arabischen Friedensinitiative (Beirut 2002), während die PLO bereits den Staat Israel anerkannt hatte (Kongress von Algier 1988). Ganz zu schweigen von den „Genfer Vereinbarungen“ (Dezember 2003), die im Gefolge von Taba eine Etappe virtueller praktischer Verhandlungsaktivitäten – leider folgenlos – darstellten, ebenso von den vielen Resolutionen der UNO, die bis zum heutigen Tage tote Texte geblieben sind.

Das Desaster von Gaza macht die Wiederaufnahme eines Friedensplanes durch bindende Verhandlungen zwischen allen betroffenen Seiten noch zwingender: zwischen dem Staat Israel, der palästinensischen Administration und natürlich der Hamas – es sei daran erinnert, sie war der unbestrittene Sieger der palästinensischen Wahlen vom Januar 2006 -, die auszuschließen weder möglich noch realistisch ist. Nur direkte Verhandlungen ohne Vorbedingungen und Tabus werden eine klare Entscheidungen für die Unabhängigkeit der Palästinenser, in welcher Form auch immer, fällen können.

Dass erfordert die Auflösung der Siedlungen, die Abschaffung der Kontrollposten der israelischen Armee in den seit 1967 besetzten Gebieten, den Abriss der so genannten „Sicherheits“-Mauer und Verhandlungen über die Teilung Jerusalems, und schließlich die Anerkennung des Unrechts, dessen Opfer seit 1948 die Palästinenser sind, eine Anerkennung, die die Grundlage der Forderung nach einem „Rückkehrrecht“ bildet, auch wenn die Einzelheiten seiner Durchsetzung noch zwischen den Verhandlungspartnern zu klären sein werden.

Angesichts des Spannungszustandes, der Blockaden und der heutigen Sackgasse ist es dringend notwendig, dass die Entscheidungsträger der internationalen Politik intervenieren, um das gegenwärtigen Geflecht aufzubrechen. Je stärker die Differenzen wiegen, um so mehr verlieren die Palästinenser die Hoffnung und die Chancen der Israelis, auf diesem Boden zu leben, werden zerrüttet. Ein new deal ist notwendig, der allen die Sicherheit garantiert.

Europa muss sich für diese neue Gegebenheit mobilisieren, aber es sind die Vereinigten Staaten, die in erster Linie den Schlüssel der Lösung besitzen: sie sind es, die in den acht Jahren der Bush-Administration ständig und verschärfend die israelischen militärischen Angriffe gebilligt und erlaubt haben, dass diese ungestraft blieben, womit sie die Situation in ein tödliches Chaos gleiten ließen.

Der amerikanischen Administration und dem neuen Präsidenten Barack Obama fällt es in erster Linie zu, im Namen des Rechts Druck auf die Protagonisten auszuüben und sich als unparteiischer Vermittler in einem Verhandlungsprozess zwischen Israel und Palästina zur Verfügung zu stellen. Seine ersten Schritte deuten auf eine gewisse Vernunft hin.

Wir rufen feierlich dazu auf, die unheilvolle politische und diplomatische Linie der Bush-Administration radikal zu ändern und alles zu tun, um eine Rückkehr zum direkten Dialog auf realistischer Grundlage zu ermutigen und zu unterstützen. Der neue amerikanische Kurs muss dem Zusammenleben der Völker dieser Region in Freiheit und Demokratie entsprechen, damit nach so vielen Kriegen und sinnlosen Träumen jeder seine eigene Nation wieder findet. Ein entschiedener new deal kann ein entscheidender Hebel für diese Hoffnungen sein.

Erstunterzeichner:
  • Frédéric Abécassis, maître de conférences
  • Makram Abbès, maître de conférences
  • Valerio Adami, artiste peintre
  • Nadia-Leila Aissaoui, sociologue
  • Sanhadja Akrouf, responsable associative
  • Tewfik Allal, secrétaire général du Manifeste des libertés
  • Fouad Al-Qaisi, professeur d’arabe
  • Jean Baubérot, professeur émérite (EPHE)
  • Souad Belhaddad, journaliste-écrivain
  • Souhayr Belhassen, présidente de la FIDH (Fédération internationale des droits de l’homme)
  • Jalil Bennani, psychanalyste
  • Fethi Benslama, professeur de psychopathologie
  • Raja Benslama, essayiste
  • Sophie Bessis, historienne
  • Hamou Bouakkaz, adjoint au maire de Paris
  • Saïd Bouziri, membre du bureau de la LDH
  • Rony Brauman, ancien président de «Médecins sans frontières»
  • Omar Carlier, historien
  • Jean-Paul Chagnollaud, professeur des universités
  • Abdesselam Cheddadi, historien
  • Alice Cherki, psychanalyste
  • Daniel Cohn-Bendit, député européen
  • Fanny Colonna, directrice de recherche émérite au CNRS
  • Jean Daniel, écrivain
  • Zakya Daoud, journaliste-écrivain
  • Nadir el-Bizri, philosophe
  • Zeyneb Farhat, directrice de théâtre
  • Mohammed-Chérif Ferjani, professeur des universités
  • François Gèze, éditeur
  • Bourhan Ghalioun, professeur des universités
  • Laurent Giovannoni, secrétaire général de la Cimade
  • Bachir Hadjadj, écrivain
  • Mohammed Harbi, historien
  • Ahmed Henni, économiste
  • Stéphane Hessel, ambassadeur de France
  • Abdelhamid Hihi, médecin
  • Mohamed Abdelmottaleb Houni, homme d'affaires
  • Lotfi Madani, sociologue
  • Gustave Massiah, économiste
  • Claude Mawas, directeur de recherche INSERM
  • Mireille Mendès France, présidente de la fondation Frantz-Fanon
  • Gilbert Meynier, professeur émérite (Nancy-II)
  • Edgar Morin, sociologue
  • Hassan Remaoun, historien
  • Elsabeth Roudinesco, historienne
  • Nourrédine Saadi, juriste
  • Christian Salmon, écrivain ex-directeur du Parlement International des écrivains
  • Karim Sarroub, psychanalyste
  • Eric Savarèse, historien
  • Brahim Senouci, maître de conférences
  • Salah Stétié, écrivain
  • Michel Surya, écrivain, directeur de la revue «Lignes»
  • Georges Tarabishi, écrivain
  • Antonio Tabucci, écrivain
  • Khaoula Taleb-Ibrahimi, linguiste
  • Wassyla Tamzali, avocate
  • Nadia Tazi, philosophe
  • Michel Tubiana, président d’honneur de la LDH
  • Jacques Walter, pasteur, ancien responsable du groupe local Cimade-Lyon
  • Francis Wurtz, député européen
** Übersetzung aus dem Französischen


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