Die beste Show / The Best Show in Town
Wie Scharon einen "Außenposten" räumen lässt
Den folgenden Artikel haben wir der Homepage der israelischen Friedensbewegung Gush Shalom entnommen. Die deutsche Übersetzung wurde - wie so oft - von Ellen Rohlfs besorgt. Der deutsche Text erschien auch auf der Internetseite http://www.zmag.de/
Der talentierteste Direktor hätte es nicht besser tun können. Es war
eine perfekte Show. Die Fernsehzuschauer in aller Welt sahen auf ihren
Bildschirmen heldenhafte Soldaten, wie sie mit fanatischen Siedlern
kämpften. In Nahaufnahmen: vor Leidenschaft verzerrte Gesichter, ein
Soldat lag auf einer Tragbahre, eine junge Frau schrie verzweifelt,
Kinder weinten, junge Leute stürmten wütend vorwärts, eine Menge Leute
kämpften miteinander. Es war eine Schlacht, in der es um Leben und Tod
ging. Zweifellos, Ariel Sharon kämpft einen heroischen Kampf gegen die
Siedler, um sein Versprechen zu halten, "nicht genehmigte", sogar
"bewohnte" Siedlungsaußenposten zu entfernen. Der alte Krieger trotzt
wieder - ohne zurückzuschrecken - einem entschlossenen Feind.
Selbstverständlich folgert man in Israel und in aller Welt daraus: wenn
solch eine tumultartige Auseinandersetzung wegen eines winzigen
Außenpostens, der von kaum einem Dutzend Leuten bewohnt ist,
stattfindet, wie kann man dann von Sharon erwarten, dass er neunzig
Außenposten entfernt, wie in der Road Map (Friedens-Fahrplan von Akaba)
versprochen wird. Wenn die Dinge so liegen, wenn es nur um ein paar
Zelte und ein kleines Haus aus Stein geht, wie kann man dann davon
träumen, eine richtige Siedlung zu evakuieren, in der Dutzende,
Hunderte oder gar tausend Familien leben?
Dies muss George Bush und seine Leute sehr beeindruckt haben.
Unglücklicherweise hat mich dies gar nicht beeindruckt - ich musste
lachen. In den letzten Jahren war ich Zeuge von Dutzenden von
Konfrontationen mit Soldaten. Ich weiß, wie diese sich wirklich
abspielen. Die israelische Armee hat in den besetzten Gebieten schon
Tausende von palästinensischen Häusern zerstört. Das geht
folgendermaßen vor sich: früh am Morgen umstellen Hunderte von Soldaten
das Land. Hinter ihnen kommen die Panzer und Bulldozer. Dann beginnt
die Aktion. Wenn die Einwohner aus Verzweiflung Widerstand leisten,
schlagen die Soldaten mit Knüppeln, werfen Tränengasgranaten, schießen
mit Gummi ummantelten Metallkugeln, und wenn der Widerstand noch größer
ist, wird auch scharf geschossen. Alte Leute werden auf den Boden
geworfen, Frauen weggezerrt, junge Leute mit Handschellen gefesselt und
gegen eine Wand gestoßen. Nach ein paar Minuten ist alles vorbei. Gut,
so behandelt man Araber - aber das werden sie doch Juden gegenüber
nicht tun, sagt man. Stimmt nicht. Natürlich tun sie das auch gegenüber
Juden. Das hängt davon ab, wer die Juden sind. Ich z.B. bin Jude. Ich
bin inzwischen fünf mal mit Tränengas angegriffen worden. Einmal war es
ein spezielles Gas - ein paar Augenblicke lang fürchtete ich, wirklich
zu ersticken. Während einer der Blockaden von Ramallah beschlossen wir,
Nahrungsmittel in die belagerte Stadt zu bringen. Wir waren ein paar
tausend israelische Friedensaktivisten, Juden und Araber. Am
A-Ram-Checkpoint, nördlich von Jerusalem, stoppte uns eine Reihe
Polizisten und Soldaten. Beschimpfungen von beiden Seiten wurde laut
und viel Geschrei. Plötzlich wurden wir mit Tränengas überschüttet.
Tausende rannten hustend und würgend in Panik auseinander, einige
wurden überrannt und getreten, einer aus unserer Gruppe, ein 82
jähriger Jude aus einem Kibbuz, wurde verletzt. Ich habe
Demonstrationen miterlebt, in denen auf israelische Bürger - im
allgemeinen Araber - mit Gummigeschossen geschossen wurde. Einmal war
ich in einem Klassenzimmer in Um-al-Fahem in Israel - es war voller
Tränengas.
Wenn die Armee wirklich schnell und wirksam Mitzpe-Yitzhar evakuieren
wollte, hätte sie Tränengas benutzt.. Die ganze Sache wäre in wenigen
Minuten vorbei gewesen. Aber dann hätte es keine dramatischen Bilder im
Fernsehen gegeben, und George W. hätte seinen Freund Arik gefragt: "He,
warum machst du nicht innerhalb einer Woche Schluss mit den
Siedlungen?" In andern Worten: dies war eine gut produzierte Show fürs
Fernsehen. Ein paar Tage vorher trafen sich die Verantwortlichen der
Siedler mit Ariel Sharon. Als sie herauskamen und sich Kameras
gegenüber sahen, stießen sie Drohungen aus, aber wer diese Leute kennt
und in ihre Gesichter auf dem Fernsehschirm schaute, konnte erkennen,
dass keine starken Gefühle dahinter steckten. Natürlich riefen die
"Yesha*-Rabbis", eine Gruppe bärtiger politischer Funktionäre, die
Soldaten auf, den Befehlen nicht zu gehorchen und baten den HERRN und
Messias, ihnen zu Hilfe zu kommen - aber selbst hier fehlte wirkliche
Leidenschaft.
Warum? Weil alle wussten, dass alles mit Zustimmung im voraus geplant
war. Die militärischen Führer und die der Siedler sind seit langem
Kameraden und Partner. Sie saßen zusammen und berieten, was geschehen
solle - und was noch wichtiger ist - was nicht geschehen dürfe: kein
plötzlicher Angriff, keine Bemühung, um Tausende junger Leute daran zu
hindern, vorher den Ort zu erreichen, keine Anwendung von Stöcken,
Tränengas, Gummigeschossen oder anderer Mittel außer den bloßen Händen.
Die Soldaten würden nicht mit Schutzhelmen oder -schilden ausgerüstet
sein. Die Siedler würden schreien und stoßen, würden die Soldaten aber
nicht ernsthaft angreifen. Die ganze Show würde weniger gewalttätig
sein als eine normale Balgerei mit britischen Fußball-Hooligans, würde
aber im Fernsehen wie ein verzweifelter Kampf zwischen titanischen
Kräften aussehen.
Ariel Sharon hat einige Erfahrung mit solcherlei Dingen. Vor etwa 12
Jahren leitete er eine ähnliche Show, als ihm nach dem Friedensvertrag
mit Ägypten vom Ministerpräsidenten Menahem Begin befohlen wurde, die
Stadt Yamit auf der nördlichen Sinaihalbinsel zu evakuieren. Zu jener
Zeit war Sharon Verteidigungsminister. Und wer war wohl einer der
Führer des dramatischen Widerstands? Tsachi Hanegbi, der jetzige
Minister, der für die Polizei verantwortlich ist. Alle Bereiche des
Establishments wirkten in dieser großen Show zusammen. Die Medien
widmeten dieser "Schlacht" viele Stunden. Dutzende Siedler wurden in
die Studios eingeladen und redeten endlos - während, so wie ich es sah,
keine einzige Person, die dem aktiven Friedenslager angehört, ans
Mikrophon gerufen wurde. Sogar die Gerichte taten ihre Pflicht: die
Handvoll Siedler, die wegen gewalttätigen Widerstandes verhaftet
wurden, wurden nach einem oder zwei Tagen Gefängnis wieder nach Hause
entlassen. Die Gerichte, die niemals irgend eine Gnade gegenüber
Arabern zeigen, behandelten die fanatischen Siedler wie verirrte
Söhne.
Die ganze Komödie wäre lustig gewesen, wenn es nicht ein sehr ernstes
Problem beträfe. Solch ein "Außenposten" sieht wie ein harmloser Haufen
von Wohnwagen auf der Kuppe eines gottverlassenen Hügels aus - aber es
ist weit entfernt davon, harmlos zu sein. Es ist ein Symptom für ein
wachsendes Krebsgeschwür. Nicht umsonst rief Sharon - ja derselbe
Sharon - vor ein paar Jahren die Siedler auf, "soviel als möglich der
Hügel von "Judäa und Samaria" zu grapschen". Das Übel entwickelt sich
derart, dass eine Gruppe von Rowdys eine Hügelkuppe, ein paar km von
einer bestehenden Siedlung entfernt, besetzt und dort einen Wohnwagen
hinstellt. Nach einiger Zeit besteht der "Außenposten" aus einigen
Wohnwagen. Ein Generator und ein Wasserturm werden gebracht. Und Frauen
mit Babys erscheinen auf dem Schauplatz. Ein Zaun wird errichtet. Die
Armee sendet einige Militäreinheiten, um sie zu verteidigen. Aus
Sicherheitsgründen, so wird erklärt, sei es Palästinensern nicht
erlaubt, sich zu nähern, um zu verhindern, dass sie spionieren und
einen Angriff vorbereiten. Die Sicherheitszone wird immer größer. Die
Einwohner der benachbarten palästinensischen Dörfer können ihre Obst-
und Olivenhaine und ihre Felder nicht mehr erreichen. Wenn es trotzdem
jemand versucht, ist er in Gefahr, getötet zu werden. Jeder Siedler hat
eine Waffe, und er hat vom Gesetz her nichts zu befürchten, wenn er sie
gegen einen verdächtigen Araber anwendet. Natürlich sind alle Araber
verdächtig. Zufälligerweise habe ich einige Erfahrungen mit Mitzpe
Yitzhak, dem speziellen Außenposten, der in dieser Woche die Show
abgab. Vor einigen Monaten waren wir von den Bewohnern des
palästinensischen Dorfes Habala gerufen worden, um ihnen bei der
Olivenernte nahe dieses Außenpostens behilflich zu sein. Als die
Pflücker in die Nähe des Außenpostens kamen, eröffneten die Siedler das
Feuer. Ein Israeli aus unserer Gruppe wurde verletzt, als eine Kugel
einen Stein vor seinen Füßen traf.
Die "nicht genehmigten" Außenposten waren tatsächlich aber systematisch
errichtet worden - mit Hilfe der Armee und nach deren Plänen. Wenn
mehrere Außenposten in einer Region Wurzeln fassen, werden die
palästinensischen Dörfer dazwischen abgewürgt. Ihr Leben wird zur
Hölle. Die Siedler und die Armee hoffen verständlicherweise, dass die
Dorfbewohner am Ende aufgeben und das Land verlassen.
Will Sharon die Außenposten wirklich zu Dutzenden evakuieren? Das hängt
natürlich von seinem Freund George W. ab. Wenn die
"hudna"(Waffenstillstand) zwischen der Palästinensischen Behörde und
Hamas erreicht wird, mag Bush vielleicht ernsthaften Druck auf Sharon
ausüben. Als ich gestern Yassir Arafat besuchte, schien er vorsichtig
optimistisch. Aber auch er sagte, dass es nur noch vier Monate seien,
um die Dinge in Bewegung zu setzen. Ab November wird der amerikanische
Präsident damit beschäftigt sein, wieder gewählt zu werden. Das
bedeutet, dass Sharon nur noch ein paar Vorstellungen dieser Art im
Fernsehen zu produzieren hat - und dann können er und die Siedler
wieder aufatmen.
*Ye-sha = in der Siedlersprache: Judäa und Samaria
Übersetzt von: Ellen Rohlfs
Orginalartikel: "The Best Show in Town"
Quelle: Gush Shalom / ZNet 21.06.2003
Uri Avnery
The Best Show in Town
The most talented director could not have done better. It was a perfect show.
Television viewers all over the world saw heroic Israeli soldiers on their screens battling the fanatical settlers. Close-ups: faces twisted with passion, a soldier lying on a stretcher, a young woman crying in despair, children weeping, youngsters storming forward in fury, masses of people wrestling with each other. A battle of life and death.
There is no room for doubt: Ariel Sharon is leading a heroic fight against the settlers in order to fulfil his promise to remove "unauthorized" outposts, even "inhabited" ones. The old warrior is again facing a determined enemy without flinching.
The conclusion is self-evident, both in Israel and throughout the world: if such a tumultuous battle takes place for a tiny outpost inhabited by hardly a dozen people, how can one expect Sharon to remove 90 outposts, as promised in the Road Map? If things look like that when he has to remove a handful of tents and one small stone building - how can one even dream of evacuating real settlements, where dozens, hundreds or even thousands of families are living?
This must have impressed George Bush and his people. Unfortunately, it has not impressed me.
It makes me laugh.
In the last few years I have witnessed dozens of confrontation with the army. I know what they really look like.
The Israeli army has already demolished thousands of Palestinian homes in the occupied territories. This is how it goes: early in the morning, hundreds of soldiers surround the land. Behind them come the tanks and bulldozers, and the action starts. When despair drives the inhabitants to resist, the soldiers hit them with sticks, throw tear gas grenades, shoot rubber-coated metal bullets and, if the resistance is stronger, live ammunition, too. Old people are thrown on the ground, women dragged along, young people handcuffed and pushed against the wall. After a few minutes, it's all over.
Well, they'll say, that's done to Arabs. They don't do this to Jews.
Wrong. They certainly do this to Jews. Depends who the Jews are.
I, for example, am a Jew. I have been attacked with tear gas five times so far. Once it was a special gas, and for a few moments I was afraid that I was going to choke to death.
During one of the blockades on Ramallah we decided to bring food to the beleaguered town. We were some three thousand Israeli peace activists, both Jews and Arabs. At the A-Ram checkpoint, north of Jerusalem, a line of policemen and soldiers stopped us. There was an exchange of insults and a lot of shouting. Suddenly we were showered with tear gas canisters. The thousands dispersed in panic, coughing and choking, some were trampled; one of our group, an 82-year old Jew and kibbutznik, was injured.
I have witnessed demonstrations in which rubber-coated bullets were shot at Israeli citizens (generally Arabs). Once I was in the gas-filled rooms of a school at Um-al-Fahem in Israel.
If the army had really wanted to evacuate Mitpe-Yitzhar quickly and efficiently, it would have used tear gas. The whole business would have been over in a few minutes. But then there would not have been dramatic pictures on TV, and George W. would have asked his friend Arik: "Hey, why don't you finish with all the outposts in a week?"
In other words, this was a well-produced show for TV.
A few days before, the leaders of the settlers met with Ariel Sharon. As they left and faced the cameras they uttered dark threats, but anyone who knows these people and looked at their faces on TV could see that there were no strong emotions at work. Of course, the "Yesha rabbis" (Yesha is settlerese for the West Bank), a group of bearded political functionaries, called on the soldiers to disobey orders and requested the LORD and the messiah to come to their help, but even they lacked real passion.
Why? Because all of them knew that everything has been agreed in advance. The army chiefs and the leaders of the settlers, comrades and partners for a long time, sat together and decided what would happen, and, more importantly, what would not happen: no sudden attack, no efforts to prevent thousands of young people from reaching the place well in advance, no use of sticks, water cannon, tear gas, rubber-coated bullets or any other means beyond the use of bare hands. The soldiers would not wear helmets nor be equipped with shields. The settlers would shout and push, but would not hit the soldiers in earnest. The whole show would be less violent then a normal scuffle with British soccer hooligans, but would look on TV like a desperate battle between titanic forces.
Ariel Sharon has some experience with this kind of thing. A dozen years ago he directed a similar show when, following the peace treaty with Egypt, he was ordered by Prime Minister Menahem Begin to evacuate the town of Yamit in the northern Sinai peninsula. At the time, Sharon was Minister of Defense. And who was one of the leaders of the dramatic resistance? Tsachi Hanegbi, now the minister in charge of the police.
All the arms of the establishment cooperated this week in the big show. The media devoted many hours to the "battle". Dozens of settlers were invited to the studios and talked endlessly - while, as far as I saw, not a single person belonging to the active peace camp was called to the microphone.
The courts, too, did their duty: the handful of settlers that were arrested for resisting violently were sent home after spending a day or two in jail. The courts, who never show any mercy when Arabs appear before them, treated the fanatical settlers like erring sons.
The whole comedy would have been funny, if it did not concern a very serious problem. Such an "outpost" looks like a harmless cluster of mobile homes on top of a god-forsaken hill, but it is far from being innocuous. It is a symptom of a cancerous growth. Not for nothing did Ariel Sharon - the very same Sharon - call upon the settlers a few years ago to take control of all the hills of "Judea and Samaria".
The disease develops like this: a group of rowdies occupies a hilltop, some miles from an established settlement, and puts a mobile home there. After some time, the "outpost" already consists of a number of mobile homes. A generator and a water-tower are brought in. Women with babies appear on the scene. A fence is set up. The army sends some units to defend them. They declare that for security reasons, Palestinians are not allowed to come near, in order to prevent them from spying and preparing an attack. The security zone becomes bigger and bigger. The inhabitants of the neighboring Palestinian villages cannot reach some of their orchards and fields any more. It someone tries, he is liable to be shot. Every settler has a weapon, and he has nothing to fear from the law if he uses it against a suspicious Arab. All Arabs are suspicious, of course.
As it so happens, I have some experience with Mitzpe Yitzhak, the particular outpost that figured in this week's show. Some months ago we were called by the inhabitants of the Palestinian village Habala to help them pick their olives in a grove near this "outpost". When the pickers came near to the outpost, the settlers opened fire. An Israeli in our group was wounded when a bullet struck a rock at his feet.
The "unauthorized" outposts were in fact established systematically, with the help of the army and according to its planning. When several outposts take root in a region, the Palestinian villages are choked between them. Their life becomes hell. The settlers and officers clearly hope that in the end they will give up and clear out.
Will Sharon really evacuate them by the dozens? That depends, of course, on his friend George W. If the "hudna" (truce) between the Palestinian Authority and Hamas is achieved, Bush may perhaps exert serious pressure on Sharon. When I visited Yasser Arafat yesterday, he seemed to be cautiously optimistic. But he, too, said that there are no more than four months left for getting things moving: starting from November, the American President will be busy getting himself reelected.
This means that Sharon has only to produce a few more shows of this sort for television, and then he and the settlers will be able to breathe freely once again.
21.6.03
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