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Nahostkonflikt: Die Ereignisse ab Weihnachten 2001

Zusammengestellt aus Agenturmeldungen

25. Dezember 2001

Fünf Mitglieder der radikalen palästinensischen Organisation Islamischer Dschihad und ein Mitglied der Fatah-Organisation sind am 25. Dezember von israelischen Militärs festgenommen worden. Die Aktion wurde gedeckt von mehreren Panzern, die am Morgen die Ortschaft Ortschaft Tammun nördlich von Nablus besetzten. Kurz nach der Aktion zogen die Panzer wieder ab. Nach Angaben der israelischen Armeen hätten in dem Gebiet "Militäroperationen" stattgefunden.

Am frühen Morgen des 25. Dezember war ein israelischer Soldat bei seiner Patrouille im Jordantal an der Grenze zu Jordanien schwer verletzt worden, als Unbekannte auf sein Auto feuerten. Zwei Stunden später wurden im gleichen Grenzabschnitt ein Israeli getötet und zwei weitere verletzt. Ein Sprecher der jordanischen Regierung bestätigte den Vorfall. Nach israelischen Angaben kamen die Schüsse aus Jordanien, was Jordanien jedoch zurückwies.

Bereits am 24. Dezember war ein israelischer Soldat im Westjordanland bei einem Anschlag verletzt worden. Zu dem Anschlag bekannten sich die Al-Aksa-Brigaden, eine militante Splittergruppe der Fatah-Organisation des Palästinenserpräsidenten Jassir Arafat. Dies war der erste schwere Zwischenfall nach mehreren Tagen.

Am 16. Dezember hatte der Palästinenserchef Jassir Arafat alle militanten Organisationen zur Mäßigung aufgerufen. Nachdem die Palästinenserorganisation "Hamas" dieser Aufforderung nachkam und am 22. Dezember zu einem Waffenstillstand bereit erklärt hatte, will jetzt offenbar auch der Islamische Dschihad seine Anschläge gegen Israel einstellen. Alle "militärischen Operationen gegen Israel" würden eingestellt, einschließlich die Selbstmordattentate, erklärte ein hochrangiger Vertreter des Dschihad gegenüber der Nachrichtenagentur AFP. Der Islamische Dschihad wolle mit diesem Schritt die "palästinensische Einheit" wahren. Israel solle jeder "Vorwand" genommen werden, den Druck auf die Autonomiebehörde zu erhöhen.

Jassir Arafat steht weiterhin in Ramallah unter Hausarrest, da ihm Israel vorwirft, nicht genug gegen die terroristischen Gruppen zu tun. Am 25. Dezember hieß es in Israel, dass man den Arrest auch noch so lange aufrecht erhalten werde, bis Arafat die Mörder des israelischen Tourismusministers ausliefere. (Quelle: Netzeitung, 25.12.2001)


26. Dezember 2001

300 israelische Soldaten sind am 26. Dezember in den Ort Assun südwestlich von Nablus (Westjordanland) eingerückt. Sie haben 18 Mitglieder der Fatah-Organisation, darunter zwei Mitarbeiter des palästinensischen Geheimdienstes, verhaftet, berichtete die Nachrichtenagentur Reuters. Die israelische Armee gab keinen Kommentar dazu ab.

Laut einer Umfrage unterstützt die Mehrheit der Palästinenser inzwischen eine friedlichere Politik gegenüber Israel. 60 Prozent der Befragten seien für eine Waffenruhe, 71 Prozent sogar für neue Verhandlungen, teilte das Zentrum für Politik und Meinungsforschung in Ramallah mit. (Quelle: Netzeitung, 26.12.2001)

27. Dezember 2001

Israel stellt seine Angriffe auf palästinensisches Autonomiegebiet nicht ein. Am 27. Dezember hat israelisches Militär in Hebron acht Palästinenser festgenommen. Sie werden von Israel beschuldigt, der Hamas anzugehören und Anschläge vorbereitet zu haben. Israel forderte Arafat auf, die Organisation Hamas zu zerschlagen und ihre Anführer festzunehmen. Die Palästinenser-Regierung protestierte gegen die Übergriffe und forderte USA und die internationale Gemeinschaft auf, das israelische Vorgehen zu stoppen, "bevor es zu spät ist".

Zur gleichen Zeit verlautet aus palästinensischen Sicherheitskreisen, die palästinensische Polizei habe zwei Werkstätten der Hamas im Gaza-Streifen geschlossen. In den Werkstätten seien Granaten hergestellt worden.

Die israelische Regierung bleibt weiterhin unbeeindruckt von der internationalen Kritik. Das Reiseverbot für Arafat wurde bis zum griechisch-orthodoxen Weihnachtsfest am 6. Januar verlängert. Wegen des Verbots konnte Arafat bereits am 24. Dezember nicht an der traditionellen Weihnachtsmesse in Bethlehem teilnehmen.

Verteidigungsminister Benjamin Ben-Elieser ist zum neuen Parteichef der israelischen Arbeitspartei gewählt worden. Ben-Elieser gilt als jemand, der die harte Linie von Ariel Scharon unterstützt. Die Entscheidung für Ben-Elieser, der den Gegenkandidaten, Parlamentspräsident Awraham Burg, aus dem Feld schlug, kann als weiterer Rechtsruck der Partei verstanden werden.

28. Dezember 2001

Der israelische Außenminister Schimon Peres will noch am Wochenende die Verhandlungen mit Vertretern der Palästinenserbehörde wieder aufnehmen. Dies sagte ein Sprecher von Peres am Freitag, den 28. Dezember. "Wir haben Kontakte auf verschiedenen Ebenen, um eine Waffenruhe und die Rückkehr zu Friedensverhandlungen zu erzielen." Peres dürfte aber kaum die Rückendeckung von Ministerpräsident Scharon haben. Der hatte einen Tag zuvor die neuen Pläne von Peres zur Gründung eins Palästinenserstaates als "schädlich" und für ihn "inakzeptabel" bezeichnet.

In der Nacht zum 28. Dezember hob die israelische Regierung auf Anordnung von Verteidigungsminister Ben-Elieser die Blockade der autonomen palästinensischen Stadt Bethlehem auf. Damit solle christlichen Pilgern der Zugang zur Stadt während der orthodoxen Weihnachtsfeiertage (6. und 7. Januar) ermöglicht werden. Dies gelte aber nicht für Palästinenserpräsident Arafat, der weiterhin am Betreten von Bethlehem gehindert wird.

Im Gazastreifen ist ein mutmaßlicher Selbstmordattentäter an der Verübung seiner Tat gehindert und erschossen worden, teilten die israelischen Streitkräfte mit. Der Islamische Dschihad bekannte sich in einem Fax an die Nachrichtenagentur AP zu dem versuchten Anschlag.

29. Dezember 2001

Nach einem offiziellen israelischen Bericht ist die palästinensische Gewalt seit dem Appell Arafats vom 16. Dezember deutlich zurückgegangen. Nach Armeeangaben hat sich die Zahl der täglichen Überfälle von 18 auf 11 verringert. Verteidigungsminister Ben-Elieser lobte die Anstrengungen der Palästinenser und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass, wenn es so weiter ginge, bald der Mitchell-Plan umgesetzt werden könne. - Die israelische Armee machte aber keine Angaben über die Gewaltanwendung von israelischer Seite.

30. Dezember 2001

Am Wochenende (29./30. Dezember) nahm die palästinensische Polizei drei Mitglieder der Organisation Islamischer Dschihad fest. Israel kritisierte Arafat aber weiterhin wegen seines mangelnden Durchgreifens gegenüber gewalttätigen Islamisten. Aus dem Außenministerium hieß es, die Autonomiebehörde beschränke sich darauf, "Abkommen mit den Terrororganisationen zu schließen, statt sie zu zerstören". Bisher habe die palästinensische Polizei erst zehn der 33 Extremisten festgenommen, die auf der Liste der USA stünden.

Am 30. Dezember wurden drei bewaffnete Palästinenser von israelischen Soldaten erschossen. Sie hätten versucht, zu einem israelischen Militärposten vorzudringen.

31. Dezember 2001/1. Januar 2002

Es kommt wieder Bewegung in die israelisch-palästinensischen Beziehungen. Zum Jahreswechsel wurde bekannt, dass der US-Vermittler Anthony Zinni demnächst wieder in den Nahen Osten geschickt wird. Zinni hatte die Region am 16. Dezember wegen der Eskalation der Gewalt verlassen. Er soll nun für die Festigung des Waffenstillstands sorgen und den Boden für die Wiederaufnahme von Verhandlungen bereiten. Die Rückkehr Zinnis war vor allem von der Palästinenserführung gewünscht worden.

Der römisch-katholische Patriarch von Jerusalem, Michael Sabba, demonstrierte unter Begleitung mehrerer hundert ausländischer Demonstranten am Checkpoint von Bethlehem gegen die Absperrung der Palästinensergebiete durch die israelische Armee.

Am 1. Januar erklärte die palästinensische Organisation "Brigaden der El-Aksa Märtyrer", sie werde sich der von Arafat angeordneten Waffenruhe anschließen

Einem Bericht der liberalen israelischen Zeitung "Haaretz" zufolge haben Ägypten und die Palästinenser einen neuen Friedensplan vorbereitet, der zahlreiche Zwischenschritte vorsieht. So ist vorgesehen, dass die vor einem Dreivierteljahr gemachten Vorschläge der Mitchell-Kommission umgesetzt werden und dann mit Friedensverhandlungen begonnen wird. Anschließend sollte Israel weitere Gebiete im Westjordanland räumen und die Palästinenserbehörde sollte international aufgewertet werden, indem sie z.B. in internationalen Gremien den Status eines Vollmitglieds erhält.

In der Nacht zum 1. Januar drang die israelische Armee nahe der Stadt Kabatija bei Dschenin erneut in autonomes palästinensisches Gebiet ein. Sie nahm vier Palästinenser fest, die des Terrorismus verdächtigt werden. Weitere sechs Palästinenser wurden bei anderen Razzien festgenommen.

2.- 5. Januar 2002

Während die palästinensischen Anschläge auf Zivilisten oder israelische militärische Einrichtungen stark nachgelassen haben, setzt Israel seine gezielten Militäraktionen zur Verhaftung mutmaßlicher palästinensischer Terroristen fast täglich fort, wobei Truppenverbände immer wieder in autonome Gebiete eindringen.

Große Hoffnungen setzen die Palästinenser auf den US-Gesandten Anthony Zinni, der am 3. Januar in Israel eingetroffen ist, um seine Vermittlungstätigkeit wieder aufzunehmen. Begleitet war Zinnis Rückkehr in den Nahen Osten von der Kritik Washingtons an der Haltung Scharons. Scharon besteht nach wie vor darauf, dass vor dem Beginn neuer Verhandlungen, eine siebentägige "vollständige Waffenruhe" herrschen müsse. US-Außenamtssprecher Richard Boucher sagte, beide Seiten müssten für ein Ende der Gewalt arbeiten. Immerhin ordnete Scharon den Teilrückzug israelischer Streitkräfte aus dem Wetsjordanland an. So wurden am 3. Januar Stellungen in Dschennin und Ramallah geräumt und die Blockaden von Kalkilija, Tulkarem und Hebron aufgehoben. Allerdings handelt es sich nach Ansicht der Palästinenserbehörde und internationaler Beobachter um eine lediglich symbolische Maßnahme, um gegenüber Zinni einen guten Eindruck zu machen. Israelische Militärfahrzeuge haben sich z.B. in Ramallah nur wenige Meter zurückgezogen. Hier und andernorts kontrollieren israelische Soldaten weiterhin Fahrzeuge und nehmen Palästinenser fest. Die Blockaden im Gazastreifen wurden überhaupt nicht gelockert.

Der US-Sondergesandte Zinni gab am 4. Januar nach getrennten Gesprächen mit Scharon und Arafat bekannt, dass beide Seiten ihre Sicherheitsgespräche wieder aufnehmen würden. Ein erstes Gespräch soll bereits am 6. Januar stattfinden. Zinni tritt für die Umsetzung des Tenet-Plans ein. US-Geheimdienstchef George Tenet hatt im Sommer 2001 einen detaillierten Plan zur Sicherung einer umfassenden Waffenruhe vorgelegt. Der Plan sah vor, dass Israel in einer sechswöchige Phase seine Blockaden und Straßensperren aufgeben müsste und im Gegenzug die palästinensische Autopnomiebehörde militante Extremisten verhaften müsste.

Ungeachtet der Gespräche drang israelisches Militär am 4. Januar in die Ortschaft Tel im palästinensisch verwalteten Westjordanland ein. Drei Hamas-Mitglieder wurden verhaftet, ein Palästinenser bei einem Schusswechsel getötet, gab die israelische Armee bekannt. Arafats Beratzer Nabils Abu Rudeineh verurteilte die Militäraktion als Versuch, die Vermittlungsaktion Zinnis "zum Scheitern zu bringen".

6. - 8. Januar 2002

Die Affäre um das am 3. Januar im Roten Meer von israelischen Sonderkommandos aufgebrachte Schiff mit rund 50 Tonnen Waffen im Wert von mehrreren Millionen Dollar schlägt immer größere Wellen. Während Scharon die Palästinenserbehörde beschuldigt, das Schiff angeheuert zu haben, bestreitet Arafat jede Verwicklung. Mehrere Minister des israelischen Kabinetts forderten am 8. Januar den Abbruch jeglicher Beziehungen zu Arafat. Die Autonomiebehörde kündigte indessen an, die Hintergründe der Waffenlieferung aufklären zu wollen.

Israelische Panzer haben am 8. Januar nach palästinensischen Angaben mehrere Granaten auf das Flüchtlingslager Chan Junis im Gazastreifen abgefeuert. Die Panzer seien rund um die jüdische Siedlung Neve Dekalim aufgezogen, so palästinensische Sicherheitskräfte. Mehrere Gebäude seien beschädigt worden. Über mögliche Opfer gab es zunächst keine Angaben.

9. Januar 2002

Bei einem palästinensischen Attentat auf einen Armeestützpunkt im Süden Israels sind in den Morgenstunden des 9. Januar vier israelische Soldaten und die beiden Attentäter ums Leben gekommen. Israel hat daraufhin angekündigt, innerhalb von 24 Stunden auf den Anschlag zu reagieren. Aus Regierungskreisen in Jerusalem verlautete, in dieser Zeit sei ein Militärschlag in den Palästinensergebieten zu erwarten. Ministerpräsident Ariel Scharon bezeichnete den Anschlag als "sehr ernst". Er mache "die Haltung der Autonomiebehörde" deutlich, sagte Scharon im israelischen Fernsehen. US-Präsident George W. Bush hat den Anschlag palästinensischer Extremisten verurteilt. Das Attentat sei besonders beunruhigend, weil er zu einem Zeitpunkt relativer Ruhe erfolgt sei, so der Sprecher des Weißen Hauses, Ari Fleischer. Er bezeichnete den Überfall als direkten Angriff auf die Autorität von Palästinenserchef Jassir Arafat. Fleischer forderte von Arafat ein entschlossenes Vorgehen gegen die Hintermänner des Anschlags. Zudem müsse die militante Organisation Hamas zerschlagen werden.

10. - 13. Januar 2002

Als "Vergeltung" für den palästinensischen Angriff auf einen israelischen Militärstützpunkt vom 9. Januar zerstörten am 10. Januar israelische Einheiten rund 70 Wohnhäuser im Gazastreifen. Nach Augenzeugenberichten drangen Soldaten mit Panzern und Planierraupen in die Stadt Rafah ein, vertrieben mit Schüssen die Bewohner aus den Häusern und zerstörten die Häuser anschließend. Zu einer weiteren Strafaktion kam es am 11. Januar: Militärbulldozer pflügten die Start- und Landebahn des - einzigen - palästinensischen Flughafens in Gaza um. Der Flughafen war 1998 als Teil des Abkommens von Wye River eröffnet worden. Sein Bau war auch von der Bundesrepublik mit rund 5,1 Mio. EUR unterstützt worden. Die Bundesregierung kündigte an, das israelische Vorgehen intern "mit der erforderlichen Deutlichkeit" zu erörtern. (Am 14. Januar fand Entwicklungshilfeministerin Wiezcorek-Zeul deutliche Worte der Kritik: Israel solle wenigstens keine Objekte zerstören, die mit Hilfe der EU bzw. der Bundesregierung aufgebaut worden seien.") - Eine weitere Vergeltungaktion der Israelis richtete sich gegen palästinensische Schiffe. Bei einem Angriff auf den Hafen von Gaza-Stadt wurden zwei Schiffe und ein Gebäude zerstört. Der Einsatz sei eine Reaktion auf den Waffenschmuggel per Schiff, den die israelische Regierung der palästinensischen Autonomiebehörde und ihrem Chef Arafat anlastet.
Unterdessen sind auch die USA davon überzeugt, dass der von Israel aufgedeckte Waffenschmuggel auf das Konto der Autonomiebehörde geht.

14. - 17. Januar 2002

Die Gewalt im Nahen Osten reißt nicht ab. Am 14. Januar liquidierte die israelische Armee mit einem Bombenattentat den Fatah-Kommandanten Raad Al-Karmi. Die "Vergeltung" folgte auf dem Fuße. Am 15. und 16. Januar starben ein israelischer Mann und eine israelische Siedlerin bei palästinensischen Überfällen im Westjordanland.
Am 14. Januar hat die israelische Armee die Stadt Tulkarem abgesperrt. Außerdem werden die Städte Nablus und Ramallah im Westjordanland seit sechs Wochen abgeriegelt. Israel hat in der Nacht vom 16. auf den 17. Januar zusätzlich die Städte Kalkilia und Dschenin im Westjordanland abgeriegelt. Damit wolle das israelische Sicherheitskabinett einer neuen Eskalation der Gewalt vorbeugen, berichtete der öffentliche israelische Rundfunk am Donnerstag. Zuvor habe die israelische Regierung mehrere Anschlagsdrohungen erhalten. Der israelische Verteidigungsminister Benjamin Ben-Eliezer sagte, Israel sei bereit, sich zu verteidigen. "Wir geben das Recht, unsere Häuser, unsere Kinder und Familien zu verteidigen, nicht auf".

Unterdessen hatten Hamas und Islamischer Dschihad angekündigt, auf weitere Gewalt verzichten zu wollen. Der militärische Flügel der Hamas dagegen hatte weitere Anschläge angekündigt. Die Fatah sei weiter der Arafat ausgerufenen Waffenruhe verpflichtet, hatte der Fatah-Führer für das Westjordanland, Hussein el Scheich, gesagt. Auch ein Hamas-Vertreter in Gaza, Said Sijam, erneuerte das Bekenntnis zum Verzicht auf Selbstmordattentate und Mörserangriffe.
Die israelische Armee hat am Morgen des 17. Januar ein Mitglied der radikalen palästinensischen Al-Aksa-Brigaden erschossen. Soldaten hätten in der Nähe eines Flüchtlingslagers bei Nablus im Westjordanland das Feuer auf den Mann eröffnet, meldet die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf Sicherheitskreise. Bei dem Mann soll es sich nach Angaben der Online-Ausgabe der israelischen Zeitung "Ha'aretz" um den 42-jährigen Khamis Ahmed Ali Abdullah handeln. Er ist ein hochrangiges Mitglied der Al-Aksa-Brigaden.
In der nordisraelischen Stadt Hadera, nahe des Westjordanlands, sind am Abend des 17. Januar bei einem Sprengstoffanschlag eines palästinensischen Selbstmordattentäters sechs Menschen getötet und weitere 30 verletzt worden. Der Attentäter hatte Handgranaten in eine Familienfeier ("Bat Mitzwa" - so etwas wie eine jüdische Konfirmation - eines zwölfjährigen Mädchens) geworfen. Er wurde von Polizisten getötet. Die Al-Aksa-Brigade bekannte sich zu dem Anschlag und erklärte, damit sei der Tod von Raad al Karmi gerächt worden (siehe unsere Chronik vom 14. Januar).

18.-20. Januar 2002

Die israelische Armee reagierte auf den Anschlag vom 17. Januar mit massiven Angriffen auf Einrichtungen der palästinensischen Autonomiebehörde. So wurde am 18. Januar die Vertretung der Verwaltung von Yassir Arafat in der Stadt Tulkarem durch Kampfflugzeuge zerstört. Es gab einen Toten und 40 Verletzte unter den Palästinensern. Panzer und Fallschirmspringer drangen in die Stadt Ramallah ein und umzingelten das Hauptquartier von Arafat. Bei Demonstrationen gegen die Besetzung der Stadt wurden mehrere Palästinenser verletzt. Im Gazastreifen wurde ein Palästinenser getötet von einer israelischen Panzerbesatzung getötet, zwei wurden verletzt.
Am 19. Januar setzte Israel seine Vergeltungsaktionen fort. Die israelische Armee zerstörte das Bürogebäude des palästinensischen Rundfunksenders "Voice of Palestine" im Westjordanland. Unter dem Schutz von Panzern und Planierraupen drangen die Soldaten in das fünfstöckige Gebäude in Ramallah ein. Sie zündeten Sprengsätze und steckten so das Bürogebäude in Brand. Bereits im Dezember hatte die Armee mit Sprengsätzen und Planierraupen einen Sendemast und das Sendegebäude des palästinensischen Rundfunks zerstört. Die Palästinenser sendeten daraufhin über örtliche Frequenzen im Westjordanland und im Gaza-Streifen.

Die Fatah-Organistaion von Palästinenserpräsident Jassir Arafat hat Israel aufgefordert, die militärische Eskalation zu beenden. In einer am 19. Januar in Gaza veröffentlichten Erklärung heißt es, mit der Besetzung von Arafats Hauptquartier habe Israel die letzte Grenze überschritten. Auch die Zerstörung des palästinensischen Funkhauses werde "Konsequenzen" haben, warnte die Fatah. Sie rief ihre Mitglieder und das ganze palästinensische Volk dazu auf, mobil zu machen.

21.-23. Januar 2002

Am 21. Januar besetzte israelisches Militär die Palästinenserstadt Tulkarem und verhängte eine Ausgangssperre. Die Gegenwehr der Palästinenser wurde unterdrückt: Ein Palästinenser kam bei einem Schusswechsel ums Leben, mehrere wurden verletzt. Der Einmarsch wurde vom UN-Sonderbeauftragten für den Nahen Osten, Terje Roed Larsen als "gefährliche Eskalation" kritisiert. Kritik kam auch aus der israelischen Arbeitspartei. Ex-US-Präsident Clinton appellierte an die israelische Regierung sich auf Kompromisse einzustellen.
Am 22. Januar führte Israel in Nablus eine "präventive Maßnahme" durch: Die Armee stürmte ein Haus, in dem sie Hamas-Mitglieder vermutete, die auf israelischen Fahndungslisten stehen, und erschoss vier Palästinenser. Postwendend schoss ein Palästinenser auf einer belebten Straße in Jerusalem in die Menge und verletzte rund 20 Passanten, bevor er selbst getötet wurde. Die Medien berichteten hier zu Lande, Hamas habe einen "totalen Krieg" angekündigt. Die Originalnachricht aus Palästina lautete hingegen: "If they want open war, we will respond in kind." Wie man aus einem "offenen Krieg" einen "totalen Krieg" machen kann, ist schleierhaft.
Die israelische Armee hat am 23. Januar Luftangriffe auf Stellungen der radikalen Hisbollah im Süden Libanons geflogen. Nach Angaben der libanesischen Polizei beschossen Kampfflugzeuge innerhalb einer halben Stunde vier Mal ein Lager nahe der Stadt Kfarschuba. Darüber hinaus griffen israelische Bodentruppen die Hisbollah in einem nahe gelegenen Tal an. Angaben über Tote oder Verletzte gab es zunächst nicht. Die Hisbollah hatte zuvor erstmals seit Monaten israelische Stellungen angegriffen. Nach libanesischen Angaben schossen sie mit Mörsergranaten und Kanonen auf drei Posten der israelischen Armee. Dabei soll aber niemand verletzt worden sein.

Die israelischen Zeitungen berichten von einer Atmosphäre, die "der am Vorabend eines Krieges" gleiche. Gerüchte verdichten sich, wonach der zeitpunkt gekommen sei, sich Arafats zu entledigen und die Palästinensergebiete wieder vollständig zu besetzen.
In der EU wird die Kritik am isrelischen Vorgehen immer lauter. Der amtierende EU-Ratspräsident, Spaniens Außenminister Josep Piqué, plädierte dafür, dem Nahen Osten eine Friedenslösung von außen "aufzuzwingen".

24./25. Januar 2002

Am 24. Januar ist im Libanon der frühere libaniesische Minister Elie Hobeika durch eine Autobombe ermordet worden. Hobeika war früher Chef der berüchtigten Christenmiliz "Forces libanaises" und sollte in Belgien als Zeuge in einem Verfahren aussagen, das dort gegen den israelischen Ministerpräsidenten Scharon anhängig ist. Scharon ist angeklagt, mitverantwortlich für die Massaker in Sabra und Schatila von 1982 zu sein, bei denen zwischen 800 und 1.500 Palästinenser getötet wurden.

Am 24. Januar wurde ein Hamas-Aktivist Opfer eines gezielten israelischen Raketenangriffs; zwei weitere Palästinenser im Gazastreifen wurden von israelischen Soldaten erschossen. Einen Tag darauf wurden 26 Israelis verletzt, als ein Palästinenser einen Selbstmordanschlag in einer Einkaufszone in Tel Aviv verübte.
Als "Vergeltung" für den Anschlag haben israelische Kampfflugzeuge am 25. Januar Gaza und Tulkarem bombardiert. Dabei wurden mindestens 13 Menschen verletzt.

52 Offiziere und Soldaten der israelischen Armee wollen sich künftig nicht mehr "an der Unterdrückung und Besatzung der Palästinenser" beteiligen. In einer am 25. Januar veröffentlichten Erklärung heißt es, sie würden sich in Zukunft weigern, in den Autonomiegebieten zu kämpfen. Die Reservisten fast aller Waffengattungen schreiben, "wir werden weiterhin in der Armee dienen, solange es sich um die Verteidigung des Staates Israel handelt. Wir werden jedoch nicht jenseits der grünen Linie kämpfen, um ein ganzes Volk zu unterdrücken, zu vertreiben, auszuhungern und zu erniedrigen." Nach ihren Angaben verweigern seit dem Beginn der zweiten Intifada im September 2000 etwa 200 israelische Soldaten den Armeedienst. Nur wenige von ihnen seien bisher bestraft worden.

Verschiedene Zeitungen meldeten, dass inzwischen US-Präsident Bush bereit sei Arafat fallen zu lassen. Bush habe Material nach Saudi-Arabien, Ägypten und Jordanien geschickt, das belegen soll, dass Arafats Behörde in die Waffenschmuggel-Affäre um den Frachter Karine-A" verstrickt sei. In Washington werde erwogen, die diplomatischen Beziehungen zur Autonomiebehörde abzubrechen.

26./27. Januar 2002

Am 26. Januar feuerte die israelische Armee vier Raketen auf die Stadt Beit Hanun im Gazastreifen. Im Süden der Region schossen Panzer auf palästinensische Ziele. Laut einem Militärsprecher habe man auf "zwei verdächtige Personen gefeuert".
Bei Ramallah starb ein Palästinenser an einer Straßensperre. Soldaten hatten auf ihn geschossen und anschließend verhindert, dass Ärzte ihn versorgen konnten. Der Mann hätte gerettet werden können. sagte ein palästinensischer Krankenhausvertreter.

In Jeruslaem und Tel Aviv demonstrierten rund 1.000 Menschen gegen die Politik ihres Ministerpräsidenten Ariel Scharon. Sie warfen ihm vor, das Land mit seinem militärischen Kurs in eine "Katastrophe zu führen".

Bei einem neuen Selbstmordanschlag in der Innenstadt von Jerusalem ist am 27. Januar ein Israeli getötet worden. Bis zu 110 Menschen wurden als verletzt gemeldet. Zwei von ihnen befänden sich in Lebensgefahr, berichtete der Sender CNN. Nach Angaben der Polizei war es eine Frau, die sich mit der Ladung in die Luft sprengte. Es war zum ersten Mal, dass eine Frau ein Selbstmord-Attentat verübt.

28. - 31. Januar 2002

Unter dem starken Druck der USA hat die palästinensische Autonomiebehörde am 28. Januar einigen mutmaßlichen Drahtziehern des Waffenschmuggels Konsequenzen angedroht und Haftbefehle erlassen. (Anfang Januar war das Schiff "Karine A" mit einigen Tonnen Waffen an Bord von Israels Marine aufgebracht worden; Israel behauptete, die Waffen wären auf Arafats Befehl hin transportiert worden.)
Israel setzt die "Razzien" gegen mutmaßliche palästinensische Terroristen fort. Am 29. Januar drangen Panzer in das Dorf Yirtas nahe Bethlehem ein und verhafteten drei Palästinenser; dabei wurden sechs Palästinenser verletzt. "Im Gegenzug" beschossen Palästinenser die jüdische Siedlung Gilo in der Nähe Jerusalems.
Am 29. Januar legt der israelische Innenminister Ministerpräsident Scharon einen Plan vor, der einen "Umhüllungsplan" für Jerusalem vorsieht - eine Art Pufferzone mit Zäunen, Gräben und anderen Barrieren entlang der Nahtlinie zum Westjordanland. So sollen auch die umstrittenen Neubaugebiete Gilo und Har Homa mit einem elf Kilometer langen Wall "geschützt" werden.
Anlässlich eines Besuchs bei Ägyptens Staatspräsident Mubarak am 30. Januar in Scharm el Scheich übergab der israelische Verteidigungsminister Benjamin Ben-Elieser eine Nachricht an die syrische Regierung mit dem Angebot, Friedensverhandlungen ohne Vorbedingungen aufzunehmen. (Die 1991 begonnenen Friedensverhandlungen waren im Januar 2000 unterbrochen worden.)
Der Obberste Gerichtshof Israels hat eine Klage eines arabischen Knesseth-Abgeordneten abgewiesen, die gegen die gezielte Tötung palästinensischer mutmaßlicher Terroristen gerichtet war. Das Gericht argumentierte, die Justiz werde sich nicht in militärische Angelegenheiten einmischen.
Am 31. Januar veröffentlichte die israelische Zeitung Maariv ein Interview mit Ministerpräsident Scharon, worin dieser bedauerte, dass Arafat in den 80er Jahren während der Libanon-Besetzung nicht liquidiert wurde. - Im Gazastreifen erschossen israelische Soldaten zwei Palästinenser erschossen, angeblich weil sie zuvor einen Sprengsatz gelegt hätten. - Der UN-Sicherheitsrat zeigte sich "besorgt" über das "Niveau der Gewalt" im Nahen Osten.


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