Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

1. bis 15. Juni 2004

Chronologie der Ereignisse

1. bis 6. Juni
  • Vom Gazastreifen aus sind am 1. Juni zwei Kassam-Raketen auf die israelische Stadt Sderot abgefeuert worden. Eine davon schlug in ein Gebäude in einem Industriegebiet nahe der Schaf-Farm von Ministerpräsident Ariel Scharon ein, wie die israelischen Streitkräfte mitteilten. Verletzt wurde niemand. Scharon hielt sich zum Zeitpunkt des Angriffs nicht auf der Farm bei Sderot, sondern in Jerusalem auf.
  • Eine Mehrheit der Israelis unterstützt den in der Regierung umstrittenen Rückzug aus Gazastreifen. In einer Umfrage der Tageszeitung "Maariv" vom 1. Juni sprachen sich 55 Prozent der Befragten für das Vorhaben des Regierungschefs aus. Scharon verfügt nach der Erhebung über mehr Rückhalt in der Bevölkerung als sein innerparteilicher Widersacher Benjamin Netanjahu, der sich strikt gegen einen Abzug ausgesprochen hat. Netanjahu kam nur auf eine Zustimmung von 32 Prozent.
  • Israelische Soldaten haben bei einem Vorstoß in ein palästinensisches Dorf im nördlichen Westjordanland am 1. Juni einen Palästinenser getötet und sieben weitere verletzt. Der 27-Jährige sei in seinem Haus tödlich von einer Rakete getroffen worden, die ein Kampfhubschrauber abgefeuert habe, teilten palästinensische Sicherheitsbeamte mit. Unter den Verletzten befinde sich auch eine Mutter mit ihrem fünfjährigen Kind. Insgesamt seien mehr als 20 gepanzerte Fahrzeuge unterstützt von zwei Kampfhubschraubern in das Dorf Kabatija eingerückt.
  • Die israelische Armee hat in der Nacht zum 2. Juni das Hauptquartier von Palästinenserpräsident Jassir Arafat in Ramallah im Westjordanland abgeriegelt. Wie palästinensische Sicherheitskräfte mitteilten, blockierte die Armee mit rund 20 Geländefahrzeugen fünf Zugänge zum Hauptquartier. Das Vorgehen löste die Befürchtung aus, Israel bereite einen Angriff auf Arafat vor.
  • Iraelische Truppen haben nach Angaben aus Armeekreisen zwei bewaffnete Palästinenser im Gazastreifen getötet. Soldaten hätten die Extremisten in der Nacht zum 2. Juni nahe der Straße zur jüdischen Siedlung Netzarim entdeckt, hieß es. Die mit einem Raketenwerfer für Panzerabwehrraketen bewaffneten Männer hätten sich der Siedlung genähert. Die Soldaten eröffneten den Angaben zufolge das Feuer und erschossen die Männer. Bei den Toten fanden sie demnach drei Raketen und Automatikwaffen.
  • Gegen zwölf israelische Grenzpolizisten wird wegen Misshandlungen von Palästinensern ermittelt. Drei der Beamten seien bereits angeklagt worden, berichteten israelische Medien am 2. Juni. Die Polizisten sollen Palästinenser geschlagen, ihr Geld gestohlen und sie erniedrigt haben. Zugleich wurde berichtet, erneut sei ein Polizist verurteilt worden, weil er einen Palästinenser erschossen habe, obwohl dieser keine Gefahr gewesen sei. Nach Medienberichten haben neun Beamte Misshandlungen gestanden.
  • Die Bundesregierung will sich nicht zum Stand der Entscheidung über die Lieferung weiterer U-Boote nach Israel äußern. Eine Sprecherin des Wirtschaftsministeriums begründete dies am 2. Juni damit, dass die Regierung das Betriebs- und Geschäftsgeheimnis des betreffenden Unternehmens zu beachten habe. Das gelte auch für die Frage, ob die israelische Marine zwei U-Boote bestellt habe oder nicht.
  • US-Präsident George W. Bush besteht auf dem mit Israel vereinbarten Ablauf einer Räumung jüdischer Siedlungen und Armeeposten im Gazastreifen. Der Sprecher der US-Botschaft in Israel, Paul Patin, sagte am 2. Juni, Bush unterstütze "den Abtrennungsplan, wie er am 14. April vereinbart wurde, und keinen anderen Plan".
  • Israelische Truppen haben in der Nacht zum 3. Juni im Westjordanland 21 Palästinenser festgenommen, darunter zwei ranghohe Mitglieder der Al-Aksa-Brigaden. Nach Angaben der Streitkräfte wurden die beiden in Nablus verhaftet.
    In Rafah im Gazastreifen zerstörten die Soldaten erneut mehrere Häuser. Mindestens 18 Gebäude seien bei dem Militäreinsatz dem Boden gleich gemacht worden, hieß es aus palästinensischen Sicherheitskreisen. Die Truppen waren am 2. Juni in das Lager eingedrungen um nach Tunneln für Waffenschmuggel zu suchen. Nach Militärangaben wurde ein 250 Meter langer Tunnel entdeckt. Außerdem seien einige Häuser zerstört worden, die für Angriffe gegen Soldaten genutzt worden seien. Am frühen Morgen des 3. Juni zogen sich die Truppen wieder aus Rafah zurück.
  • Der israelische Regierungschef Ariel Scharon will offenbar zwei der schärfsten Kritiker seines Plans für einen Rückzug Israels aus dem Gazastreifen aus seinem Kabinett entlassen. Nach einem Bericht des öffentlichen israelischen Rundfunks vom 3. Juni berief Scharon für Freitagmorgen Verkehrsminister Avigdor Lieberman und Tourismusminister Benny Eilon zu Gesprächen in seinen Amtssitz in Jerusalem ein. Dem Bericht zufolge will Scharon die Politiker des rechtskonservativen Bündnisses Nationale Union dort über ihre Entlassung informieren.
  • Eine Ausstellung über Gewalttaten bei Militäreinsätzen gegen Palästinenser hat zu Ermittlungen der israelischen Militärpolizei geführt. Die Berichte in der von früheren Soldaten zusammengestellten Schau "Das Schweigen brechen" sollten geprüft werden, teilte das Armeehauptquartier am 3. Juni in Tel Aviv mit. In der Ausstellung berichten früheren Wehrpflichtige mit Fotos und Zeugenaussagen über Misshandlungen bei Einsätzen in der Stadt Hebron im Westjordanland.
  • Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hat Israel im Umgang mit den Palästinensern Staatsterrorismus vorgeworfen. Die israelische Regierung trage nicht zu einem Frieden bei, sagte Erdogan der israelischen Tageszeitung "Haaretz" weiter. Juden seien über hunderte Jahre Opfer gewesen, so der türkische Regierungschef in dem am 3. Juni veröffentlichten Interview. "Heute sind die Palästinenser die Opfer. Bedauerlicherweise behandeln die Israelis die Palästinenser so, wie sie selbst vor 500 Jahren behandelt wurden", sagte er. Erdogan kritisierte das Töten von Frauen und Kindern bei Luftangriffen und die Zerstörung von Häusern.
  • Im Streit um seinen Gaza-Rückzugsplan hat der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon zwei seiner schärfsten Kritiker aus dem Kabinett entlassen. Bislang fehlte Scharon zur Verabschiedung seines Plans die erforderliche Mehrheit bei der für Sonntag vorgesehenen Abstimmung im Kabinett. Mit der nach 48 Stunden wirksam werdenden Entlassung der Minister der am äußersten rechten Rand stehenden Nationalen Union ändert sich das. Die Minister für Verkehr und Tourismus, Avigdor Lieberman und Benny Eilon, hätten Entlassungschreiben erhalten, nachdem sie einer Einladung bei Scharon nicht Folge leisteten, teilte das Büro des Regierungschefs am 4. Juni mit. Scharon ging mit den Entlassungen das Risiko einer größeren politischen Krise ein. Die Nationalreligiöse Partei, die sich als Sprachrohr der Siedler versteht, könnte sich als Folge der Entlassungen ebenfalls aus der Regierung zurückziehen. Sie leitet die einflussreichen Ministerien für Wohnungsbau sowie für Arbeit und Soziales. Aber auch innerhalb Scharons eigener Likud-Partei gibt es Gegner des Rückzugplans. Von den 23 Ministern standen bislang nur elf auf Scharons Seite, zwölf sprachen sich gegen den Plan zum Abzug aus 21 Siedlungen aus. Scharons innerparteilicher Widersacher Benjamin Netanjahu erklärte, er stimme lediglich der ersten Stufe des Vorhabens zu, wonach zunächst drei Siedlungen im Gazastreifen geräumt werden sollen.
  • Bei einer Razzia der israelischen Armee in Ramallah im Westjordanland ist es am 4. Juni zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Soldaten und Palästinensern gekommen. Nach Krankenhausangaben wurden drei Jugendliche, die die Soldaten mit Steinen beworfen hatten, durch Kautschukkugeln verletzt. Augenzeugen und palästinensische Sicherheitskräfte zufolge kam es zu Schusswechseln. Die israelische Armee sei mit etwa zwölf Fahrzeugen in die Stadt eingerückt, habe eine Ausgangssperre verhängt und Häuser auf der Suche nach Extremisten umstellt. Drei Männer seien festgenommen worden.
  • Der Streit in der israelischen Regierung um den geplanten Rückzug aus dem Gazastreifen hat am 5. Juni eine bizarre Wende genommen. Einen Tag vor der Abstimmung im Kabinett war der von Regierungschef Ariel Scharon entlassene Tourismusminister Benny Elon nicht auffindbar. Da die Entlassung erst 48 Stunden nach einer persönlichen Zustellung wirksam wird, wurde in Jerusalem eine Verschiebung der Abstimmung für möglich gehalten. Der Aufenthaltsort Elons blieb während der jüdischen Sabbat-Ruhe unbekannt. Noch am selben Tag ist der verschwundene Minister in Jerusalem wieder aufgetaucht.
  • Tausende Israelis haben am 5. Juni vor der Residenz von Ministerpräsident Ariel Scharon für einen Rückzug aus dem Gazastreifen demonstriert. Nach Angaben des Militärrundfunks zogen die Demonstranten vom Zionsplatz im Stadtzentrum zur Residenz des Regierungschefs im Stadtviertel Rehavia. Mit ihrem Protestmarsch wollten die Demonstranten ihre Unterstützung für Scharons Rückzugsplan aus dem Gazastreifen zeigen. Vor drei Wochen hatten in Tel Aviv 150.000 Menschen an einer ähnlichen Kundgebung teilgenommen.
  • Das israelische Kabinett hat nach einem Fernsehbericht am 6. Juni einen Kompromiss zum umstrittenen Gaza-Abzugsplan von Regierungschef Ariel Scharon gebilligt. Der Plan sei mit 14 zu sieben Stimmen verabschiedet worden, berichtete das öffentlich-rechtliche israelische Fernsehen. Danach unterstützt das Kabinett den etappenweisen Rückzug aus dem Gazastreifen.
  • Der Chef der palästinensischen Fatah-Bewegung im Westjordanland, Marwan Barghuti, ist am 6. Juni von Israels Justiz wegen mehrfachen Mordes und "Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation" zu einer fünffachen lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt worden. Ein Gericht in Tel Aviv verurteilte den 45-jährigen Intifada-Führer außerdem zusätzlich zu 40 Jahren Sicherheitshaft. Es befand ihn für schuldig, für vier Anschläge mit insgesamt fünf Todesopfer verantwortlich zu sein. Barghuti kündigte nach Verkündung des Urteils an, die Intifada werde fortgesetzt.
  • Israelische Soldaten haben in der Gegend von Ramallah im Westjordanland einen behinderten Palästinenser erschossen. Der im Rollstuhl sitzende Mann sei im Flüchtlingslager Kalandija von Schüssen getroffen worden, sagten Augenzeugen und Sanitäter am 6. Juni. Den Angaben zufolge erlitt der 31-Jährige einen tödlichen Kopfschuss, als Soldaten das Feuer auf Steine werfende palästinensische Jugendliche eröffneten. Der Vater zweier Kinder war 1987 während der ersten Intifada durch Schüsse israelischer Soldaten an der Wirbelsäule verletzt worden und saß seitdem im Rollstuhl.
7. bis 13. Juni
  • Verteidigungsminister Peter Struck hat Israels Premierminister Ariel Scharon zur Grundsatzentscheidung für eine Räumung des Gazastreifens beglückwünscht. Er halte das für eine "mutige Entscheidung", sagte Struck bei einem Treffen mit Scharon am 7. Juni in Jerusalem. Das israelische Kabinett hatte gestern im Grundsatz für den Abzugsplan Scharons gestimmt. Zuvor war Struck mit Verteidigungsminister Schaul Mofas zusammengetroffen. Dabei ging es auch um den Wunsch Israels nach zwei weiteren deutschen U-Booten.
  • Ein geistig behinderter Palästinener ist am 7. Juni von Schüssen israelischer Soldaten getötet worden. Der 24-jährige Omar Abdeldschaber Farek sei in der Nähe der israelischen Sperranlage in Farun bei Tulkarem im nördlichen Westjordanland von drei Kugeln in die Brust getroffen worden, teilten palästinensische Ärzte und Sicherheitskräfte mit.
  • Einen Tag nach der Zustimmung des Regierungskabinetts zu seinem Gaza-Rückzugsplan hat der israelische Ministerpräsident Ariel Scharon am 7. Juni zwei Misstrauensvoten der Opposition überstanden. Die beiden von der ultraorthodoxen Schas-Partei und der linken Jahad-Partei sowie mehreren arabischen Gruppierungen eingebrachten Voten erhielten am Nachmittag nicht die erforderliche Mehrheit.
  • Die israelische Luftwaffe hat am Abend des 8. Juni palästinensische Stellungen südlich der libanesischen Hauptstadt Beirut angegriffen. Wie ein Vertreter der Palästinenser sagte, wurden dabei Ziele 20 Kilometer südlich der Stadt beschossen. Nach Angaben israelischer Geheimdienstmitarbeiter galt der Angriff "terroristischen Zielen" am Stadtrand Beiruts. Ziel sei eine Stellung der Volksfront zur Befreiung Palästinas - Generalkommando (PFLP-CG) gewesen. Auch die libanesische Armee bestätigte die Angriffe. Angaben zu möglichen Opfern liegen bisher nicht vor.
    Die israelische Regierung hat den Luftangriff auf Einrichtungen einer palästinensischen Organisation in Libanon als Warnung an die Regierung in Beirut bezeichnet. Der stellvertretende israelische Verteidigungsminister Sejev Boim erklärte am 8. Juni, die libanesische Regierung müsse entschlossener gegen diese radikalen Organisationen vorgehen.
    Die libanesische Regierung hat am 8. Juni nach eigenen Angaben Beschwerde beim UN-Sicherheitsrat eingelegt. Zuvor hatte Präsident Emile Lahoud die Angriffe als erneute Verletzung der Souveränität Libanons und Fortsetzung der "feindlichen Aktionen Israel" verurteilt und eine Beschwerde angekündigt.
  • Aus Protest gegen den geplanten Rückzug der israelischen Armee aus dem Gazastreifen will Wohnungsminister Effi Eitam nach einem Bericht des israelischen Armeerundfunks vom 8. Juni zurücktreten. Dies habe Eitam seinen Ministerkollegen gesagt. Vize-Wohnungsminister Jizchak Levy werde ebenfalls zurücktreten. Eitam und Levy gehören der Nationalreligiösen Partei an, der politischen Vertretung der jüdischen Siedler. Die Partei stellt sechs Abgeordnete im Parlament und zwei Minister in der Regierung. In der Partei ist die Meinung gespalten, ob die Minister wegen des Gaza-Plans zurücktreten oder in der Regierung bleiben und damit ihre Einflussmöglichkeiten erhalten sollen. Sozialminister Sevulun Orlev von der Nationalreligiösen Partei wolle im Amt bleiben, berichtete der Rundfunk weiter.
  • Nach Jahrzehnten enttäuschter Hoffnungen und zurückgehender Hilfszahlungen befinden sich die Bewohner der palästinensischen Flüchtlingslager nach Einschätzung des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) "am Scheideweg" zum militanten Extremismus. Die immer jüngere Bevölkerung der Flüchtlingslager in den Palästinensergebieten sowie in Jordanien und Libanon habe die Wahl "zwischen dem Rollenvorbild des maskierten und bewaffneten Militanten oder dem des jungen Informatikers", sagte der UNRWA-Chef Peter Hansen am 8. Juni bei einer Konferenz in Genf.
  • Der israelische Handelsminister Ehud Olmert hat noch vor dem angekündigten Abzug aus dem Gazastreifen die Schließung des israelisch-palästinensischen Industriegebiets Eres beschlossen. Wegen einer andauernd schlechten Sicherheitslage sollen die etwa 100 israelischen Firmen vom Rande des Gazastreifens in den Süden Israels verlegt werden, zitierten israelische Medien Olmert am 8. Juni Dienstag. Die Wirtschaftszone war in der Vergangenheit mit etwa 4.000 palästinensischen Arbeitern eine Lebensader des Gazastreifens.
  • Nach dem israelischen Luftangriff auf palästinensische Stellungen im Süden Beiruts hat die libanesische Hisbollah-Miliz am 8. Juni israelische Stellungen in der Nähe der umkämpften Schebaa-Farmen angegriffen. Nach Angaben der libanesischen Polizei und der Hisbollah-Miliz wurden etwa zwanzig Raketen und Mörsergranaten auf die Stellungen Alam, Ramta und Sammaka im Grenzgebiet abgefeuert. Die israelische Armee habe daraufhin rund 70 Panzergranaten auf die Randbezirke der Orte Kfar Hamam, Kfar Schuba und Habbarije im gleichen Gebiet abgeschossen und damit Wälder in Brand gesetzt. Über Opfer wurde zunächst nichts bekannt.
  • Die israelische Luftwaffe hat am 8. Juni zwei Metallwerkstätten am Eingang des Flüchtlingslagers Schatti in Gaza angegriffen. Die beiden Werkstätten seien mit Raketen beschossen und zerstört worden, teilten Zeugen und palästinensische Sicherheitskräfte mit. Berichte über Verletzte gab es zunächst nicht. Die israelische Armee wollte den Einsatz zunächst nicht bestätigen.
  • Ein mit der Umsetzung des Gaza-Rückzugsplans von Israels Ministerpräsident Ariel Scharon beauftragter Ausschuss ist am 19. Juni erstmals zu Beratungen zusammengetroffen. Zu dem Ausschuss gehörten der Chef des nationalen Sicherheitsrats, Giora Eiland, und Vertreter mehrerer Ministerien, wie ein Regierungssprecher mitteilte. Die Kommission soll die praktische Umsetzung des Plans diskutieren, darunter die Entschädigung jüdischer Siedler und ihre Umsiedlung.
  • Die sieben führenden Industriestaaten und Russland (G8) auf der Luxusferieninsel Sea Island (USA) bieten sich der arabischen Welt als Partner für politische und wirtschaftliche Reformen an. Die Staats- und Regierungschefs der G8-Länder wollen eine entsprechende Initiative verabschieden auf ihrem Gipfel. Weiterer wichtiger Tagesordnungspunkt war die Lage der Weltwirtschaft angesichts der hohen Ölpreise. Die Nahostinitiative ist in der arabischen Welt auf harsche Kritik gestoßen. Im Februar war die Absicht der USA bekannt geworden, den gesellschaftlichen Wandel in den Länder des Nahen und Mittleren Ostens voranzutreiben. Die Regierung von US-Präsident George W. Bush sieht darin eine zentrale Voraussetzung, die Region langfristig zu stabilisieren. Arabische Länder sehen darin eine Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten. Auch bei den europäischen Partnern stieß der erste bekanntgewordene Entwurf einer Deklaration auf Unverständnis. Der französische Präsident Jacques Chirac hat sich skeptisch zu Reforminitiative von US-Präsident George W. Bush für den Nahen Osten und Nordafrika geäußert. Der französische Präsident Chirac sagte am 9. Juni auf Sea Island, die "Haupthindernisse" für Reformen in der Region seien der israelisch-palästinensische Konflikt sowie die Probleme in Irak.
    Die Gruppe der sieben führenden Industriestaaten und Russlands (G8) will sich für demokratische Reformen im Nahen Osten und Nordafrika einsetzen. Eine entsprechende Erklärung mit dem Titel "Partnerschaft für Freiheit und eine gemeinsame Zukunft" verabschiedeten die Staats- und Regierungschefs der G8 am 9. Juni auf Sea Island im US-Bundesstaat Georgia. Darin hieß es, die Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts sei zwar für den Reformprozess in der gesamten Region wesentlich; doch dürfe die Fortdauer des Konflikts nicht als Entschuldigung dafür herhalten, die Reformen aufzuschieben.
    Die Staats- und Regierungschefs der G-8-Länder haben ein Treffen des Nahost-Quartetts noch in diesem Monat gefordert. Die Vertreter von UNO, USA, EU und Russland sollten die stockenden Verhandlungen über den internationalen Friedensplan (Roadmap) wieder in Gang bringen, heißt es in einer am 10. Juni verabschiedeten gemeinsamen Erklärung der Gipfelteilnehmer in Sea Island. Das neue Treffen des Quartetts solle bis Ende Juni stattfinden. Der Plan Israels zum Rückzug aus dem Gazastreifen wurde in der Erklärung begrüßt.
  • Israelische Soldaten haben bei einem Vorstoß in die Stadt Dschenin im nördlichen Westjordanland einen Palästinenser getötet. Das 29-jährige Mitglied der El-Aksa-Brigaden sei am Morgen des 10. Juni bei heftigen Gefechten erschossen worden, teilten palästinensische Ärzte und Sicherheitsbeamte mit. Insgesamt seien etwa 30 israelische Jeeps und Panzer in Dschenin eingerückt. Die Soldaten nahmen fünf Verdächtige fest.
  • Opfer-Bilanz:
    Seit dem Beginn der Intifada, des palästinensischen Volksaufstands im September 2000 wurden 4.103 Menschen getötet, unter ihnen 3.112 Palästinenser und 920 Israelis. (Stand: 10. Juni 2004.)
  • Der Rückzug Israels aus dem Gazastreifen soll bis September 2005 abgeschlossen sein. Auf diesen Zeitpunkt habe sich ein mit der Umsetzung des Plans beauftragter Ausschuss bei seiner ersten Sitzung geeinigt, berichteten der Militärrundfunk und die Zeitung "Haaretz" am 10. Juni. Der Ausschussvorsitzende und nationale Sicherheitsberater, Giora Eiland, habe alle beteiligten Ministerien aufgefordert, die Vorbereitungen zu beschleunigen. Der Plan sieht eine schrittweise Räumung aller 21 jüdischen Siedlungen im Gazastreifen sowie von vier Siedlungen im Westjordanland vor. Ab August sollen die Siedler ihre Häuser verlassen und anschließend entschädigt werden. Am 14. August kommenden Jahres soll die Frist für eine freiwillige Räumung der Siedlungen im Gazastreifen enden, das Gebiet anschließend zur "geschlossenen militärischen Zone" erklärt werden.
  • Israelische Soldaten haben am Abend des 10. Juni zwei palästinensische Jugendliche im Westjordanland getötet. Ein 13-jähriger Junge wurde von einer Kugel in den Kopf getroffen, als die Armee bei einem Vorstoß nach Nablus das Feuer eröffnete, wie aus palästinensischen Sicherheitskreisen und von Sanitätern verlautete. Ein 18-Jähriger sei getötet worden, als Soldaten in Beit Fadschar nahe Bethlehem auf Steine werfende Demonstranten geschossen hätten.
  • Der jordanische König Abdullah II. hat einen Marshall-Plan für den Nahen Osten gefordert. In einer Rede in Chicago sagte Abdullah am 11. Juni, er habe sich schon vor den Attentaten vom 11. September 2001 mit einer entsprechenden Bitte an die USA gewandt. Angesichts der terroristischen Bedrohung sei ein solcher Plan jetzt jedoch noch notwendiger geworden, um den Menschen Hoffnung und eine Alternative zu Hass und Gewalt zu geben.
  • Israel will die im Zuge des Gaza-Rückzugsplans ab August voraussichtlich frei werdenden Siedlerhäuser im Gazastreifen und im Westjordanland abbreißen und nicht den Palästinensern überlassen. Die Häuser würden zerstört, damit sie nicht "palästinensischen Terroristen oder Angehörigen der von (Palästinenserpräsident) Jassir Arafat geführten Mafia in die Hände fallen", sagte ein Mitarbeiter des Büros von Ministerpräsident Ariel Scharon am 12. Juni der Nachrichtenagentur AFP. Wenn es von palästinensischer Seite die Zusicherung gegeben hätte, dass die Häuser palästinensischen Flüchtlingen zugewiesen würden, dann würden sie nicht zerstört werden.
  • Zur Erörterung von Sicherheitsfragen ist der palästinensische Ministerpräsident Ahmed Kureia am 12. Juni von Ramallah in den Gazastreifen gereist. Bei dem Treffen ging es auch um die Rolle, die Ägypten nach dem geplanten Abzug der israelischen Truppen im kommenden Jahr bei der Überwachung der Grenzen des Autonomiegebiets spielen soll. Die radikalislamische Hamas bekräftigte derweil ihre Absicht, Israel auch nach dessen Rückzug weiter anzugreifen. Kureia erklärte, die Palästinenser begrüßten die Pläne Ägyptens, seine Präsenz im Grenzgebiet des Gazastreifens auszuweiten, um die Sicherheitslage zu stabilisieren. Der ranghohe Hamas-Funktionär Mahmud Sahar, der an den Gesprächen Kureias teilnahm, lehnte jede Hilfe aus Kairo dagegen ab. Es gehe darum, die israelische Besetzung palästinensischen Landes zu beenden und nicht mit Sicherheitsstrukturen zu festigen. Gleichwohl deutete Sahar an, dass seine Organisation schon in wenigen Tagen mit ägyptischen Regierungsvertretern Gespräche aufnehmen werde.
14. bis 15. Juni
  • Der Nahost-Konflikt und die Situation im Irak stehen im Mittelpunkt einer dreitägigen Außenministerkonferenz islamischer Länder, die am 14. Juni in Istanbul begann. Auch die auf Betreiben der USA beim G8-Gipfeltreffen beschlossene Initiative für demokratische Reformen im Nahen und Mittleren Osten dürfte zur Sprache kommen. Die Türkei erwartet von dem Treffen konkrete Beschlüsse zur Überwindung der Isolation des türkischen Teils Zyperns. Der Organisation gehören 57 Staaten an. Für den Bau des umstrittensten Teils seiner Sperranlage hat Israel im Westjordanland fast 2.000 Hektar Felder beschlagnahmt. Vertreter der Palästinenser erklärten am Montag, betroffen seien die Einwohner der Ortschaft Asawija in der Nähe der jüdischen Siedlung Ariel. Ein Berater des israelischen Ministerpräsidenten Ariel Scharon, Asaf Schariv, am 14. Juni erklärte, derzeit werde ein Abschnitt der Sperranlage gebaut, der von Osten nach Westen verlaufe. Die Arbeiten sollten in sechs Monaten abgeschlossen sein.
  • Bei einem israelischen Luftangriff im Westjordanland sind am 14. Juni nach Angaben von Augenzeugen zwei Palästinenser getötet worden. Bewohner des Flüchtlingslagers Balata bei Nablus sowie Sicherheitskräfte sagten, aus einem Hubschrauber heraus sei eine Rakete auf das Fahrzeug der beiden Männer abgefeuert worden. Unter den Toten sei Chalil Marschud, ein führender Funktionär der militanten Al-Aksa-Märtyrerbrigaden, die der Fatah-Bewegung des palästinensischen Präsidenten Jassir Arafat nahestehen. Eine dritte Person sei schwer verletzt worden (sie starb am darauf folgenden Tag).
  • US-Außenminister Colin Powell hat am 14. Juni mit dem in Washington weilenden jordanischen König Abdullah über die Lage im Nahen Osten beraten. Das Treffen sei "sehr, sehr, sehr gut" verlaufen sagte Powell anschließend zu den vor dem Hotel Abdullahs wartenden Journalisten. Bei dem Gespräch sei es insbesondere um dem Friedensplan, die so genannte Roadmap zur Lösung des Konflikts zwischen Israel und den Palästinensern, gegangen. Auch die von den USA angemahnten Reformen in der arabischen Welt sowie die Machtübergabe in Irak seien zur Sprache gekommen.
  • Die israelische Armee hat nach Angaben palästinensischer Sicherheitskräfte am Morgen des 15. Juni ein Gebäude in der Innenstadt von Nablus im Westjordanland beschossen. Zuvor hätten Soldaten das Gebäude mit etwa zwanzig Militärfahrzeugen umstellt, unterstützt von einem Armeehubschrauber, hieß es. Die Bewohner seien zum Verlassen des Hauses aufgefordert worden. Berichte über mögliche Opfer lagen zunächst nicht vor.
  • In der Nähe einer jüdischen Siedlung im Gazastreifen ist am 15. Juni ein mit Sprengstoff präpariertes Auto explodiert. Israelische Soldaten feuerten auf das von einem Palästinenser gesteuerte Fahrzeug, das daraufhin in die Luft ging, wie palästinensische Sicherheitsdienste mitteilten. Der Fahrer konnte sich vor der Explosion aus seinem Wagen retten und wurde festgenommen. Er hatte offenbar einen Anschlag auf die Siedlung Netzarim im südlichen Gazastreifen verüben wollen.
  • In Gaza sprengte sich am 15. Juni ein Hamas-Mitglied beim Bau eines Sprengsatzes selbst in die Luft.
  • In Nablus suchten am 15. Juni israelische Soldaten vergeblich nach einem Fatah-Aktivisten, nahmen aber bei der Razzia einen weiteres Fatah-Mitglied fest. Bei gewaltsamen Protesten gegen den Tod des radikalen Palästinenserführers Marschud erschossen Soldaten einen 18-jährigen Palästinenser, zwei weitere erlitten Schussverletzungen.
    In Bethlehem zerstörte die Armee nach eigenen Angaben am 15. Juni das Haus eines Mitglieds der radikalen Bewegung Islamischer Dschihad, der an mehreren Anschlägen beteiligt gewesen sein soll.
  • Der politisch angeschlagene israelische Regierungschef Ariel Scharon hat die Korruptionsaffäre "griechische Insel" unbeschadet überstanden. Generalstaatsanwalt Menahem Masus entschied am 15. Juni Scharon nicht anzuklagen. Das Dossier werde geschlossen. Eine Anklage hätte sehr wahrscheinlich das Aus für Scharon im Amt bedeutet. Dem Regierungschef war vorgeworfen worden, unter Vermittlung seines Sohnes Schmiergelder des angeklagten Geschäftsmannes David Appel angenommen zu haben.


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