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"Israels Regierungen sind von jeher friedensresistent"

Besatzung Palästinas eines der wichtigsten Probleme der Gegenwart. Internationaler Druck auf Tel Aviv notwendig. Ein Gespräch mit Felicia Langer *



Sie werden am kommenden Sonnabend in Berlin auf einer Kundgebung anläßlich des 40. Jahrestages des Sechstagekrieges sprechen, die unter dem Motto »Die Welt sagt NEIN zur israelischen Besatzung!« stehen wird. Warum nehmen Sie an der Demonstration teil?

Der Kampf gegen die israelische Besatzung Palästinas ist mein Lebenseinsatz. Es sind meine Wut und mein Zorn über dieses Verbrechen, die mich dazu bewegen, an derlei Kundgebungen teilzunehmen und mich gegen die Besatzung, die ich so hautnah erlebte und noch erlebe, zu engagieren.

Sie gehören zu den wenigen prominenten Juden, die sich gegen die Besatzung Palästinas engagieren, wofür Sie beispielsweise von Ralph Giordano und Henryk M. Broder massiv angegriffen wurden...

Die Kritik der beiden Genannten ist nicht sachlich. Sie ist haßerfüllt. Aber damit muß man leben. Ich lasse mich durch derartige Attacken nicht einschüchtern, schließlich ist das Völkerrecht auf der Seite der Palästinenser und der israelischen Friedensbewegung und somit auch auf meiner.

Innerhalb der deutschen Linken spielt der sogenannte Nahostkonflikt derzeit nur eine untergeordnete Rolle. Ist das ein Fehler?

Ich glaube schon. Die Besatzung Palästinas ist eines der wichtigsten Probleme der Gegenwart. Wenn den Palästinensern nicht bald Gerechtigkeit widerfährt, wird es im Nahen Osten keinen Frieden geben. Ich hätte mir auch gewünscht, daß dieser Thematik im Rahmen der Proteste gegen den G-8-Gipfel eine größere Bedeutung beigemessen worden wäre. Dies ist jedoch leider nicht der Fall.

Könnte ein Grund dafür sein, daß nahezu jeder Kritiker der israelischen Besatzungspolitik mit Antisemitismusvorwürfen überzogen wird?

Es ist so, daß die deutsche Geschichte durch Israel mißbraucht wird. Jeder, der Israel kritisiert, wird als Antisemit gebrandmarkt. Wie Sie wissen, bin ich selbst Jüdin und widerspreche derart pauschalen Vorwürfen auf das entschiedenste. Überall dort, wo Menschenrechte verletzt werden, haben die Deutschen nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, sich einzumischen. Eben darum, weil sie schon einmal geschwiegen haben. Menschenrechte sind universell, das Völkerrecht gilt für alle Menschen und alle Staaten, und darum müssen sich die Deutschen in diesen Konflikt einmischen. Und zwar klar auf der Seite der Opfer der Besatzung.

Die Bundesregierung lehnt jedoch Gespräche mit der regierenden Hamas ab ...

Dieser Boykott gegen die Hamas ist entsetzlich. Es ist ein Boykott gegen das palästinensische Volk, das demokratisch gewählt hat. Nur eben nicht so, wie sich das die USA und Israel gewünscht hätten. In Gaza leben mittlerweile 75 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Davon sind rund die Hälfte Kinder. Für diese unmenschliche Situation tragen die Staaten die Verantwortung, die die palästinensische Regierung boykottieren bzw. die finanziellen Hilfen eingefroren haben, obwohl sich die Hamas sogar offen zu einer Zwei-Staaten-Lösung bekannt und einer Regierung der nationalen Einheit zugestimmt hat. Und somit ist dieser Boykott menschenverachtend.

Wie ist ein Frieden im Nahen Osten möglich?

Alle israelischen Regierungen sind von jeher friedensresistent. Es ist dringend an der Zeit, daß Israel die Besatzung beendet. Vorher kann es keinen gerechten Frieden geben. Auch die Flüchtlingsfrage muß man völkerrechtsentsprechend lösen.

Kann die israelische Friedensbewegung genügend öffentlichen Druck ausüben?

Es gibt keinen allzu großen Einfluß der Friedensbewegung, obwohl sie stetig und heldenhaft kämpft. Ohne einen schnellen und harten Druck auf Israel wird es jedoch keinen Frieden geben. Die internationale Staatengemeinschaft hat das damalige Apartheidsregime in Südafrika früher stets harsch kritisiert, und somit muß man auch die Apartheid der Gegenwart – also das israelische Regime in den besetzten Gebieten – verachten. Das wäre im übrigen nicht gegen das israelische Volk gerichtet, sondern zu seinen Gunsten. Das israelische Volk muß verstehen, daß es erst in Frieden und Sicherheit leben kann, wenn die Besatzung beendet wird.
Ich werde jedenfalls bis zu meinem letzten Atemzug gegen die Besatzung und die verbrecherischen Maßnahmen Israels gegen die Palästinenser kämpfen und versuchen, auch die Menschen in Deutschland dazu zu bewegen.

Interview: Markus Bernhardt

* Felicia Langer ist Rechtsanwältin und Buchautorin. Aufgrund Ihres mutigen Engagements für die Palästinenser wurde sie 1990 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet: Weitere Informationen und Kontakt: www.felicia-langer.de

Aus: junge Welt, 5. Juni 2007



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