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Drangsalierung und Krieg

Jahresrückblick 2012. Heute: Israel/Palästina. Repressionen, Vertreibungen und Gewalt bestimmen weiterhin den Nahostkonflikt

Von Karin Leukefeld *

Für die Palästinenser in der West Bank und im Gazastreifen war auch das Jahr 2012 von anhaltenden Demütigungen, Repressionen, Festnahmen, Hauszerstörungen, Vertreibungen und militärischen Angriffen seitens der israelischen Besatzungsmacht geprägt. Eine Chronologie der Ereignisse, die von der Kampagne »Solidarität mit Palästina« an der Universität Cork in Irland zusammengestellt wird, listet die täglichen Drangsalierungen auf: willkürliche Festnahmen, ständige Kontrollen, Militärrazzien in palästinensischen Wohngebieten und Häusern, Angriffe von Siedlern auf Palästinenser und deren Eigentum bis hin zur gezielten und systematischen Zerstörung von Olivenbäumen, der Lebensgrundlage vieler Palästinenser.

Politische und religiöse Persönlichkeiten wurden ohne Angabe von Gründen festgenommen, für Angehörige und Anwälte ist es oft schwer, sie in den israelischen Gefängnissen ausfindig zu machen. Der Angriff radikaler Siedler auf die Al-Aksa-Moschee in Jerusalem konnte von Palästinensern abgewehrt werden, das israelische Militär sah zu. Immer wieder wurden Ziele im Gazastreifen angegriffen. Die Fischer von Gaza werden von der israelischen Marine gezwungen, nur in einem kleinen Bereich der palästinensischen Hoheitsgewässer zu fischen.

Die palästinensischen Gefangenen meldeten sich mit Hungerstreiks zu Wort und protestierten gegen ihre Haftbedingungen, die Willkür der Administrativhaft und tägliche Schikanen. Die Häftlinge kommentierten aber auch die stagnierende innerpalästinensische Versöhnung zwischen Fatah und Hamas. Prominenteste Stimme ist nach wie vor der seit 2002 inhaftierte Marwan Barghouti, den Israel zu einer fünffachen lebenslangen Haft verurteilt hat. Ende März rief Barghouti zu einem gewaltlosen Massenaufstand der Palästinenser auf. Die Autonomiebehörde unter Mahmud Abbas müsse ihre wirtschaftliche, politische und militärische Kooperation mit der israelischen Besatzungsmacht einstellen.

Anerkennung Palästinas

Innerhalb der Fatah entstanden im Protest gegen die Politik und Korruption der Führung verschiedene Untergruppen, die Autonomieregierung verlor weiter an Ansehen. Am Ende des Jahres war der Antrag auf Anerkennung des Beobachterstatus’ für einen palästinensischen Staat bei den Vereinten Nationen gleichwohl ein großer Erfolg für die Palästinenser. 138 von 193 UNO-Mitgliedsstaaten stimmten dem Antrag zu, die USA, Israel und sieben weitere Staaten stimmten dagegen. 41 enthielten sich der Stimme, darunter auch Deutschland. Der damit anerkannte Staat Palästina besteht allerdings nur aus 22 Prozent der Fläche, die den Palästinensern 1947 mit dem UNO-Teilungsplan zugesichert worden war.

Als Folge ihrer zweideutigen Haltung zum innersyrischen Konflikt verließ die Hamas im Februar ihr längjähriges Exil in Damaskus. Einige Hamas-Anhänger beteiligen sich mittlerweile aktiv auf Seiten der Aufständischen in Syrien. Hamas-Anführer Khalid Meschaal ging zunächst in die katarische Hauptstadt Doha, mittlerweile lebt er in Kairo.

Ende Oktober besuchte als erster Staatschef der Emir von Katar, Scheich Hamid bin Khalife Al-Thani, mit Frau und großem Gefolge den Gazastreifen, wo er von dem dortigen Ministerpräsidenten Ismail Haniye empfangen wurde. Wenige Tage später wurde der Militärchef der Hamas, Ahmed Al-Jabari, durch einen gezielten Luftangriff der Israelis getötet, die Hamas bezeichnete das als »Kriegserklärung«. In dem einwöchigen Krieg Mitte November wurden nach Angaben des Palästinensischen Zentrums für Menschenrechte (PCHR) 158 Palästinenser, darunter 33 Kinder, 13 Frauen und drei Journalisten getötet. Auf israelischer Seite starben sechs Personen, davon zwei Soldaten. Der Infrastruktur im Gazastreifen wurde enormer Schaden zufügt. Der vom ägyptischen Präsidenten Mohamed Mursi vermittelte Waffenstillstand stärkte die Hamas. Zudem war es erstmals gelungen, Raketen vom Gazastreifen nach Tel Aviv und Jerusalem abzuschießen, was unter Israelis enorme Verunsicherung auslöste. Zum 25. Gründungstag der Hamas reiste Khalid Meschaal in den Gazastreifen ein. Er hielt eine flammende Rede gegen die israelische Besatzung und für die Versöhnung mit der Fatah.

Israel baute 2012 seine internationalen politischen und Handelsbeziehungen weiter aus. Als wichtiger Lieferant und Produzent von militärischer Technologie, insbesondere für Überwachung und von Drohnen, hat das Land weltweite Partner. Anfang Januar 2012 unterzeichnete der Staat mit Zypern zwei militärische Kooperationsabkommen, die US-Regierung erhöhte Kreditgarantien für Israel um zusätzliche 3,8 Milliarden US-Dollar. Anfang Februar kaufte Aserbeidschan von Israel Waffen im Wert von 1,6 Milliarden US-Dollar. Die Beziehungen Israels zu seinen Nachbarn verschärften sich. Inoffiziell unterstützt Tel Aviv Aufständische in Syrien, Libanon wird wegen der Gasfelder im östlichen Mittelmeer unter Druck gesetzt, ebenso Zypern, mit dem Israel bereits ein Förderabkommen unterzeichnete. Die Beziehungen zu Ägypten sind auf dem Nullpunkt. Im April kündigte Kairo einen Vertrag über Gaslieferungen an Israel. Mindestens 15 mal waren Anschläge auf die Leitungen im Norden Ägyptens verübt worden. Eine von arabischen Staaten im September erneut ins Spiel gebrachte Initiative für eine Konferenz zur Schaffung einer atomwaffenfreien Zone im Mittleren Osten wies Israel zurück.

Innenpolitisch spiegelte sich das Vorgehen der Besatzungsmacht gegen die Palästinenser in massiver Repression gegen die israelische Friedens- und Zivilgesellschaft und wachsendem Rassismus gegen Nicht-Juden wider. Die Büros verschiedener Nichtregierungsorganisationen wurden gestürmt, ein neues Gesetz wurde verabschiedet, das die Zusammenarbeit von Aktivisten mit den Palästinensern unter Strafe stellt. Rechtsradikale und rassistisch motivierte Israelis gingen im Juni gewaltsam gegen afrikanische Migranten vor. In Tel Aviv zerstörten sie Läden und schlugen Menschen mit dunkler Hautfarbe. Mehrere Versuche der internationalen Solidaritätsbewegung, per Schiff Hilfsgüter in den von Israel abgeriegelten Gazastreifen zu bringen, wurden 2012 von der israelischen Marine gestoppt.

Siedlungsausbau

Kurz vor Jahresende hat die israelische Regierung den Ausbau der Siedlungen in der West Bank und in Ostjerusalem angekündigt. Mindestens 6000 neue Wohnungen und Häuser sollen in dem Gebiet zwischen Jerusalem und Bethlehem gebaut werden, 1500 in der Siedlung Ramat Shlomo, 4500 weitere in den Siedlungen Givat Hamatos und Gilo. Nach israelischer Lesart gehören die drei Siedlungen zur Gemeinde von Jerusalem, das Israel für sich beansprucht. Tatsächlich handelt es sich um Land der Palästinenser, das während des Krieges 1967 von Israel besetzt worden war. Offensichtlich will Israel einen von Siedlern bewohnten Gürtel um Jerusalem bauen und den Palästinensern den Zugang zu Ostjerusalem versperren. Die gleichzeitige Zerstörung palästinensischer Häuser in Ostjerusalem und die Vertreibung der Palästinenser von dort machen das Ziel Israels klar: der Anspruch der Palästinenser, Ostjerusalem zur Hauptstadt eines unabhängigen palästinensischen Staates zu machen, soll durch den Siedlungsbau torpediert werden. Israel akzeptiert keinen palästinensischen Staat.

Moshe Yaalon, stellvertretender israelischer Ministerpräsident wies internationale Proteste zurück. Die Kritik an Bauvorhaben jenseits der als »Grünen Linie« bezeichneten Grenze von 1967 sei ein »Automatismus der Welt, doch dann geht alles wie gewohnt weiter«, sagte er. Die Baupläne seien alt und nur zurückgehalten worden, um dem Westen die Chance zu geben, die Palästinenser davon abzubringen, den Status Palästinas bei den Vereinten Nationen aufzuwerten. Weil die Palästinenser sich dennoch an die UN gewandt hätten, würden die Bauvorhaben umgesetzt. »Wir werden weiter bauen, gemäß den strategischen Interessen des Staates Israel«, so Yaalon. In Israel kritisiert man die Bauvorhaben als Wahlkampftaktik von Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, der bei den vorgezogenen Wahlen am 22. Januar 2013 wiedergewählt werden will. Dabei setzt Netanyahu vor allem auf die Siedler und auf die rechte und rechtsradikale Wählerschaft Israels.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 08. Januar 2013


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