Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Wettlauf in Naypyidaw

USA schicken Botschafter nach Myanmar und heben Sanktionen auf. Erste Parlamentssitzung für Aung San Suu Kyi. Sorge wegen regionaler Unruheherde

Von Thomas Berger *

Erstmals seit zwei Jahrzehnten sind die USA wieder mit einem Botschafter in Myanmar (Burma) vertreten. Derek Mitchell trat am Mittwoch sein Amt in Naypyidaw an und bekam von Präsident Thein Sein seine Ernennung – während am gleichen Tag US-Präsident Barack Obama in Washington die deutliche Lockerung der bisherigen Wirtschaftssanktionen gegen die frühere Militärdiktatur bekanntgab.

US-Außenministerin Hillary Clinton war Ende vergangenen Jahres das erste hochrangige Regierungsmitglied eines westlichen Staates gewesen, das Myanmar besuchte. Bei der Rücknahme der jahrzehntelangen Sanktionen allerdings hat sich Washington Zeit gelassen. Die Entscheidung jetzt entspringt vor allem dem Bemühen, im Wettlauf um die Verteilung des Kuchens bei Investitionen nicht zu spät zu kommen. Amerikanische Firmen dürfen nun ganz offiziell wieder mit burmesischen Partnern Geschäfte machen. Die Regierung in Naypyidaw wird wiederum vermutlich noch in der aktuellen Sitzungsperiode des Parlaments ein neues Investitionsgesetz auf den Weg bringen, verlautete aus der Hauptstadt.

Mit darüber abstimmen werden dann auch die im April neugewählten 43 Abgeordneten der oppositionellen Nationalen Liga für Demokratie (NLD). Deren Vorsitzende, Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, hat nach ihrer Europareise am Montag ihre erste Parlamentssitzung absolviert. Noch ist unklar, ob die NLD auch mit eigenen Gesetzesinitiativen in Erscheinung treten will. Die oppositionellen Neuzugänge, vor allem Suu Kyi selbst, sind jedenfalls von ranghohen Vertretern der Regierungspartei USDP willkommen geheißen worden.

Einig über Parteigrenzen hinweg ist man sich in der Besorgnis über die Unruhepunkte an verschiedenen Stellen im Land. Im westlichen Teilstaat Arakan, wo im Vormonat gewaltsame Konflikte zwischen dort vorherrschenden buddhistischen Rakhine und der muslimischen Minderheit von Ronhingyas ausgebrochen waren, kamen inzwischen offenbar mindestens sieben weitere Personen bei Zusammenstößen ums Leben. Der Chef der nationalen Menschenrechtskommission ist gemeinsam mit zwei weiteren Mitgliedern nach Arakan gereist. Derweil hat ein ganzes Stück weiter östlich die Rebellengruppierung Kachin Independence Organisation (KIO) mit ihrem bewaffneten Arm KIA ein direktes Gesprächsangebot des stellvertretenden Armeechefs Soe Win ausgeschlagen. Nachdem es am vergangenen Wochenende zu erneuten Gefechten mit Regierungstruppen gekommen war, fehle dafür zunächst die Grundlage, ließ ein KIO-Sprecher wissen. Im Juni 2011 war der Waffenstillstand mit dieser Rebellengruppe, der vorher 17 Jahre gehalten hatte, zusammengebrochen.

Derweil deutet alles darauf hin, daß für den aus Gesundheitsgründen zurückgetretenen Tin Aung Myint Oo (jW berichtete) Myint Swe neuer Vizepräsident werden könnte. Der 61jährige, der zur ethnischen Minderheit der Mon gehört und derzeit noch Chefminister in der Region um die Wirtschaftsmetropole und frühere Hauptstadt Rangun ist, wurde offenbar als Kompromißkandidat zwischen dem reformorientierten Präsidenten Thein Sein und Armeechef Min Aung Hlaing nominiert. Er gilt anders als viele andere Exmilitärs in heutigen politischen Ämtern nicht als korrupt, war aber auch ein besonders enger Vertrauter des früheren Juntachefs Than Shwe. Als Sicherheitschef Ranguns war er seinerzeit für die Festnahme von Exdiktator Ne Win und dessen Familie 2002 sowie des früheren Premiers Khin Nyunt, damals noch Nummer drei der Machthierarchie, zwei Jahre später zuständig. Auch für die Niederschlagung der sogenannten Safranrevolution, der Erhebnung buddhistischer Mönche 2007, trug er die unmittelbare Verantwortung. General Maung Aye, vormals Nummer zwei der Junta, läßt sich unterdessen seit Wochenbeginn nach einem erlittenen Schlaganfall in einer Klinik in Singapur behandeln.

* Aus: junge Welt, Freitag, 13. Juli 2012


Zurück zur Myanmar-Seite (Birma)

Zurück zur Homepage