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Zweiter Testlauf in Sachen Demokratie

Parlamentsnachwahlen in Myanmar von großen Hoffnungen begleitet

Von Thomas Berger *

Viele Hoffnungen sind auf den Urnengang in Myanmar an diesem Sonntag gerichtet. Die Regierung in Naypyidaw unter Präsident Thein Sein setzt darauf, daß ein ordentlicher Verlauf der Nachwahl für 45 Parlamentssitze dazu führen könnte, daß endlich die Sanktionen des Westens nicht nur auf bilateraler Ebene gelockert, sondern demnächst völlig aufgehoben werden. EU, USA und die einheimische Opposition wiederum hoffen auf eine Abstimmung, die das Siegel frei und fair tatsächlich verdient – bei der eigentlichen Parlamentswahl im November 2010 gab es in dieser Hinsicht noch Zweifel. Und nicht zuletzt hofft die Bevölkerung des bitterarmen Staates, daß sich neben dem langsam voranschreitenden politischen Wandel wenigstens auf mittlere Sicht auch die Lebensbedingungen verbessern. Ein Ende der Sanktionen käme dazu sehr gelegen, es wäre ein Mosaikstein unter vielen, um einen Aufschwung in Gang zu setzen.

Seit gut zwei Jahrzehnten steht die größte Oppositionspartei zum ersten Mal wieder auf den Stimmzetteln. Die Nationale Liga für Demokratie (NLD), die bei der ersten freien Wahl 1990 zwei Drittel der Stimmen errang, aber letztlich vom Militär die Regierungsübernahme verwehrt bekam, war 2010 nicht zugelassen – sie hatte ihren offiziellen Parteistatus verloren. Hintergrund war, daß sich die NLD weigerte, ihre Vorsitzende Aung San Suu Kyi auszuschließen, die bis unmittelbar nach der Wahl noch unter Hausarrest stand. Inzwischen ist die wichtigste regierungskritische Organisation wieder zugelassen, und Suu Kyi selbst führt das Feld ihrer Kandidaten an, die sie in allen 45 Wahlkreisen aufgestellt hat. Eigentlich sollte sogar in 48 gewählt werden. Doch im Kachin-Gebiet im Norden, wo es trotz begonnenen Dialogs mit der lokalen Rebellengruppe immer wieder zu Konfrontationen kommt, wurde die Abstimmung für drei Mandate ausgesetzt.

Suu Kyi, die von 1990 bis 2010 nur in kurzen Phasen nicht in Hausarrest oder Haft war, mußte die letzten paar Tage des Wahlkampfes aussetzen. Vor allem die Tatsache, daß sie vor einer Woche in einem Boot unter brennender Sonne auf einer Sandbank festsaß, hat mit zu einer allgemeinen Überlastung geführt. Ihren letzten Auftritt hatte sie am vergangenen Sonntag und folgte danach dem Rat ihrer Ärzte zu einer Ruhephase. Von kleineren Zwischenfällen abgesehen, haben die NLD-Spitzenkandidatin und ihre Getreuen weitgehend ungehindert überall Versammlungen abhalten können. Das ist ein wichtiges Signal für die Gesamtbewertung dieser zweiten Demokratieübung im Land. Zur Wahl selbst sind, anders als 2010, erstmals auch ausländische Beobachter anwesend. Vertreter Japans, der USA, Australiens und der ASEAN werden sich ein direktes Bild von der Abstimmung machen. US-Außenministerin Hillary Clinton hatte für ihre Regierung angekündigt, daß nach einem »ordnungsgemäßen« Wahlablauf über die Aufhebung der Sanktionen entschieden werden könne.

Die konkreten Machtverhältnisse wird die Nachwahl, die durch das Aufrücken vormaliger Abgeordneter in Regierungsämter notwendig wurde, zunächst nicht ändern. Die Union Solidarity and Development Party (USDP), die von einstigen Offizieren dominierte Partei des früheren Regimes, hat eine komfortable Mehrheit. Zumal ein Viertel aller Sitze laut der neuen Verfassung ohnehin ernannten Vertretern aus den Reihen des Militärs zusteht. Die NLD würde diesen Passus nur zu gern streichen, aber General Min Aung Hlaing, der neue Armeechef, hat bei der traditionellen Militärparade zum Tag der Armee noch einmal den Anspruch auf diesen Einfluß der Streitkräfte in der Politik bekräftigt.

* Aus: junge Welt, 31. März 2012


Bemerkenswertes Tempo

Interview: LINKE-Politikerin Caren Lay über den Wandel in Myanmar **

Caren Lay, Bundesgeschäftsführerin der Partei DIE LINKE und Bundestagsabgeordnete, war kürzlich mit einer Parlamentariergruppe in Myanmar und hat dort auch mit Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi gesprochen.


Sie waren erstmals in Myanmar. Was hat Sie am meisten beeindruckt?

Das Gespräch mit Aung San Suu Kyi hat mich sehr beeindruckt. Es ist faszinierend, welches Durchhaltevermögen diese Frau hat, die 15 Jahre von der Militärjunta unter Hausarrest gestellt wurde, sogar im Gefängnis saß. Am erschreckendsten dagegen war die unbeschreibliche Armut. Nur 25 Prozent der Bevölkerung verfügen über Elektrizität. Ich hätte nicht gedacht, dass ein Land durch eine schlechte Regierung so heruntergewirtschaftet werden kann. Myanmar ist heute eines der ärmsten Länder der Welt. Die Militärs haben offenbar lieber in eine neue protzige Hauptstadt investiert, mit riesigen Palästen und zehnspurigen Auffahrten. Nur Menschen – von Sicherheits- und Regierungspersonal abgesehen – findet man dort fast nicht.

Womit erklären Sie den Politikwandel der Militärs?

Da kommt vieles zusammen: Offensichtlich gibt es hinter den Kulissen durchaus unterschiedliche Strömungen bei den Militärs. Offenbar will man ökonomisch und politisch nicht länger hinter die Nachbarländer zurückfallen – beispielsweise hinter Thailand. Ein wichtiges Motiv scheint aber auch zu sein, dass man die einseitige Abhängigkeit von China überwinden will. Das Tempo der Reformen im letzten Dreivierteljahr ist schon bemerkenswert. Ich kann nur hoffen, dass es nachhaltig ist.

Halten Sie Sanktionen noch für angebracht?

Nein. Darunter leidet die Zivilbevölkerung und die Sanktionen haben zur Isolation des Landes erheblich beigetragen. Ich glaube, dass man jetzt die Reformkräfte unterstützen muss – auch durch ein Aussetzen der Sanktionen. Man muss Myanmar auch für Nichtregierungs- und Entwicklungsorganisationen öffnen.

Offenbar hat bereits ein politisches und ökonomisches Wettrennen nach Myanmar eingesetzt. Droht nach der Isolierung jetzt der Ausverkauf des Landes?

In der Tat geben sich dort im Moment Politiker die Türklinke in die Hand – nicht immer aus lauteren Motiven. Neben der Unterstützung des Reformprozesses spielen dabei sicherlich bei vielen wirtschaftliche Interessen und der Zugriff auf Land und Rohstoffe eine Rolle. Insofern ist diese Gefahr nicht auszuschließen. Ob das den Ausverkauf des Landes bedeutet, wird aber im Kern politisch entschieden und ist davon abhängig, ob zum Beispiel vernünftige Investitionsgesetze verabschiedet werden und ob es ein ordentliches Programm zur Armutsbekämpfung gibt.

Aung San Suu Kyi ist zur Ikone derer geworden, die einen Wandel wünschen. Wird sie die großen Hoffnungen je erfüllen können?

Das kann niemand vorhersagen. Programmatisch scheint mir durchaus noch nicht alles ausgereift. Ihre Priorität liegt eindeutig auf der Demokratisierung des Landes, Bildung und soziale Themen spielen auch eine wichtige Rolle, und das ist immerhin ein Lichtblick. Politisch wäre ihr Einzug in das Parlament auf jeden Fall ein ganz wichtiges Signal. Noch vor einem Jahr durfte man ihren Namen in Myanmar nicht aussprechen. Ein Signal für die Demokratie wäre es also allemal.

Fragen: Detlef D. Pries

** Aus: neues deutschland, 31. März 2012


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