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Luftangriffe im Norden Myanmars

Trotz gegenteiliger Beteuerungen fliegt das Militär Einsätze gegen Kachin-Rebellen

Von Thomas Berger, Bangkok *

Mit Luftangriffen, die das Militär gegen Rebellen fliegt, hat der Konflikt im Kachin-Gebiet von Myanmar (Burma) über den Jahreswechsel an Intensität zugenommen. Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi lehnte ein Vermittlungsgesuch jedoch zunächst ab.

Kurz nach Neujahr hatte Präsident Thein Sein ausdrücklich dementiert, dass es eine Armeeoffensive gegen die KIA, den bewaffneten Arm der Kachin Independence Organisation (KIO), gebe. Doch kurz darauf wurden erneut Flugzeuge über dem Rebellengebiet gesichtet und neue Luftangriffe gemeldet. Opferzahlen wurden bisher nicht bekannt, selbst die USA-Regierung ist nach Aussage von Außenamtssprecherin Victoria Nuland noch dabei, sich ein umfassendes Bild von der Lage zu machen. Die Regierungen der USA und Großbritanniens haben aber ebenso wie UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zur Zurückhaltung gemahnt und eine Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen Rebellen und Staat gefordert.

Aung San Suu Kyi will indes nur auf ausdrückliche Bitte der Regierung vermittelnd tätig werden, sagte sie der Nachrichtenagentur AFP. Bisher habe sie weder von der Regierung noch von den Rebellen oder von Vermittlern eine entsprechende »offizielle « Bitte erhalten. Die Kachin-Rebellen von sich aus zu kontaktieren, schloss die Friedensnobelpreisträgerin aus. Am Sonnabend (5. Jan.) hatte der Aktivist Yup Zaw Hkaung, selbst ein Vertreter der Kachin- Minderheit, von einer »Verantwortung« Suu Kyis für den Frieden zwischen den verschiedenen Ethnien Myanmars gesprochen.

Verhandlungen waren in der jüngeren Vergangenheit immer wieder abgerissen. Im Juni 2011 hatten die Kachin, die zuvor wie andere ethnische Minderheiten im Land längere Zeit grundsätzlich als »befriedet« galten, erneut zu den Waffen gegriffen. Anlass war die Forderung der Regierung an die Kachin-Armee, eine Basis zu räumen, um den Zugang zu einem Wasserkraftwerk zu gewährleisten, das gemeinsam mit chinesischen Investoren betrieben werden soll. Die KIA-Führung weigerte sich, weil sie fürchtete, durch Preisgabe des strategisch wichtigen Vorpostens für künftige Attacken des Militärs verwundbarer zu sein. Seither liegt das Waffenstillstandsabkommen von 1994 sozusagen in Fetzen. Zwar zeigten sich beide Seiten bemüht, den Konflikt nicht eskalieren zu lassen. Doch im vergangenen Jahr scheiterten alle Versuche, wenigstens ein vorläufiges Schweigen der Waffen zu erreichen. Zudem ist die Autorität von Thein Sein selbst infrage gestellt. Wie die staatliche englischsprachige Zeitung »New Light of Myanmar « am Sonntag berichtete, wies der Staatschef, ein früherer General, das Militär an, nur im Fall von Selbstverteidigung anzugreifen. Demnach warb der Präsident für »gegenseitiges Vertrauen« und einen »anhaltenden Dialog«, um den Konflikt beizulegen.

Schon Ende 2011 hatte er seinen Truppen ein weiteres Vordringen ins Rebellengebiet untersagt. Diese Order müsse jedoch erst bei den Soldaten im Grenzgebiet zu China ankommen, hieß es immer wieder. Inzwischen zieht diese Ausrede nicht mehr, und im In- und Ausland fragt man sich, welche Kommandogewalt der Staatschef noch über die Armee hat, die selbst zahlreiche Schlüsselpositionen auf Regierungsebene besetzt.

Das Gebiet, in dem sich die Kämpfe konzentrieren, liegt in unmittelbarer Nähe des KIA-Hauptquartiers Laiza, das zu einer Kleinstadt herangewachsen ist. Dass Laiza fallen könnte, gilt mittlerweile nicht mehr als ausgeschlossen. Beendet wäre der Konflikt damit aber keinesfalls, er würde sich eher noch intensivieren.

16 Kachin-Gruppen aus der Zivilgesellschaft haben sich unterdessen an die International Crisis Group (ICG) gewandt und sie davor gewarnt, Thein Sein im April mit einem Friedenspreis zu ehren. Die Absender verweisen nicht nur auf den wieder aufgeflammten Konflikt im Siedlungsgebiet der Minderheit, sondern auch auf die kaum eingedämmte Gewaltwelle im westlichen Teilstaat Arakan und das Vorgehen der Sicherheitskräfte bei Protesten an der umstrittenen Kupfermine Letpadaung. Außerdem erhindere Myanmars Regierung weiterhin, dass internationale humanitäre Hilfe jene Flüchtlinge erreiche, die in dem von der KIA kontrollierten Gebiet rund um Laiza ausharren. An die 100 000 Einwohner der Region wurden durch die Kämpfe aus ihren Ortschaften vertrieben, teils auch über die chinesische Grenze.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 8. Januar 2013


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