Mosambik sucht seinen Weg
Frelimo-Mitbegründer Marcelinho dos Santos erinnert an Ideale des Befreiungskampfes
Von Ilona Schleicher *
Heute wird die Frelimo 55 Jahre alt. Zu den Gründern der Frente de Libertação de Moçambique
(Front für die Befreiung Mosambiks), die den südostafrikanischen Staat seit Ende der
portugiesischen Kolonialherrschaft vor 32 Jahren regiert, gehörte Marcelinho dos Santos. Er traf
kürzlich beim Solidaritätsdienst-international e.V. (SODI) alte Freunde aus der DDR.
Marcelinho dos Santos, ein Poet, dessen Gedichte auch ins Deutsche übertragen worden sind, hatte
an einem Schriftstellerkongress in Kuba teilgenommen und auf dem Heimweg in Berlin Station
gemacht. Für die einen ist der 78-Jährige ein unverbesserlicher »Orthodoxer«, der die Zeichen der
Zeit nicht versteht. Die anderen sehen in ihm einen freimütigen Vertreter des linken Flügels der
Frelimo, für den das Streben nach einer friedlichen und sozial gerechten Gesellschaft, nach
Sozialismus, nicht von der Agenda der menschlichen Entwicklung gestrichen ist. Dos Santos war
von 1969 bis 1977 Vizepräsident der Frelimo und während des Befreiungskampfes deren
»Außenminister«. Nach der Unabhängigkeitserklärung war er Wirtschafts- und Planungsminister,
später Vorsitzender des Parlaments. Heute ist Marcelinho dos Santos Mitglied des Zentralkomitees
der Frelimo und des Staatsrates von Mosambik.
»Unser Unabhängigkeitskampf war hart«, erinnert er sich. »Aber wir wussten nicht, dass das, was
vor uns lag, noch viel härter werden würde.« Man habe 1975 die politische Macht errungen – aber
die Bedeutung der Wirtschaft völlig unterschätzt. »Mosambik wurde damals von den
Rassistenregimes in Südrhodesien und Südafrika bedroht, wir entschieden uns dennoch dafür, die
dortigen Befreiungsbewegungen zu unterstützen. Uns war klar: Wir können selbst nicht frei sein,
wenn unsere Nachbarn nicht frei sind.« Die damals von der UNO versprochene Hilfe zur
Unterstützung einer nachhaltigen Entwicklung des Landes, das infolge der aktiven Durchsetzung der
UN-Sanktionen gegen die Rassistenregimes große Opfer brachte, fiel als Folge der Ost-West-
Konfrontation im Kalten Krieg sehr mager aus.
Mosambik wurde von einem Bürgerkrieg, der ihm von außen aufgezwungen worden war, in den
Ruin getrieben, das Volk litt unendlich. »Die Frelimo hat schließlich nicht den Krieg gewonnen,
sondern den Frieden – auf diplomatischem Wege. Sie ist vom Volk in demokratischen Wahlen mit
der Regierung des Landes beauftragt worden«, sagt dos Santos. »Aber nach der Herstellung des
Friedens waren wir müde, wir haben uns dem internationalen Finanzdiktat gebeugt, um uns aus
einer ausweglosen Lage zu befreien. Wir sind unseren Weg zu einer sozial gerechten Gesellschaft
nicht weitergegangen, mussten das kapitalistische Modell akzeptieren.« Nun sei es an der Zeit,
mosambikische Authentizität zurückzugewinnen, sich der Ideale des Befreiungskampfes zu erinnern.
Die Mosambiker wollen nicht länger »wie Bettler die Hände ausstrecken«, sagt Staatspräsident
Armando Emilio Guebuza (64). Die Unterstützung der kleinen Bauern, die Förderung einer
dezentralen Landwirtschaft sollen zum Ausgangspunkt und zum Rückgrat einer selbsttragenden
wirtschaftlichen Entwicklung werden. Dies ist eine kaum zu überschätzende wichtige
Schlussfolgerung aus der Geschichte der Frelimo und des unabhängigen Mosambik.
Guebuza hat auch angeregt, sich mehr mit dieser Geschichte zu beschäftigen und sie – wie dos
Santos auf einen Einwurf seiner in dieser Hinsicht geplagten und geübten ostdeutschen Freunde
bestätigt – kritisch zu reflektieren. Zu den wichtigsten Schlussfolgerungen gehöre, dass auch ein
Krieg unter revolutionärem Vorzeichen für das Volk mit nicht vertretbarem Leid verbunden ist. »Ganz
gleich, für welche Konzepte der gesellschaftlichen Entwicklung wir uns entscheiden – unter allen
Umständen muss unser Weg ein friedlicher sein. Wir müssen die Realitäten klar erfassen, und wir
müssen die Menschen auf diesem Weg mitnehmen. Wir sollten eine Praxis aus der Zeit des
Befreiungskampfes aufgreifen, uns treffen, uns in die Augen sehen und miteinander reden. Jeder
soll seine Meinung sagen, jeder soll sein Anliegen vertreten können. Gemeinsam werden wir dann
Lösungen für unsere Probleme finden.«
* Aus: Neues Deutschland, 25. Juni 2007
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