Sturm auf den Schatzberg Mongolei
Wer profitiert von den Reichtümern unterm zentralasiatischen Steppenboden?
Von Renate Bormann, Ulan-Bator *
Die Mongolei galt lange als Bettler auf einem Schatzberg. Die Zeit scheint vorbei zu sein, doch
unbeantwortet bleibt die Frage, wie und zu wessen Nutzen die Mongolen mit ihren Schätzen
verfahren.
Am 4. Juli verteilte die mongolische Regierung auf einer außerordentlichen Sitzung die Schürfrechte
für Tavantolgoi, das möglicherweise größte Kohlevorkommen der Welt. 6,4 Milliarden Tonnen sollen
dort lagern. 40 Prozent gehen an die chinesische Unternehmensgruppe Shenhua, 36 Prozent an ein
russisch-mongolisches Konsortium, 24 Prozent bleiben für das US-amerikanische
Kohleunternehmen Peabody Energy.
Die Bestätigung des Vertragsentwurfs durch die Große Staatsversammlung noch vor deren
Sommerpause scheiterte jedoch vorerst am Boykott der Parlamentssitzungen durch die
Demokratische Partei (DP). Wiewohl seit September 2008 in einer Regierungskoalition verbündet,
streiten die DP und die Mongolische Volkspartei (MVP) nämlich seit Monaten um ein neues
Wahlsystem. Aus den Wahlen 2008 war die damalige MRVP zwar als eindeutige Siegerin
hervorgegangen, Proteste der Opposition mündeten jedoch in blutige Zusammenstöße, in deren
Verlauf die Zentrale der Partei zerstört wurde. Künftig sollen die Volksvertreter durch eine Mischung
von Mehrheits- und Verhältniswahlrecht bestimmt werden. Die konkrete Gestaltung aber ist
umstritten. Dem Vorschlag, das Volk darüber entscheiden zu lassen, erteilten Verfassungsrechtler
und Präsident Tsachiagiin Elbegdordsch (DP) eine Absage. Doch schon im Juni 2012 stehen wieder
Parlamentswahlen im Kalender. Nur wer dann Sitz und Stimme hat, kann künftig über die Verteilung
der Bergbaupfründe mitbestimmen. Das dürfte einer der Hintergründe des Streits sein.
Die MRVP trennte sich im November 2010 vom Attribut »revolutionär« im Namen und wurde zur
MVP. Inzwischen aber sieht sie sich mit Widersachern aus den eigenen Reihen konfrontiert:
Nambaryn Enchbajar, Altpräsident, ehemaliger Regierungs- und Parteichef, ließ die MRVP wieder
auferstehen.
Ungeachtet allen Streits haben die Mongolen in diesem Jahr Anlass zum Feiern. Einem Erlass von
Präsident Elbegdordsch verdanken sie, dass nicht nur die Gründung des mongolischen Weltreiches
vor 805 Jahren, der 100. Jahrestag der Erklärung der Unabhängigkeit von China und der 90.
Jahrestag der Volksrevolution von 1921 begangen wird, sondern auch 2220 Jahre Hunnenreich. 209
v. u. Z. hatte Hunnenfürst Maodun das erste Steppengroßreich auf mongolischem Boden begründet.
Bis ins 1. Jahrhundert u. Z. herrschten die Hunnen (chin. Xiongnu) über Zentralasien und das
nördliche China. Mehr als 1000 Jahre später wurde Russland zum Opfer mongolischer Expansion
unter Chinggis-Khaan und seinen Erben.
Die Zeiten dieser Stärke waren lange vorbei, seit dem 17. Jahrhundert herrschte China über die
Mongolen, als im Juli 1911 die vier Aimag-Khane der Äußeren Mongolei, einflussreiche Adlige und
Lamas – insgesamt 18 Personen – in einer Höhle nahe der heutigen Hauptstadt Ulan-Bator über die
Lossagung vom mächtigen Nachbarn und die Bildung eines eigenen Staates berieten. Eine kleine
Delegation begab sich nach Russland, um Beistand für den Unabhängigkeitskampf zu erbitten, der
indes nur halbherzig gewährt wurde. Immerhin wurden fünf Ministerien gebildet und ein Parlament
gebildet, China blieb nur die außenpolitische Vertretung der Mongolei.
Zehn Jahre später, im Juli 1921, verkündete Sukhbaatar (Suche-Bator) den Sieg der Volksrevolution
und die endgültige Trennung von China, die völkerrechtlich allerdings erst 1945 anerkannt wurde.
1924 wurde die Mongolische Volksrepublik proklamiert.
Stets blieben die Steppennomaden jedoch abhängig von den Interessen der Großmächte. Von 1921
bis 1989 stand die Volksrepublik treu an der Seite der Sowjetunion und ihrer europäischen
Verbündeten, denen sie auch heute noch anerkannte Errungenschaften wie ein für damalige
Verhältnisse modernes Gesundheits- und Bildungswesen, die Entwicklung von Wissenschaft,
Technik und Industrie verdankte. 1989 aber wurde auch für die Mongolen die Welt größer, bunter –
und unübersichtlicher. Angesichts einer erstarkenden, von jungen Intellektuellen angeführten
Protestbewegung verzichtete die MRVP auf ihr Machtmonopol. 1992 wurde aus der Volksrepublik
schlicht die Mongolei.
Deren Bewohner blieben in ihrer Mehrzahl arm, Korruption war allgegenwärtig, vor allem junge
Leute zog es ins Ausland, nach Südkorea, Japan, in die USA oder nach Europa – oft ins
vermeintliche Traumland Deutschland. Direktinvestitionen blieben in der Mongolei selten: Zu
entlegen war das Land, ohne profitables Marktpotenzial. Das hinderte Handelsketten aus Asien,
Europa und den USA nicht, mit ihren Lieferungen einheimischen Textil- und
Nahrungsgüterproduzenten das Leben zu versauern.
Die Erkenntnis über den Rohstoffreichtum der Mongolei ist so neu nicht, wie gern kolportiert wird.
Doch stießen Erkundung und Abbau lange an technologische und infrastrukturelle Grenzen, von der
Finanzierung ganz zu schweigen. Angesichts des enorm gestiegenen Bedarfs und der Endlichkeit
der Rohstoffe in anderen Regionen sind die Schätze unter der Steppe heute jedoch derart attraktiv,
dass die Konzerne Schlange stehen, um sie heben zu können. Experten erwarten für die Mongolei
2011 ein Wirtschaftswachstum von über zehn Prozent. Das Bruttoinlandsprodukt könnte von 6,6
Milliarden US-Dollar im Jahre 2010 auf 35 Milliarden im Jahr 2020 steigen.
Als Bettler auf einem Schatzberg wird die Mongolei heute nicht mehr bezeichnet. Die Frage, wie
viele von den 2,7 Millionen Mongolen tatsächlich von den Schätzen profitieren, ist indes noch nicht
beantwortet. Und auch die Gefahr, dass die Mongolei zum bloßen Rohstofflieferanten degradiert
wird, ist noch nicht gebannt.
* Aus: Neues Deutschland, 12. Juli 2011
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