Hungerstreik im Jurtenviertel
Proteste gegen "Ausverkauf" der Mongolei dauern an
Von Renate Bormann, Ulan-Bator*
Pferde und Jurten auf dem zentralen Platz der mongolischen Hauptstadt bieten einen durchaus
ungewöhnlichen Anblick. Denn der Platz ist sonst festlichen Anlässen wie dem Empfang von
Staatsgästen oder Kranzniederlegungen am Denkmal des Revolutionsführers Damdiny Suche-Bator
vorbehalten. Werktags hasten Hauptstädter darüber, an Feiertagen schlendern sie.
Auch nachdem Ministerpräsident Mijegombyn Enchbold zwei Arbeitsgruppen eingesetzt hat, in
denen Mitgliedern der Bürgerbewegungen Sitz und Stimme angeboten wurden, dauern die Proteste
gegen die Regierung und den Ausverkauf des Landes an. Nächtliche Polizeiaktionen, bei denen die
Jurten gewaltsam abgebaut werden, haben keine nachhaltige Wirkung: Mittlerweile ist auf dem
Suche-Bator-Platz ein »Gerkhoroolol« – eine Jurtensiedlung – entstanden. Da finden Sitz- und
Hungerstreiks statt, da haben Bürgerbewegungen ihre Stabsquartiere aufgeschlagen. Das
Altaiveilchen-Violett der Bewegung »Radikalen Reformen« ist zwar verschwunden, dafür leuchtet es
weiß, orange und grün.
In den beiden Arbeitsgruppen sollen die seit 1996 vergebenen Bergbaulizenzen und die
Stabilitätsabkommen überprüft werden, die mongolische Regierungen mit ausländischen
Großinvestoren abgeschlossen haben. Gleichzeitig erwartet der Ministerpräsident Vorschläge, ob
und wie das Gesetz über Erkundung und Abbau der mongolischen Bodenschätze geändert werden
soll.
Am 18. April waren nach Angaben der Veranstalter 12 000 Anhänger aller Bürgerbewegungen – von
»Radikale Reformen« bis zum »Freien Verband der Senioren« – zum Regierungsgebäude
marschiert und hatten Regierung, Präsident und Parlament zum Rücktritt aufgefordert. Unter lauten
Beifallsbekundungen verbrannten sie lebensgroße Papierpuppen, die Präsident Nambaryn
Enchbajar, Ministerpräsident Mijegombyn Enchbold, den Parlamentspräsidenten Tsendiin Njamdorj
und Robert Friedland, den Mongolei-Chef des kanadischen Bergbau-Konsortiums Ivanhoe Mines,
darstellten. Die Protestbewegung wirft Ivanhoe Mines vor, die Schätze des Landes auszubeuten,
ohne dass es gebührend am Gewinn beteiligt wird.
Auf einem Transparent wurde Robert Friedland aufgefordert, die Mongolei zu verlassen, auf einem
anderen hieß es, die Genehmigung für den Bau einer Eisenbahntrasse durch den Südgobi-Aimag
müsse zurückgenommen werden (erteilt wurde sie chinesischen Firmen). 51 Prozent des Profits aus
Bergwerksaktivitäten im Mittel- und Südgobi-Aimag müssten in den Staatshaushalt fließen,
Stabilitätsabkommen mit ausländischen Firmen müssten gekündigt oder gar nicht erst
abgeschlossen werden.
Auf einer Kundgebung am 27. April forderten Redner der Grünen, der »Front der Ehrlichen Bürger«,
der Senioren, der Bewegungen »Meine Mongolische Erde« und »Gesunde Gesellschaft«, den
Kampf gegen eine korrupte politische und wirtschaftliche Elite fortzusetzen. Reiter mit den Fahnen
der Bürgerbewegungen flankierten die Tribüne auf einem Lastwagen, populäre Künstler bekundeten
ihre Solidarität mit den Protestierern.
Die Regierung Enchbold, erst seit 100 Tagen im Amt, könnte eigentlich unter komfortablen
Bedingungen regieren wie keine Regierung vor ihr: Die Preise für Kupfer und Gold klettern in den
Himmel, von Kritikern als Ablenkungsmanöver bezeichnete Wohltaten wie 3000 Tugrug monatliches
Kindergeld für alle (1442 Tugrug entsprechen einem Euro), 100 000 Tugrug für jedes Neugeborene,
500 000 Tugrug für junge Ehepaare und Gehaltserhöhungen für Staatsangestellte werden von den
Bürgern durchaus begrüßt. Andererseits werden Wut und Widerstand durch die
Selbstbedienungsmentalität der Mächtigen geschürt.
So fordern 720 Kleinhändler, die wegen eines Großbrands in einer Markthalle alles verloren haben,
insgesamt 3,8 Millionen Dollar Entschädigung. Die Generaldirektorin der Altjin-Gruppe (Getränke,
Supermärkte, Tankstellen) ließ zehn Hungerstreikenden medienwirksam die geforderte Summe
auszahlen, weitere 120 wurden mit 10 bis 20 Prozent des Betrags abgespeist. Die übrigen setzen
ihren Hungerstreik in zwei Jurten auf dem Suche-Bator-Platz fort.
Zwar entstehen auch neue Parks und Grünanlagen, doch überall in der mongolischen Hauptstadt
werden auf ehemals weitläufigen Höfen und Spielplätzen Hotels, Wohnanlagen und Bürogebäude
hochgezogen, die weder den Bedürfnissen der Durchschnittsmongolen entsprechen noch den
Richtlinien des Generalbebauungsplans.
Der Parlamentspräsident wird von den Unentwegten auf dem Platz mittlerweile als Held gefeiert: Er
hatte in einem Gespräch mit den Arbeitsgruppen eingeräumt, dass ein Viertel des mongolischen
Territoriums praktisch in ausländischer Hand sei. Die Verträge seien zum Nachteil des Staates und
damit der mongolischen Bevölkerung abgeschlossen worden.
Am Sonntag (7. Mai) wird der südkoreanische Präsident zum Staatsbesuch in der Mongolei erwartet. Olzod
Bum-Yalagch, Präsidiumsmitglied der Grünen, hat angekündigt, freiwillig werde der Platz nicht
geräumt werden.
* Aus: Neues Deutschland, 6. Mai 2006
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