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Streit in mongolischer Regierungspartei

MRVP verlor dramatisch an Zustimmung im Lande / Parteitag mit offenem Ausgang

Von Renate Bormann, Ulan-Bator *

»Freiheit – Ehrlichkeit – Solidarität« Unter diesem Motto tagte in dieser Woche der mit Spannung erwartete, von der innerparteilichen Opposition erzwungene 25. Parteitag der Mongolischen Revolutionären Volkspartei (MRVP).

Drei Tage sollte der Kongress dauern. In drei Arbeitsgruppen – Bevölkerungsentwicklung, Parteireformen, Staatsreformen – sollten 670 Delegierte über die Lage der Partei, deren künftigen Kurs, ein neues Parteiprogramm und ein geändertes Statut diskutieren. Auch die Wahl eines neuen Parteivorsitzenden, und damit eines neuen Ministerpräsidenten, wurde nicht ausgeschlossen.

Die MRVP ist die älteste Partei der Mongolei. Seit 1921 – mit Ausnahme der Jahre 1996 bis 2000 – stellt sie die Regierung oder bestimmt maßgeblich deren Kurs mit. In den letzten Monaten verlor sie jedoch dramatisch an Zustimmung: Zu viele ihrer Spitzenpolitiker waren in zu viele Skandale verwickelt.

Nachdem eine nach den Wahlen 2004 gebildete große Koalition mit der Demokratischen Partei Anfang 2006 geplatzt war, führt Ministerpräsident Miyegombo Enkhbold derzeit eine »Regierung der Nationalen Solidarität« an, der Minister der MRVP, der Neuen Nationalpartei, der Republikanischen Partei und der Mutterlandpartei angehören. Enkhbold, der gleichzeitig Vorsitzender der MRVP ist, betonte im Rechenschaftsbericht an den Parteitag verständlicherweise die Leistungen seiner Regierung: Das Wirtschaftswachstum belaufe sich derzeit auf 8,4 Prozent, man verfüge über Währungsreserven von einer Milliarde US-Dollar, die Infrastruktur habe sich entscheidend verbessert. In immer mehr Aimags (Bezirken) seien Steppenpisten durch asphaltierte Flugzeuglandebahnen ersetzt worden, die Investitionen in den Straßenbau und das Verkehrswesen hätten sich gegenüber 2006 mehr als verdoppelt. Im nächsten Jahr sollen alle Kreise an das Elektrizitätsnetz angeschlossen sein. Die Armut sei um 2,5 Prozent gesunken, bis Oktober 2007 seien mehr als 68 000 neue Arbeitsplätze geschaffen worden. Der Mindestlohn wurde angehoben, die Gehälter für Lehrer, Ärzte und Staatsangestellte ebenso. Allerdings stehen die neuen Gehälter bisher nur auf dem Papier. Und der Parteiführung wie den MRVP-Ministern schlägt eine Welle von Kritik entgegen: Korruption, Lügen und Postenschacher seien an der Tagesordnung.

Tatsächlich häuften sich die Skandale. Beim Brand von Großmarkthallen im Dezember 2005 verloren 700 Händler ihre Existenzgrundlage, doch die Marktbetreiberin, die der MRVP nahesteht, wurde vom Gericht von jeder Verantwortung entlastet.

Nach der Privatisierung der Sparbank wurde ein Defizit von 12 Millionen US-Dollar entdeckt. Der ehemalige Hauptbuchhalter sitzt in Untersuchungshaft, weil er das Geld in einem Seouler Spielkasino verloren haben soll. Ermittlungen gegen drei MRVP-Abgeordnete, die ebenfalls in diesem Kasino gespielt hatten, wurden eingestellt, nachdem die Mehrheit der Abgeordneten die von der Generalstaatsanwaltschaft beantragte Aufhebung der Immunität abgelehnt hatte.

Tausende Sparer verloren ihr Geld wegen der Misswirtschaft staatlich geförderter und unzureichend kontrollierter Spar- und Kreditgenossenschaften. Auf der Liste der Kreditempfänger standen prominente MRVP-Mitglieder. Ein Stadtverordneter der Partei, Inhaber einer solchen Kreditgenossenschaft, ermordete im Januar 2006 den Chef der Finanzaufsichtsbehörde. Und als beim Absturz eines Militärhubschraubers im Juni dieses Jahres 15 Rettungskräfte ums Leben kamen, übernahm kein Minister die Verantwortung, obwohl es haarsträubende Vorwürfe hagelte: Mangel an Ausrüstung und Betreuung der Retter, mangelhafte Wartung des Fluggeräts, fehlerhafte Informationen über Wetterverhältnisse und die Situation an Ort und Stelle, keine oder verspätete Gehaltszahlungen ... Die Mehrheit der MRVP-Abgeordneten lehnte eine Entlassung der zuständigen Minister für Katastrophenschutz, Transport, Tourismus und Verteidigung ab. Dazu kommen Vorwürfe über Grundstücksspekulationen und eine unkluge Geldpolitik.

Jedenfalls ist die Partei zutiefst gespalten. Aus der Mitgliedschaft wurden Forderungen nach einem rigorosen Kurswechsel und der Ablösung des Parteichefs laut. Andere kritisieren dieses Verlangen als parteischädigende Steilvorlage für den politischen Gegner. Zwischen Parteichef Enkhbold und Generalsekretär Sanjaa Bayar ist ein Machtkampf entbrannt. Der Parteitag, der eigentlich am Mittwoch zu Ende gehen sollte, debattierte auch am späten Donnerstagabend noch über das Statut, und niemand wagte vorauszusagen, wann die Delegierten in ihre Heimataimags zurückkehren. Der Passus, wonach der Parteivorsitzende im Falle eines Wahlsieges zum Ministerpräsidenten nominiert wird, wurde auf Druck der Mehrheit der Delegierten gestrichen. Und um bei Parlamentswahlen zu kandidieren, muss man nicht mehr – wie von der Parteimitgliedschaft vorgeschlagen – mindestens fünf Jahre MRVP-Mitglied sein, sondern nur noch ein Jahr. Die von den einen gefürchtete und von anderen erhoffte Parteispaltung wird wohl ausbleiben.

Am Donnerstag war der ehemalige Ministerpräsident Puntsagiin Jasrai kurz nach Beginn der Parteitagssitzung im Kulturpalast von Ulan-Bator tot zusammengebrochen. Am Montag hatte er noch gemeinsam mit den anderen Delegierten Parteimitbegründer Suche Bator und »Staatsgründer« Dschingis Khan auf dem Suche-Bator-Platz geehrt.

MRVP

Die Mongolische Revolutionäre Volkspartei, 1921 gegründet, war zu Zeiten der Mongolischen Volksrepublik - bis 1990 - die einzige Partei des Landes. Inzwischen begreift sie sich als sozialdemokratisch und ist Mitglied der Sozialistischen Internationale. Sie zählt offiziell 161 500 Mitglieder.



*Aus: Neues Deutschland, 27. Oktober 2007


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