Krach im Großen Staatshural der Mongolei
MRVP vor einer Zerreißprobe: Wird der Parlamentspräsident seines Amtes enthoben?
Von Renate Bormann, Ulan-Bator *
Am heutigen Donnerstag (31. Mai) sollen die Abgeordneten des Großen Staatshurals, des mongolischen
Parlaments, über das politische Schicksal ihres Vorsitzenden abstimmen. Tsendiin Nyamdorj wird
vorgeworfen, eigenmächtig Korrekturen an verabschiedeten Gesetzen vorgenommen zu haben.
Der studierte Jurist Tsendiin Nyamdorj, vormals Justiz- und Innenminister, ist sich keiner Schuld
bewusst: »Ich habe lediglich stilistische und orthografische Änderungen vorgenommen. Dazu war
ich von den Abgeordneten bevollmächtigt.«
Konkret geht es um das novellierte Bergbaugesetz vom Juli 2006 und das Antikorruptionsgesetz. Ein
halbes Jahr lang hatte sich zwar niemand um Nyamdorjs »Schönheitsreparaturen« gekümmert,
dann aber stieß ein aufmerksamer Internetnutzer auf die Unterschiede zwischen veröffentlichten und
protokollierten Texten – und die Demontage des formal zweitmächtigsten Mannes der Mongolei
nahm ihren Lauf.
Feinde hatte er sich genügend gemacht: Gegen den Widerstand von Präsident und
Ministerpräsident sorgte er dafür, dass die Amtszeit des Präsidenten der Mongolbank nicht
verlängert wurde. Den mächtigen ehemaligen Finanzminister Ulaan beschuldigte er der
Unterschlagung von 20 Millionen US-Dollar. Nicht alle Abgeordneten des Staatshurals empfinden
die etwas rüde Art, wie ihr Vorsitzender Zeitüberschreitungen bei Redebeiträgen ahndet, oder seine
ironischen Kommentare als besonders motivierend. Und die oppositionelle Demokratische Partei ist
schon aus politischen Gründen für den Rücktritt des Parlamentschefs, der die fast allein regierende
Mongolische Revolutionäre Volkspartei (MRVP) vertritt.
Dennoch schien die Angelegenheit schon erledigt. Das Verfassungsgericht stellte in einem
Urteilsspruch im April zwar eine erhebliche Verletzung des Grundgesetzes durch Nyamdorj fest, die
Parlamentsmehrheit entschied jedoch für den Verbleib des gemaßregelten Vorsitzenden im Amt.
Aber seine Feinde fanden sich damit nicht ab: Sie riefen das Verfassungsgericht erneut an, und
dessen Vorsitzender bekräftigte am 25. Mai nach Diskussionen, die bis in die späten Abendstunden
dauerten, das »Urteil«, das wie eine Bombe einschlug: Nyamdorj habe gegen die Verfassung
verstoßen, damit sei der Grund für eine Amtsenthebung gegeben.
Nun müssen die 76 Abgeordneten in geheimer Abstimmung erneut darüber entscheiden, ob
Nyamdorj zurücktreten muss oder nicht. Auf ihren Beschluss fällt bereits der lange Schatten der
Parlamentswahlen im nächsten Jahr. Der MRVP steht eine Zerreißprobe bevor: Es ist kein
Geheimnis, dass es innerhalb der Partei brodelt. Bisher demonstrierte sie nach außen immer noch
Geschlossenheit, doch mittlerweile streben zu viele ihrer Funktionäre nach Posten in der Regierung
oder in deren Behörden, zu viele wollen als Kandidat für die nächsten Wahlen aufgestellt werden.
Die Interessen der Partei und des Landes geraten da schnell ins Hintertreffen.
Als stärkste Fraktion kann die MRVP im Falle des Falles auch den nächsten
Parlamentsvorsitzenden stellen. Also wurde bereits über einen Nachfolger für Nyamdorj spekuliert.
Beste Aussichten hat Fraktionschef Doloonjin Idevkhten, doch der ist in undurchsichtige
Bergbaulizenzgeschäfte verstrickt. Die Regierung unter Ministerpräsident Miegombyn Enchbold hat
gerade einen Kooperationsvertrag zwischen einem russischen und einem mongolisch-russischen
Unternehmen über die Ausbeutung einer Silberlagerstätte außer Kraft gesetzt – sehr zum Verdruss
von Staatspräsident Nambaryn Enchbayar. Opfer von Spar- und Kreditgenossenschaften belagern
die MRVP-Zentrale. Sicherheitskräfte kontrollieren jeden Besucher.
»Ausnahmezustand im MRVPGebäude
«, titeln mongolische Zeitungen und fragen: »Ist das Ende der 80 Jahre alten Partei nahe?«
So schlimm wird es nicht kommen, aber ein geruhsames Naadam – das mongolische Nationalfest –
darf die Partei, die das Land bis auf die Jahre 1996-2000 stets regierte, nicht erwarten.
* Aus: Neues Deutschland, 31. Mai 2007
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