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Moldova vor neuem erbitterten Wahlkampf

Opposition boykottierte Präsidentenwahl

Von Irina Wolkowa, Moskau *

60 von 101 Mandaten hatte die regierende Partei der Kommunisten Moldovas bei den Parlamentswahlen Anfang April errungen. 61 Stimmen aber hätte sie gebraucht, um ihre Kandidatin – die bisherige Regierungschefin Sinaida Greceanii – auf den Präsidentensessel zu heben. Das Staatsoberhaupt wird in Moldova nicht direkt, sondern von der Nationalversammlung gewählt, und zwar nicht mit einfacher, sondern mit Dreifünftelmehrheit. Die Opposition aber – drei liberale Parteien, die zusammen auf 41 Sitze kommen – ließ sich auf keinerlei Verhandlungen ein und boykottierte die Abstimmung. Der Grund: Vorwürfe wegen Wahlfälschung. Sie waren bereits am 7. April – zwei Tage nach dem Urnengang – Anlass für schwere Unruhen in der Hauptstadt Chisinau gewesen. Tausende hatten Autos in Brand gesteckt, Schaufenster demoliert, das Parlament und den Präsidentensitz verwüstet.

Wer die Drahtzieher waren, ist bis heute strittig. Der bisherige Präsident Wladimir Woronin, der nach zwei Amtsperioden nicht mehr antreten darf, bis zur Wahl eines Nachfolgers aber kommissarisch amtiert, hatte Rumänien dafür verantwortlich gemacht: Bukarest habe oppositionelle Jugendorganisationen für einen Staatsstreich aufgerüstet. In der Tat hatten viele bei dem Aufruhr rumänische. Flaggen geschwenkt und die Vereinigung mit dem Nachbarland gefordert.

Die Opposition dagegen verdächtigt als Anstifter die Kommunisten. Sie hätten damit von gefälschten Wahlen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen und dem Verrat nationaler Interessen im Streit um die abtrünnige Dnjestr-Republik ablenken wollen. Die von Russen und Ukrainern bewohnte Region am östlichen Dnjestr-Ufer hatte sich 1992 nach blutigen Kämpfen für unabhängig erklärt. Bei Verhandlungen unter der Schirmherrschaft von Russlands Präsident Dmitri Medwedjew im März war Woronin den Separatisten in mehreren Punkten entgegengekommen.

Zwar ließ die KP, obwohl internationale Beobachter die Wahlen als fair bezeichneten, die Stimmen neu auszählen. Die Opposition aber drängte von Anfang an auf Neuwahlen. Die Kommunisten, so Vlad Filat, Chef der Liberalen Partei, hätten nicht die Ergebnisse gefälscht, sondern die Wählerlisten. Daher hätten Zehntausende Tote und Emigranten »abgestimmt«.

Die Opposition boykottierte daher Ende Mai bereits den ersten Versuch, einen neuen Präsidenten zu wählen. Hoffnungen der KP auf Abweichler aus dem gegnerischen Lager gingen auch beim zweiten Wahlgang am Mittwoch nicht auf. Woronin muss daher das Parlament auflösen. Die Verordnung dazu will er am 10. Juni unterzeichnen – gleich nach der Wahl eines Regierungschefs, für die 52 Stimmen reichen. Binnen 45 Tagen müssen dann Neuwahlen stattfinden.

Sollte die Opposition siegen, stünde Moldova ein außenpolitischer Kurswechsel bevor. Bisher um gleiche Nähe zu Moskau und zum Westen bemüht, dürfte Chisinau dann vehement in NATO und EU drängen. Auch die Vereinigung mit Rumänien könnte dann erneut aktuell werden und Europa in einige Verlegenheit bringen.

Allerdings finden die Wahlen mitten im Sommer statt. Besserverdienende – die Klientel der Liberalen – machen dann Strandurlaub im Ausland. Zu Hause bleiben nur Arme und Rentner – und die wählen die Kommunisten.

* Aus: Neues Deutschland, 5. Juni 2009


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