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Moldawien hat gewählt

Es bleibt wohl alles beim Alten

Im Folgenden dokumentieren wir Auszüge aus den wenigen Artikeln, die sich mit der Wahl in der Republik Moldawien befassen. Offenbar kein weltbewegendes Thema, doch die kleine Republik mit rund 4 Millionen Einwohnern und zwei nicht unbedeutenden nationalen Minderheiten (Ukrainer und Russen mit jeweils rund 13 %) führt ein interessantes Eigenleben zwischen den regionalen Hegemonen Russland, Ukraine und Rumänien.

Der Wiener Standard stellte in einem Artikel (Online-Ausgabe vom 7. März 2005) fest, dass die Wahlen in Malodawien alles in allem korrekt verlaufen sind.
(...) Die moldawischen Parlamentswahlen vom Sonntag haben im Allgemeinen den meisten Kriterien des Europarates und der OSZE sowie anderen internationalen Standards für Wahlen entsprochen. Dies teilte die Internationale Wahlbeobachtungsmission (IEOM) am Montag in einer Aussendung mit. Die Mission stellte jedoch fest, dass einige wichtige Verpflichtungen nicht erfüllt worden seien, besonders in Bezug auf Wahlkampfbedingungen und Medienzugang.
(...)
Die etwa 500-köpfige Wahlbeobachtungsmission setzte sich aus Delegationen der Versammlungen des Europarates und der OSZE zusammen, sowie aus Delegationen des Europäischen Parlaments und des Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte (OSZE/BDIMR). <(...)
Der Wahltag selbst verlief nach den Beobachtungen "ruhig und geordnet". In 80,4 Prozent der 1.400 besuchten Wahlbüros wurde von den Beobachtern ein positives Urteil gegeben. Allerdings wurde bei der Auswertung der Stimmzettel die Anwesenheit einiger "nicht autorisierter Personen" festgestellt. Auch bei der Anwendung der Wahlregeln wurden einige Widersprüchlichkeiten festgestellt, so die Aussendung.

In einem weiteren Artikel im Standard (Printausgabe vom 8. März) heißt es u.a.:
(...) Am Sonntagabend war Serafim Urechean, Bürgermeister von Chisinau, noch zuversichtlich, nächster Präsident der Republik Moldau zu werden. Das von ihm geführte Wahlbündnis, der Block Demokratisches Moldau (BMD), hatte mehr als 28 Prozent der Stimmen gewonnen. Ein wenig gelbe Revolution.
Er sei offen für eine Koalition - "nur nicht mit den Kommunisten", meinte der Mann, der jahrelang zu den Führungskräften in der Partei zählte. Am Montag sahen die Chancen für Urechean dann schlechter aus. Die regierenden Kommunisten haben zwar nicht mehr jene 61 Sitze im Parlament, die notwendig sind, um den Präsidenten zu wählen - mit wahrscheinlich 56 Sitzen (46,09 Prozent der Stimmen) kommen sie dem jedoch sehr nahe.
Und eine Koalition zwischen den anderen Parlamentsparteien, der BMD und den Christdemokraten (PPCD), käme nur auf etwa 45 Parlamentarier, hätte also bei weitem keine Mehrheit. Die PPCD, die nach der Revolution in der Ukraine ganz auf die orange Karte setzte, blieb mit nur neun Prozent der Stimmen weit unter den Erwartungen. "Für die Kommunisten scheint es nun nicht sehr schwer zu sein, die fehlenden Stimmen für die Wiederwahl Wladimir Woronins zu bekommen", meint Viorel Cibotaru vom Politikinstitut IPP in Chisinau. So könnten einige BMD-Mandatare aus dem antikommunistischen Wahlbündnis ausscheren.
(...) In der BMD tummeln sich liberale, konservative und sozialdemokratische Kräfte. Diffus ist aber auch die Beziehung der BMD zu Russland. Urechean beteuert zwar, sein Blick sei Richtung EU (Beitrittswunschjahr 2010) gerichtet. Er freue sich über die Unterstützung Rumäniens in dieser Hinsicht und erwarte, "dass die EU, die USA und Rumänien in die Verhandlungen um den Transnistrienkonflikt einbezogen werden", sagte er zum STANDARD. Gleichzeitig beruht der Wahlsieg der BMD aber auch auf massiver Unterstützung durch die alte Sowjetgarde in Transnistrien.
Aus der Region jenseits des Dnjestr, die sich nach einem Bürgerkrieg 1992 und mit Hilfe der 14. russischen Armee abspaltete, wurden die Wähler mit Bussen zu den Wahllokalen an der Grenze gekarrt.
"Die Strategie der Russen war es, das Monopol der Kommunisten hier zu brechen und die Macht zu verteilen. Das Beste für Russland ist ein schwaches Moldau", meint Politikwissenschafter Cibotaru. Ob das Monopol der Kommunisten tatsächlich gebrochen ist, wird sich Ende März erweisen, wenn das Parlament den Präsidenten wählen soll. (...)

Florian Hassel berichtet für die Frankfurter Rundschau (8. März 2005):
(...) Moldawien ist die einzige ehemalige Sowjetrepublik mit einem mächtigen Parlament - auch den Präsidenten wählen die Abgeordneten. Allerdings ist dafür eine Drei-Fünftel-Mehrheit nötig. Die Kommunisten kommen im Parlament voraussichtlich auf 56 von 101 Sitzen - fünf zu wenig. Präsident Wladimir Woronin muss deshalb als Preis für seine Wiederwahl Mitglieder der Opposition in die Regierung aufnehmen. "Dies ist eine rein technische Frage für die Kommunisten, die keine Probleme haben werden, sich mit der Opposition zu einigen", kommentierte der Politologe Wladimir Rasuwajew.
(...)
Eine wie bisher von den Kommunisten dominierte Regierung wird nun versuchen, Moldawien, das ärmste Land Europas, näher an die EU heranzuführen. Gleichzeitig muss Präsident Woronin das zerrüttete Verhältnis zu Moskau reparieren: Er hatte während des Wahlkampfes mehrere Dutzend Russen wegen angeblicher Einmischung in die moldawische Politik ausgewiesen. Das russische Parlament forderte noch am Freitag vergangener Woche Wirtschaftssanktionen gegen Moldawien.

Einen etwas ausführlicheren Bericht haben wir in der "jungen Welt" gelesen, den wir im Folgenden dokumentieren:

Rot bleibt dran

Moldawien: Kommunisten verteidigten absolute Mehrheit. Abfuhr für "orange" und Achtungserfolg für Sozialisten

Von Bertolt Weber


Es war eine lange Wahlnacht in Moldawien, an deren Ende ein Sieg der Kommunisten stand. Bei einer Wahlbeteiligung von 63,7 Prozent behauptete sich die regierende »Partei der Kommunisten der Republik Moldova« (PCRM) mit 46 Prozent der Stimmen unerwartet deutlich als stärkste Partei. Trotz Verlust von 16 Sitzen im Parlament reichen 55 von 101 Sitzen zur absoluten Mehrheit. Präsident Wladimir Woronin benötigt für seine Wiederwahl durch das Parlament allerdings eine Drei-Fünftel-Mehrheit.

Der Erfolg kam nicht überraschend, da die Regierung doch ansehnliche Erfolge vorzuweisen hatte. Als sie 2001 erstmals Wahlen gewann, hatten ihre Vorgänger das Land heruntergewirtschaftet. In den vier Jahren der Regierung Woronin verdoppelte sich die Industrieproduktion, die Landwirtschaft legte um 50 Prozent zu, 100000 neue Arbeitsplätze wurden geschaffen, die Reallöhne, Renten und Stipendien verdoppelten sich, die Gesundheitsversorgung wurde spürbar verbessert.

Der wichtigste Gegner der Kommunisten, das nationalistische Wahlbündnis »Demokratisches Moldova« (BMD), schnitt mit 29 Prozent (35 Sitze) deutlich besser ab, als nach Meinungsumfragen zu erwarten war. Zuletzt war BMD in Umfragen bis auf 13 Prozent gesunken. Das unerwartet gute Abschneiden verdankt die BMD sicherlich der offenen Parteiname des Kreml für ihren Spitzenkandidaten, den Chisinauer Bürgermeister Serafim Urechean. Auch unternahm die Regierung der abtrünnigen »Dniestr Demokratischen Republik« (DMR) in Tiraspol einen 180-Grad-Schwenk: Da sie von der Republik Moldova nicht anerkannt wird, dürfen die Bewohner Transnistriens an den Moldava-Wahlen teilnehmen. Für sie wurden spezielle Büros unter der Kontrolle Chisenaus eingerichtet. Nachdem die Regierung in Tiraspol dies zunächst als »feindlichen Akt« bezeichnet hatte, forderte sie ihre Bürger im letzten Moment auf, zur Wahl zu gehen und für die BMD zu stimmen.

Außerdem wurden die Wähler von den zuletzt immer schriller werdenden Tönen der »Christlich Demokratischen Volkspartei« (CDPP) abgeschreckt. Diese, ganz auf die Farbe orange setzend, erhielt nicht nur massive finanzielle und personelle Wahlkampfhilfe aus dem Ausland, sie wurde in den westlichen Medien auch zur »demokratischen Opposition« schlechthin hochstilisiert. Noch unmittelbar vor der Wahl hatte der Parteivorsitzende Iurie Rosca gedroht, die »Revolution« in Moldawien würde die in Georgien und der Ukraine noch in den Schatten stellen. Außerdem forderte die Partei im Wahlprogramm, die bestehenden Verträge mit Rußland zu kündigen, sowie die regierenden Kommunisten als »Komplizen des russischen Besatzungsregimes und der Verbrecher von Tiraspol« vor Gericht zu stellen. Tiraspol ist die Hauptstadt der abtrünnigen »Dniestr Moldawischen Republik«. An dieser Art »Revolution« war den Moldawiern offenbar wenig gelegen. Die CDPP landete mit 9,1 Prozent (11 Sitze) weit abgeschlagen auf Platz drei.

Einen Achtungserfolg erzielte mit 5,2 Prozent das Wahlbündnis »Patria-Rodina« (EBPR), das sich aus der »Sozialistischen Partei von Moldova« (SPM) und der sich 1996 von dieser abgespaltenen »Partei der Sozialisten der Republik Moldova« (PSRM) zusammensetzt. Als einzige politische Kraft votierten sie gegen eine Westausrichtung Moldawiens und plädierten für eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit den Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Obwohl auch das EBPR-Bündnis – wie alle angetretenen Parteien und Listen – für ein vereintes Moldawien eintrat, forderte sie die vorherige Anerkennung des Rechts auf Selbstbestimmung für die Bewohner Transnistriens.

Aus: junge Welt, 8. März 2005


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