Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Präsident a. D. Wladimir Woronin (68) lehnt den Kurs der Parlamentsmehrheit in Moldova ab

Von Detlef D. Pries *

Entschieden lehne er den Weg ab, auf den die gegenwärtige Parlamentsmehrheit die Republik Moldova führen wolle. Deshalb werde er »in dieser für die Heimat und unsere Partei kritischen Stunde« nicht in der zweifelhaften Position eines geschäftsführenden Präsidenten verbleiben. Mit diesen Worten verabschiedete sich der Vorsitzende der Partei der Kommunisten Moldovas (PCRM), Wladimir Woronin, am Mittwoch (2. Sept.) aus dem höchsten Staatsamt.

Woronin war am 4. April 2001 erstmals zum Präsidenten gewählt worden. Zuvor hatte seine PCRM Parlamentswahlen mit großer Mehrheit gewonnen. Vier Jahre später wurde er im Amt bestätigt. Der studierte Nahrungsmittelingenieur, der Karriere im Partei- und Staatsapparat der Moldauischen SSR machte, 1989/90 Innenminister der Republik war und seit 1994 an der Spitze der PCRM steht, versprach bei seiner Wahl unter anderem die Beendigung des Konflikts mit der abtrünnigen Dnjestr-Republik. Woronin selbst stammt aus jenem Gebiet, in dem Russen und Ukrainer die Mehrheit bilden. Er selbst ist Moldauer, seinen Nachnamen verdankt er einem russischen Stiefvater. Der Konflikt jedoch ist bis heute nicht gelöst. 2003 lehnte Woronin nach westlicher Intervention und Protesten rumänisch-moldauischer Nationalisten einen russischen Lösungsvorschlag in letzter Minute ab.

Den prowestlichen Nationalisten war das nicht genug. Als Woronin in diesem Jahr kein drittes Mal für das Präsidentenamt kandidieren durfte, vereitelte die Opposition durch Parlamentsboykott die Wahl eines Nachfolgers. Seither amtierte Woronin nur noch geschäftsführend. Nach der zweiten Parlamentswahl in diesem Jahr verfügt eine Vierparteienkoalition »Für die europäische Integration« über die Mehrheit. Sie wählte am 28. August den Liberalen Mihai Ghimpu zum Parlamentschef. Ghimpu, dem durch Woronins Rücktritt auch die Rolle des kommissarischen Staatspräsidenten zufällt, gilt als Verfechter einer Vereinigung Moldovas mit Rumänien. Das ist der Weg, den Woronin »entschieden ablehnt«. Über 61 Abgeordnete, die einen ordentlichen Präsidenten wählen müssten, verfügt indes auch die neue Mehrheit nicht. Ihr Kandidat ist Marian Lupu – der erst im Sommer von der PCRM zur Opposition übergelaufen war...

* Aus: Neues Deutschland, 4. September 2009


Moldawiens Parlamentschef Ghimpu will moldawischen Staat auflösen **

CHISINAU, 5. September (RIA Novosti). Der neue moldawische Parlamentspräsident Mihai Ghimpu hat die Treue zur Idee der Vereinigung seines Landes mit dem benachbarten Rumänien bekräftigt.

"Ich bleibe Anhänger der Vereinigung", sagte Ghimpu am Samstag (5. Sept.) einem Kanal des moldawischen Internet-Fernsehens. "Diese Idee wurde von mir als einem Menschen unterbreitet, der die Geschichte gut kennt", fügte er hinzu.

Am vergangenen Mittwoch (2. Sept.) hatte Präsident Vladimir Voronin bekanntgegeben, dass er sein Amt noch vor der Präsidentenwahl niederlegen und Parlamentsabgeordneter bleiben wird. Gemäß der Landesverfassung wird Ghimpu Interimspräsident, bis ein neuer Staatschef gewählt wird.

Am Dienstag, dem 8. September, soll das moldawische Verfassungsgericht über die Legitimität der Wahl Ghimpus zum Parlamentschef entscheiden. Ein entsprechender Antrag war von der Kommunistischen Partei Voronins gestellt worden, die gegen Ghimpus Wahl protestieren, weil die Entscheidung in Abwesenheit der Kommunistenfraktion im Parlament getroffen wurde. Sollte das Gericht der KP stattgeben, wird die Wahl des Parlamentschefs neu aufgelegt.

Beobachter befürchten, dass der Kampf um das Amt des Parlamentspräsidenten die Regierungskoalition spalten kann, zu der Vertreter von vier politischen Kräften (ohne Kommunisten) gehören. Die KP könnte mit einem (oder mehreren) Opponenten eine linkszentristische Anti-Krisen-Koalition bilden, auf deren Idee die von Voronin geführte Partei bislang nicht verzichtet hat.

Das gegenwärtige Parlament wurde nach der vorgezogenen Wahl vom 29. Juli gebildet, weil das bisherige am 5. April gewählte Parlament den Präsidenten nicht wählen konnte und von Voronin aufgelöst wurde. Für die Wahl des Staatschefs sind 61 Stimmen der Parlamentarier erforderlich. Im früheren Parlament fehlte den Kommunisten eine Stimme, um ihre Kandudatur duchzusetzen. Im gegenwärtigen Parlament haben die Kommunisten nur 48 Sitze. Auch die Liberalen und Demokraten werden gemeinsam nicht auf die erforderliche Stimmenmehrheit kommen, weil ihnen mindestens acht Stimmen fehlen werden. Wenn der Präsident auch vom gegenwärtigen Parlament nicht gewählt wird, sollen neue Parlamentswahlen ausgetragen werden.

Laut Verfassung dürfen Wahlen im Laufe eines Jahres höchstens zwei Mal durchgeführt werden. Da das Limit für 2009 bereits abgeschöpft ist, wird die eventuelle Parlamentswahl in Moldawien erst 2010 ausgetragen.

** Aus: Russische Nachrichtenagentur RIA Novosti, 5. September 2009; http://de.rian.ru


Woronins Paukenschlag

Moldawiens kommissarischer Präsident tritt "in kritischer Stunde" zurück

Von Tomasz Konicz ***


Moldawiens Staatschef Wladimir Woronin sorgte Mitte vergangener Woche für einen politischen Paukenschlag. Er habe »in dieser kritischen Stunde« nicht vor, in der »zweifelhaften Position des kommissarischen Präsidenten zu bleiben,« erklärte der 68jährige Vorsitzende der Kommunistischen Partei (PKRM) in der Hauptstadt Chisinau. Es gebe weder »moralische noch politische Gründe«, die Funktion weiter auszuüben, meinte er. Deshalb werde er als einfacher Abgeordneter im Parlament agieren, zitierte die russische Nachrichtenagentur RIA-Nowosti aus der Erklärung des Präsidenten. Dieser darf zwar laut Verfassung nach zwei Amtsperioden nicht wieder kandidieren, befindet sich wegen der instabilen Lage im Land trotzdem weiter im Amt.

In diesem Jahr fanden bereits zwei Parlamentswahlen in dem als Europas Armenhaus geltenden Moldawien statt. Bei der von schweren Ausschreitungen nationalistischer und prowestlicher Kräfte überschatteten Abstimmung am 5. April konnte die PKRM eine Mehrheit von 60 der 101 Parlamentssitze erringen. Für die die Wahl des Präsidenten sind allerdings 61 Ja-Stimmen notwendig, und die gesamte Opposi­tion boykottierte die beiden Parlamentssitzungen, auf denen über die Nachfolge Woronins entschieden werden sollte. Folglich mußte am 29.Juli erneut gewählt werden. Diesmal errangen die auf eine schnelle Westintegration Moldawiens drängenden Kräfte eine Mehrheit von 53 Sitzen, die lediglich für die Bildung einer Regierungskoalition reicht. Das Patt bei der Besetzung des mit enormen Machtbefugnissen ausgestatteten Präsidentenamtes bleibt aber bestehen.

Woronin lehnte nun in seiner Erklärung den prowestlichen Weg, den die Vier-Parteien-Koalition »Für die europäische Integration« einschlagen will, vehement ab. Zuvor hatte der neu gewählte Parlamentssprecher Mihai Ghimpu in einem Fernsehinterview erklärt, daß er eine Vereinigung Moldawiens mit Rumänien befürworte. Ausgerechnet Ghimpu, zugleich Vorsitzender der Liberalen Partei, wird nach Woronins Rücktritt nun in das Amt des Staatsoberhaupts aufrücken -- bis das Parlament einen neuen Präsidenten bestimmt oder erneut Wahlen ausgeschrieben werden müssen. Beobachter gehen davon aus, daß der populäre Woronin gerade darauf spekuliert: Sollte Ghimpu einige Monate als kommissarischer Präsident fungieren, könnte Woronin bei Neuwahlen erneut als Präsidentschaftskandidat antreten.

Daß die Kommunisten eine ähnliche Blockadehaltung im Parlament einnehmen können, wie es zuvor die prowestlichen Kräfte taten, zeigten sie bei der Wahl des Parlamentssprechers Ghimpu: Die gesamte PKRM-Fraktion blieb der Abstimmung fern. Zudem strengten sie eine Verfassungsklage wegen formeller Fehler bei der Durchführung des Votums an. Ghimpu erklärte bereits, sich der Entscheidung des Verfassungsgerichts fügen zu wollen.

Eine zentrale Funktion beim weiteren Vorgehen der prowestlichen Regierungskoalition kommt Marian Lupu zu, dem ehemaligen Kommunisten und jetzigen Vorsitzenden der Demokratischen Partei. Dieser soll als Präsidentschaftskandidat im Parlament antreten. Lupu schied erst im vergangenen Sommer nach einem Machtkampf mit Woronin aus der PKRM aus und lief zur damaligen Opposition über. Der ehemals einflußreiche, in bürgerlichen Medien als »reformorientiert« verortete Politiker verfügt nach Ansicht vieler Beobachter immer noch über einen gewisse Anhängerschaft innerhalb der KP. Die Vier-Parteien-Allianz spekuliert folglich darauf, daß es Lupu, der noch bis Mai diesen Jahres kommunistischer Parlamentssprecher war, am ehesten gelingt, mindestens acht KP-Abgeordnete zu seiner Wahl als künftigen Präsidenten zu bewegen.

*** Aus: junge Welt, 7. September 2009


Zurück zur Moldawien-Seite

Zurück zur Homepage