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Neue Stimme für Zapatisten

Mexiko: EZLN-Sprecher Marcos zieht sich zurück, um einer neuen Generation Platz zu machen

Von Lena Kreymann *

Subcomandante Marcos gibt es nicht mehr. Der bekannte Sprecher und Militärführer der Zapatistischen Befreiungsarmee (EZLN) richtete sich am vergangenen Sonntag im autonomen Verwaltungssitz La Realidad in Mexiko ein letztes Mal an die Öffentlichkeit. Den Anlaß für diesen schon länger vorbereiteten Schritt bot die Trauerfeier für den Zapatisten José Luis Solís López »Galeano«, der dort am 2. Mai bei einem Angriff von Regierungsanhängern getötet worden war. »Wir denken, einer von uns muß sterben, damit Galeano lebt«, erklärte Marcos, »deswegen haben wir entschieden, daß Marcos heute aufhört zu existieren.«

Der Subcomandante hatte den Medien jahrelang mit poetischen Erklärungen die Anliegen der indigenen Bauernbewegung im südöstlichen mexikanischen Bundesstaat Chiapas vermittelt. Da er stets nur mit Sturmhaube und Pfeife ausgerüstet auftrat, hatte es um seine Identität zahlreiche Diskussionen gegeben. In seiner auf der Internetseite der Zapatisten veröffentlichten Rede betonte der Sprecher jedoch, daß es sich bei der Figur um ein »Narrenkostüm« handle, um eine konstruierte Persönlichkeit, mit der die Indigenen »die Moderne in einer ihrer Bastionen, den Medien, herausgefordert hätten«. Die mexikanische Regierung will ihn als den 1957 geborenen Rafael Sebastián Guillén identifiziert haben, was Marcos bestritt.

Er erläuterte die Gründe der indigenen Bauernbewegung, sich von der Figur »Marcos« zu verabschieden. Dies ergebe sich »aus internen Veränderungen, die die EZLN durchgemacht hat und immer noch erlebt«. Dabei kritisierte er auch, wie sich seine eigene Rolle innerhalb der Organisation verändert hatte; die Figur Marcos sei »von einem Sprecher zu einer Ablenkung geworden«. In den Medien und innerhalb der Solidaritätsbewegung war er zu einem Symbol des zapatistischen Widerstands geworden, was nicht selten zu einem romantisch verklärten Personenkult um den poetischen Rebellen geführt hatte.

Gleichzeitig entkräftete er Gerüchte, sein Abschied hätte mit einer Erkrankung zu tun. »Ich bin nicht, noch war ich krank, noch bin oder war ich tot«, erklärte Marcos. Er hatte sich in den vergangenen Jahren zunehmend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Dies hatte Mutmaßungen über eine schwere Krankheit oder gar seinen Tod ausgelöst. Auch eine Schwächung der Zapatisten bestritt Marcos als Grund für seinen Rückzug. Diese seien »nicht geschwächt, noch viel weniger verschwunden, sondern vielmehr quantitativ und qualitativ gewachsen«. Es gebe eine neue Generation, die »uns auf Augenhöhe gegenübertreten kann, uns zuhören und zu uns sprechen kann, ohne Führung zu erwarten oder Unterwerfung vorzuspielen«. Außerdem wies er darauf hin, daß es Verschiebungen bezüglich der ethnischen Zusammensetzung und der Klassenzugehörigkeit gebe – hin zu den »indigenen Bauern«.

Seine Nachfolge als Stimme der EZLN tritt der Subcomandante Insurgente Moisés an, ein Indigener der Tzeltal-Volksgruppe. Wie die spanische Tageszeitung ABC berichtete, unterstützte er Marcos bereits seit Anfang des vergangenen Jahres offiziell als Sprachrohr der Organisation. Der zapatistischen Bewegung gehört Moisés aber bereits seit ihren Anfängen im Jahr 1983 an, auch beim bewaffneten Aufstand 1994, dessen 20. Jahrestag die EZLN am 1. Januar dieses Jahres gefeiert hatte, spielte er eine entscheidende Rolle.

Innerhalb von zwölf Tagen eroberten die schlecht ausgerüsteten indigenen Bauern im Kampf mit der Regierungsarmee damals zahlreiche Gebiete in Chiapas, die sie heute basisdemokratisch verwalten. Das Land der geflohenen Großgrundbesitzern wurde unter den Zapatisten verteilt, innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte haben sie dort Schulen errichtet und ein Gesundheitssystem aufgebaut. In den vergangenen Jahren wurde es immer stiller um die indigene Bauernbewegung, doch mit der »kleinen zapatistischen Schule«, drei Lehrgängen über die zapatistischen Strukturen zwischen August letzten Jahres und vergangenem Januar, an denen sich über 4000 Menschen aus der ganzen Welt beteiligten, demonstrierten die Zapatisten ein Wiedererstarken der Organisation. Gleichzeitig nimmt die staatliche Repression gegen die Bewegung seit Jahresbeginn wieder zu. Ein Beispiel dafür ist der Angriff auf La Realidad, bei der nicht nur Galeano von der regierungsnahen Bauernorganisation CIOAC-H getötet, sondern auch über ein Dutzend EZLN-Kämpfer verletzt wurde.

* Aus: junge Welt, Freitag 30. Mai 2014


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