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UN-Klimagipfel: Sauberer Strom, unsaubere Praktiken

Gipfelgastgeber Mexiko setzt auf den Ausbau der Windenergie – zum Wohle von Unternehmen aus Europa

Von Markus Plate, Mexiko-Stadt *

Die Stromerzeugung aus Windenergie boomt. In den letzten sechs Jahren hat sich die weltweit installierte Leistung fast verdreifacht. Auch wenn immer noch 90 Prozent des aus Windenergie produzierten Stroms aus der EU, den USA, China und Indien stammen: Andere Weltregionen holen auf, auch Lateinamerika. Vor allem in Mexiko, dem Gastgeberland der Weltklimakonferenz im karibischen Badeort Cancún, schießt seit drei Jahren ein Windpark nach dem anderen aus dem Boden. Doch so sauber wie das Image der Windenergie ist, läuft das Geschäft auf der Landenge zwischen Golf und Pazifik nicht.

Wenn Felipe Calderón telegen einen Windpark eröffnet, ob bei Eiseskälte oder im gleißenden Sonnenlicht, aber immer mit gewaltig viel Wind auf dem Mikrofon, dann präsentiert sich Mexikos Präsident als Visionär und Macher zugleich. Sein Land werde sich in wenigen Jahren vom Erdölproduzenten zum grünen Hochtechnologieland entwickeln, »denn wir glauben, dass die Menschheit nur dann eine Zukunft hat, wenn sie auf nachhaltige Energie setzt«. Sagt der Präsident der 110-Millionen-Einwohner-Nation, deren Erdölvorräte nebenbei zur Neige gehen.

Ob Windenergie, Wasserkraft, Biogas oder Photovoltaik – auf der Technologiemesse »Green Expo« –, in Mexiko-Stadt ist das grüne Image, das der Präsident seinem Land verpassen will, längst gelebte Geschäftspraxis. Zehn Prozent seines Stromverbrauchs will Mexiko in naher Zukunft aus Windenergie decken, und mit dem Isthmus von Tehuantepec, der kürzesten Landverbindung zwischen Golf von Mexiko und Pazifik, verfüge man über einen der drei weltweit besten Orte für die Windenergiegewinnung, schwärmt der Präsident des lateinamerikanischen Branchenverbandes LAWEA, Fernando Tejeda. Auf der Pazifikseite des Isthmus, im entlegenen Osten des Bundesstaates Oaxaca, bläst der Wind stark und stetig. Hier im großen Stile Windenergie zu produzieren, das sei gut fürs Klima, gut für die Unternehmen und gut für die Region, verspricht der Verbandspräsident. Die Bauern bekämen eine jährliche Pacht, die so hoch sei, als würden sie ihr Land alle fünf Jahre verkaufen. »Die Windenergie bietet der Region erhebliche soziale und wirtschaftliche Vorteile.«

Fünf Windparks stehen bereits

Auf der neuen Küstenautobahn östlich der Stadt Juchitan sind Windkraftanlagen stetiger Begleiter, in kilometerlangen Linien reihen sich die 45-Meter-Türme aneinander. Fünf große Windparks stehen bereits, weitere vier sind im Bau. Viel Aktivität in der indigen geprägten Region, die – weit entfernt von großen Verkehrswegen und Städten – lange Zeit isoliert vom Rest des Landes war. Juchitan ist wie die gesamte Pazifikküste Oaxacas zapotekisch geprägt, traditionell lebt die Region vom Anbau von Zuckerrohr, Mais, Bohnen, Hirse und Gemüse sowie von der Viehwirtschaft. Doch mit der Landwirtschaft geht es seit dem Inkrafttreten des Freihandelsabkommens NAFTA mit den USA stetig bergab.

Da ist die Windindustrie doch ein Segen. »Es wäre wichtig, dass diese Energie der armen Bevölkerung zu Gute kommt und die Gewinne in die Entwicklung der Region investiert werden«, findet Benito Velázco Pardo, katholischer Pater der Gemeinde Santo Domingo Ingenio. »Aber das wird nicht passieren!« Die Anlagen, so seine Einschätzung, nützen nur denen, die Zugang zu den Windfirmen haben: Führungspersönlichkeiten aus der Region, Politikern und reichen Bauern. Die Gemeinde aber sei zu keinem Zeitpunkt konsultiert worden.

Von der Industrie über den Tisch gezogen

Die generell mangelhafte Einbeziehung der Bevölkerung in die Planung von Großprojekten sieht Ingrid Spiller, Leiterin des Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Mexiko-Stadt, als großes Problem, gerade wenn es um den Klimaschutz geht: Erneuerbare Energien seien natürlich toll, aber nur wenn die ökologische Frage im Einklang mit der sozialen Frage stehe. Großprojekte müssten mit der lokalen Bevölkerung geplant und durchgeführt werden. Da gebe es aber, sagt Ingrid Spiller vorsichtig, noch einigen Nachholbedarf.

Viele Bauern wie die Brüder Cruz Velásquez fühlen sich von der Industrie über den Tisch gezogen: »Die Unternehmen haben uns getäuscht«, schimpfen die drei. Die spanischen Firmen und der staatliche Energieversorger CFE hätten den Bauern Verträge aufgeschwatzt, die alle auf Spanisch waren – gerade die Älteren, die nur zapotekisch sprechen, hätten diese gar nicht verstanden. Und die großen Pachterträge? 100 Pesos (weniger als 10 Euro) pro Hektar und Jahr wollten die Firmen zahlen. »Diese Verträge sind nur gut für die Unternehmen, nicht für uns Bauern.« Zumal das Vieh nicht mehr in der Nähe der Anlagen grasen dürfe und die Felder in der Regenzeit unter Wasser stünden, da die Unternehmen keine Drainage um die Fundamente gezogen hätten.

Javier Balderas vom Menschenrechtszentrum Tepayac ist für die betroffenen Bauern gegen die Pachtverträge erfolgreich vorgegangen. Nach über einem Jahr des Prozessierens hatte die Industrie angeboten, die 100-Peso-Verträge für null und nichtig erklären zu lassen. Sein Urteil über die grüne Energiepolitik Mexikos fällt nicht gut aus: Zwar habe sich die Regierung zur Emissionsminderung verpflichtet, wobei ein Aspekt die Erzeugung von Strom aus alternativen Energien sei. Gleichzeitig aber habe sich Mexiko einer neoliberalen Politik unterworfen, die – statt eine eigene Windindustrie zu entwickeln – transnationales Kapital einlud. Nutznießer dieser Politik sind fast ausschließlich spanische Unternehmen. Endesa, Iberdrola, Fenosa, Gamesa und Acciona haben den Isthmus längst unter sich aufgeteilt.

Für die Region sieht Aktivist Balderas kaum Vorteile. Mangels eigener Windindustrie entstünden nur wenige Jobs und nur in der kurzen Bauphase. Die der Region versprochenen Strompreissenkungen seien allenfalls minimal. Und der saubere Strom bessere nur zum Teil die mexikanische Klimabilanz auf – ein Großteil werde nämlich nach Zentralamerika exportiert oder direkt von transnationalen Unternehmen wie Coca-Cola und Wal-Mart oder der Zementindustrie erzeugt und genutzt.

Kollektiver Landbesitz wurde abgeschafft

Das günstige Investitionsklima auf dem Isthmus ist einigen Anpassungsmaßnahmen zu verdanken, mit denen die mexikanische Politik das Land im Vorfeld des NAFTA-Abkommens fit für den gemeinsamen Markt mit den USA und Kanada machen wollte; Kritiker sprechen von einem Ausverkauf. In vielen indigen geprägten Landesteilen war seit der mexikanischen Revolution der Landbesitz in Ejidos aufgeteilt, kollektive Grundstücke im Gemeindebesitz, welche die Bauern uneingeschränkt nutzen, aber nicht verkaufen durften. 1992 wurde das Ejido-System abgeschafft und der Besitz den Bauern überschrieben, die damit nun machen können, was sie wollen. Der Wegfall der kollektiven Kontrolle ist für die Industrie praktisch: Früher wäre die Errichtung von Windparks ohne Einbeziehung der Gemeinden nicht möglich gewesen.

Und wenn die Region wenig abbekommt, sind die Gewinne für die Industrie üppig. Den Widerstand der Bauern versucht man mit erhöhten Pachtzinsen auszuhebeln. Mittlerweile sind knapp 200 Euro pro Jahr und Anlage drin (in Deutschland gibt es für eine vergleichbare Anlage um die 6000 Euro), eine Einbeziehung der Gemeinden hält man aber weiterhin nicht für nötig. Oder vielleicht doch: Der druckfrische Jahresbericht des Windenergieverbandes LAWEA ist für Mexiko entlarvend: »Die Industrie hat in den letzten Jahren wichtige Lektionen gelernt: Sie beginnt, den Wert fairer und transparenter Verträge mit den Gemeinden und Bauern zu erkennen und die Wichtigkeit, dass zukünftige Windparks die Entwicklung der betreffenden Region fördern.«

* Aus: Neues Deutschland, 29. November 2010


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