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Die Quijotes von Oaxaca

Indigene wehren sich gegen Windkraft-Megaprojekte in Mexiko

Von Philipp Gerber *

Der Ausverkauf strategischer Ressourcen geht in Mexiko weiter voran: Nach Boden und Wasser soll nun auch aus der Luft verstärkt Profit gezogen werden. Doch immer mehr indigene Gemeinden setzen sich gegen geplante riesige Windparks zu Wehr.

Ein heißer Wind bläst einem hier stetig ins Gesicht: Die Meerenge in Südmexiko, genannt Isthmus von Tehuantepec, ist der geografisch ideale Ort für Windnutzung. Vor vier Jahren nahm das Unternehmen Windkraft in dieser Region der Zapoteco-Indigenen Fahrt auf. Inzwischen ist hier der größte Windpark Lateinamerikas entstanden. Mehrere hundert Windmühlen stehen in Reih und Glied oft nur wenige Meter außerhalb der Gemeinden. Das Potenzial der Region wird auf mehrere tausend Windmühlen geschätzt, wofür fruchtbares Agrarland weichen muss. Stromabnehmer sind die Zemtentindustrie, der Toastbrotgigant Bimbo oder die weltgrößte Supermarktkette Wal-Mart, alle vereint im Bestreben, sich mit dem Strom aus den Windanlagen ein grünes Mäntelchen der Nachhaltigkeit zu geben.

Doch nun regt sich Widerstand gegen die angeblich saubere Energiegewinnung. Bei einem Besuch im kleinen Dörfchen La Venta, das schon von allen Seiten von Windgeneratoren umgeben ist, erklärt Alejo Girón, warum sie sich als Kleinbauern gegen die Windmühlen zu wehren beginnen. »Viele Landbesitzer werden mit falschen Versprechungen zur langfristigen Verpachtung ihres Anteils am Gemeindeland verlockt. Oft unterzeichnen sie unvorteilhafte Verträge in Spanisch, obwohl sie nur die indigene Sprache sprechen oder gar Analphabeten sind.«

Girón stört sich nicht nur an Vertragsinhalten sondern auch an dem Verhandlungsgebaren: »Die multinationalen Unternehmen treten mit großer Arroganz auf. Vorab verhandeln diese mit der mexikanischen Zentralregierung, welche ihnen freien Zugang auf unsere Ressourcen verspricht. Bei uns beklagten sich sogar Funktionäre der lokalen Regierung von Oaxaca über das selbstherrliche Benehmen dieser Firmenvertreter.«

Aber auch lokale Behörden sind ins »schmutzige Geschäft mit der sauberen Energie« involviert, wie Carlos Beas von der indigenen Organisation UCIZONI betont: »Sind die Firmenagenten nicht erfolgreich, dann treten die lokalen Machteliten auf den Plan. So wurde der Vorstand der Agrarbehörde von La Venta von der Polizei mit einem Haftbefehl bedroht, worauf er seinen Posten räumte.«

Während die Windgeneratoren wie Pilze aus dem Boden schießen, werden die negativen Folgen für die Region immer offensichtlicher. Dass Vogelzüge davon betroffen sind, ergab schon eine Umweltverträglichkeitsstudie vor Baubeginn. Auch haben die Nivellierungen und die tiefen Zementsockel hydrologische Auswirkungen. Grundwasseradern werden durchtrennt, Regenwasser fließt nicht mehr ab und führt dazu, dass Gras verfault. Die verbleibenden Landwirte haben große Probleme, ihre Produktion in dieser Umgebung aufrecht zu erhalten. Aber auch ihre Nachbarn, die das Land an die Windparks verpachtet haben, sind nicht immer glücklich. Alejo Girón kalkuliert den Ertrag aus der Landwirtschaft auf ein Mehrfaches im Vergleich zu den Pachtzinsen. Ganz abgesehen von den sozialen Konsequenzen, welche daraus entstehen, dass den Gemeinden die Aufgabe ihrer bäuerlichen Produktion aufgezwungen wird. Die nach internationalen Abkommen vorgesehenen Gemeindeabstimmungen, welche der Implementierung von Großprojekten in indigenen Regionen vorangehen sollten, fanden nicht statt.

Die Proteste der mit Wind gesegneten Landbesitzer nehmen stetig zu. Eine Vertreterin des Protestbündnisses war an den Klimaprotesten in Kopenhagen, zwei andere am Gegengipfel zur EU-Lateinamerika-Konferenz in Madrid im Mai. Oxfam nahm in einer wissenschaftlichen Studie anhand der Windenergienutzung in Oaxaca die Problematik des »Greenwashings« auf: Die mit Weltbankkrediten in der Höhe von gut 100 Millionen US-Dollar mitfinanzierten Windparks gelten im Rahmen des »Mechanismus des sauberen Entwicklung« als Vorzeigeprojekte. Sie dienen auch dazu, dass sich Mexiko auf dem perversen Markt des Handels mit CO2-Zertifikaten profilieren kann.

Die ökologischen und sozialen Schäden in der Region entlarven indes das Gerede von »Nachhaltigkeit« und grünem Kapitalismus als leeres Geschwätz. »Nach der Privatisierung des Bodens und des Wassers soll nun auch die Luft zur Ware gemacht werden. Auch den Wind wollen sie uns klauen! Wer hätte sich das auch nur im Traum vorstellen können?«, empörte sich der Zapatistensprecher Subcomandante Marcos bei einem Besuch 2006.

Noch geht der Ausverkauf der strategischen Ressourcen Mexikos voran. Auch eine deutsche Unternehmerdelegation unter der Führung von Niedersachsen Global GmbH war im April zu Besuch. Bisher gehört der Löwenanteil der gewinnträchtigen Investitionen in Südmexiko den spanischen Konzernen, welche bis auf Ministerebene mit Mexikos neoliberaler Regierung verbandelt sind. Aber neue Windparks kommen nur schleppend voran und bestehende wurden während Wochen von den Landverpachtern blockiert, weil die Pachtzahlungen ausblieben, Polizeieinsätze verteidigten die Kapitalinteressen.

Doch die Quijotes von Mexiko kämpfen nicht nur gegen die Windmühlen, sondern experimentieren auch mit einem gemeindeverträglichen Gegenmodell: Die englische Umwelt-Nichtregierungsorganisation Yansa schlägt ihnen vor, über kostengünstige Kleinwindräder lokal verwertbare Energie erzeugen und so die Gemeindeautonomie zu stärken. Bei dieser Nutzung der Windkraft wäre der umkämpfte Begriff der nachhaltigen, sauberen Energie dann wohl mehr als bloß heiße Luft.

* Aus: Neues Deutschland, 20. Juli 2010


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