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Militärische Willkür

Mexiko: Immer mehr spektakuläre Aktionen von Eliteeinheiten in Großstädten

Von Andreas Knobloch *

Der von der mexikanischen Regierung vorangetriebene Prozeß der Militarisierung des Landes erreicht zunehmend die urbanen Zentren. Vor allem Eliteeinheiten der mexikanischen Marine werden mehr und mehr zu Antidrogen-Operationen in Mexiko-Stadt eingesetzt. Dabei kommt es immer wieder zu spektakulären Aktionen, doch selten sind die Behörden der Hauptstadt eingeweiht. Zudem fehlt eine klare Rechtsgrundlage für die Einsätze.

Im September 2009 führten Infanterieeinheiten der Marine (nach Vorbild der US-amerikanischen Marines) erste Operationen in Mexiko-Stadt durch. Seitdem tauchen sie immer wieder im Stadtbild auf, kontrollieren, überwachen, nehmen fest – alles ohne Zustimmung des Kongresses.

Die Regierung der Hauptstadt versucht, die Anwesenheit der Marines herunterzuspielen. »Es gab den Einsatz von Marines, Heer und Bundespolizei schon bei anderen Gelegenheiten. Sie führen spezielle Aufträge innerhalb von Ermittlungen aus, in die sie verwickelt sind«, so der Generalstaatsanwalt von Mexiko-Stadt, Miguel Ángel Mancera Espinosa, gegenüber der Zeitschrift Proceso. Die Aktionen hätten immer ein konkretes Ziel, versichert er. Und solange das so ist, hätten sie seine Unterstützung auch ohne genaue Kenntnis der Details, zumal der Erfolg solcher Operationen zu einem guten Teil von ihrer Geheimhaltung abhänge, erklärt Mancera.

Doch die Präsenz der Marines in der Hauptstadt geht oft über solche »spezifischen« Operationen hinaus. Seit Felipe Calderón Präsident ist und aus Legitimitätsgründen auf die Armee und den Kampf gegen die Drogenkartelle gesetzt hat, um seine eigene Position zu stärken, haben die Streitkräfte ihre Organisation und die Art und Weise ihres Vorgehens geändert, ohne die nötige Autorisierung durch den Kongreß. Vor einem Jahr hat der Senat zwar einem entsprechenden Gesetzentwurf zugestimmt, doch liegt dieser seitdem in der anderen Kammer, im Repräsentantenhaus, auf Eis. Die von Calderón und Marine-Minister Francisco Saynez Mendoza implementierte »strategische Politik« hat eine neue militärische Struktur geschaffen, in der die Marines die erste operative Einheit darstellen.

Nach Angaben des Verteidigungsministeriums umfassen diese Einheiten mehr als 15000 Mann, davon fast ein Drittel in Spezialeinheiten. Training und Ausbildung erhalten die mexikanischen Marines in den USA. Sie waren beispielsweise beteiligt an der Exekution des Drogenbosses Arturo Beltrán Leyva, alias El Barbas, im Dezember 2009 in Morelos, und Antonio Ezequiel Cárdenas Guillén, alias Tony Tormenta, im November 2010 in Matamoros, Tamaulipas.

Immer mehr Einsätze werden in Mexiko-Stadt durchgeführt. Ende Januar kam es innerhalb von 72 Stunden zu drei spektakulären Aktionen in Innenstadtbezirken, bei denen mutmaßliche Mitglieder von Drogenkartellen festgenommen und umfangreiche Waffenarsenale sichergestellt wurden.

Wie überall in Mexiko hat die Ausweitung der Militäraktionen zu einem Anstieg von Amtsmißbrauch und Menschenrechtsverletzungen geführt. Bei der Nationalen Kommission für Menschenrechte (CNDH) sind seit dem 1. Dezember 2006, dem Amtsantritt Calderóns, bis Anfang dieses Jahres allein für Mexiko-Stadt 227 Klagen gegen das Heer und 46 gegen Marines registriert worden. In ganz Mexiko sind es mehr als 1400. Das Problem aber ist die rechtliche Zuständigkeit, in den seltensten Fällen kommt es zur Anklageerhebung, zumal die zivilen Gerichte nur sehr begrenzten Zugriff auf von Soldaten begangene Verbrechen haben. Auch die von Calderón auf den Weg gebrachte Reform der Militärjustiz, die gerade in der Legislative diskutiert wird, gestattet der zivilen Justiz, gerade mal in drei Fällen Delikte von Soldaten gegenüber Zivilisten zu bestrafen: bei Folter, Vergewaltigung und Verschwindenlassen. Für Mord, Raub und andere Delikte bleiben allein Militärgerichte zuständig. Die Folge ist oft Straflosigkeit.

* Aus: junge Welt, 2. März 2011


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