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Festnahmen wegen Verschwendung

Mexiko: Fünf Millionen Hauptstädter von Wasserversorgung abgeschnitten

Von Andreas Knobloch, Mexiko-Stadt *

Fünf Millionen Bewohner von Mexiko-Stadt sind am Osterwochenende zum Teil komplett von der Wasserversorgung abgeschnitten worden. Die Regierung der mexikanischen Hauptstadt hatte Ende März wegen der alarmierend geringen Wasserreserven der Stadt und aufgrund der Reparatur des Wassernetzes Cutza­mala eine 36stündige Wassersperre und Engpässe bei der Wasserversorgung von 9. bis 12. April angekündigt. Es ist bereits das dritte Mal in diesem Jahr, daß die für die Wasserversorgung der Hauptstadt (Distrito Federal) zuständige Behörde SACM (Sistema de Aguas de la Ciudad de México) zu der extremen Maßnahme der Wasserrationierung greift. Allerdings gibt es Bezirke, wie Iztapalapa, die seit der letzten Sperre im März noch nicht wieder mit Wasser versorgt wurden, was zu anhaltenden Protesten der Betroffenen und Kritik an der Informationspolitik der Nationalen Wasserkommission (CONAGUA) geführt hat.

Am Wochenende kam es zudem zu einer Reihe von Festnahmen wegen Wasserverschwendung. Mehr als 100 Personen wurden unter anderem wegen des Osterbrauches, einen Eimer Wasser auf die Straße zu schütten oder weil sie ihr Auto gewaschen hatten, verhaftet. Doch insgesamt gab es keine größeren Zwischenfälle, auch weil ein großer Teil der Bevölkerung in den Osterferien die Stadt verlassen hatte.

Die Regierung von Mexiko-Stadt hatte für das Wochenende ein Notprogramm zur Wasserversorgung mit Tankwagen und der kostenlosen Verteilung von Wasserflaschen in den am ärgsten betroffenen Zonen initiiert. Darüber hinaus wurde ein Programm gestartet mit dem Ziel, den Wasserverbrauch um rund 20 Prozent zu senken.

Die Situation der Wasserversorgung in Mexiko-Stadt aber bleibt alarmierend. Etwas mehr als 20 Prozent des in der Stadt verbrauchten Wasser wird vom Wassernetz Cutzamala bereitgestellt, das heute gerade mal 47 Prozent seiner Kapazität erreicht. Auch weil im vergangenen Jahr weniger Niederschlag in den Regionen, in denen sich die Wasserreserven befinden, niedergegangen ist. Das sogenannte Cutza­mala-System, benannt nach dem im Nachbarbundesstaat entspringenden Fluß, garantiert einen wichtigen Teil der Wasserversorgung für die mexikanische Metropole. Die negativen ökologischen, ökonomischen und soziologischen Auswirkungen auf die Landbevölkerung, der das Wasser zugunsten der Hauptstadt buchstäblich vor Augen abgegraben wird, verdrängen die staatlichen Autoritäten jedoch.

Doch das Problem ist noch komplexer. Mexiko-Stadt ist umkämpftes politisches Terrain zwischen den drei stärksten Parteien Mexikos: der die Bundesregierung stellenden Partido Acción Nacional (PAN), der Regierung des die Hauptstadt umgebenen Bundesstaates Estado de México, die von der Partido Revolucionario Institucional (PRI) gebildet wird und der Oppositionspartei Partido de la Revolución Democrática (PRD). Letztere stellt die Regierung des Distrito Federal.

Die Engpässe in der Wasserversorgung sind deshalb ein sensibles Thema, vor allem kurz vor den Mitte dieses Jahres anstehenden Parlamentswahlen. Gegenseitige Schuldzuweisungen – vor allem zwischen Vertretern der Bundesregierung und der des Distrito Federal –, nicht ausreichend in die Infrastruktur der Wasserversorgung investiert zu haben, beherrschen die Szenerie. Doch für die Modernisierung der Wassernetze sind Millioneninvestitionen vonnöten. Zudem ist Mexiko-Stadt eine der Städte mit dem höchsten Wasserverbrauch pro Kopf weltweit.

Allerdings geht ein großer Teil des Wassers – Schätzungen sprechen von bis zu 50 Prozent – wegen undichter oder beschädigter Leitungen verloren. Die Wassersperren sollen auch dazu dienen, die Leitungen zu reparieren. Die Bundesregierung plant zudem ein Tarifsystem, nach dem die Bewohner ihren tatsächlichen statt den geschätzten Verbrauch bezahlen.

Jorge Legorreta, Wissenschaftler am Wasserinformationszentrum der Universidad Autónoma Metropolitana (UAM), fordert dagegen eine völlig neue Politik für die Wasserversorgung. Er plädiert für Investitionen in die Wiederverwendung von Regenwasser und für eine Erhöhung der Wasserpreise. Dies würde allerdings wieder einmal vor allem die Ärmsten treffen.

* Aus: junge Welt, 14. April 2009


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