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Wahl angefochten

Mexiko: Linkskandidat López Obrador erkennt offizielle Teilergebnisse nicht an. Betrugsvorwürfe gegen Wahlinstitut IFE und angebliche Siegerpartei PRI

Von Santiago Baez *

Andrés Manuel López Obrador will die Präsidentschaftswahlen vom vergangenen Sonntag in Mexiko anfechten. Das kündigte der Kandidat der gemäßigt linken Partei der Demokratischen Revolution (PRD) am Montag (Ortszeit) bei einer Pressekonferenz an. Er werde die vom mexikanischen Wahlinstitut verbreiteten Ergebnisse, denen zufolge Enrique Peña Nieto von der Institutionellen Revolutionären Partei (PRI) die Abstimmung mit 38,15 Prozent gewonnen habe, nicht anerkennen. López Obrador kommt diesen Angaben zufolge auf 31,64 Prozent der Stimmen, die Kandidatin der konservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN), Josefina Vázquez Mota, auf 25,4 Prozent. In Mexiko ist bei Präsidentschaftswahlen die einfache Mehrheit der abgegeben Stimmen ausreichend, eine zweite Runde wie in anderen Ländern gibt es nicht. Die Bekanntgabe des offiziellen Endergebnisses ist für den heutigen Mittwoch geplant.

»Ich kann kein Ergebnis hinnehmen, solange ich nicht volle Gewißheit habe, daß die Stimmen der Bürger respektiert worden sind«, sagte »AMLO« gegenüber den Pressevertretern. Die Wahlen seien von Unregelmäßigkeiten überschattet gewesen. Er trage nun die entsprechenden Beweise zusammen, um gegen das Ergebnis zu klagen und eine Neuauszählung der Stimmen zu fordern. »Wenn wir die Wahlen von betrügerischen Stimmen reinigen, habe ich keinen Zweifel, daß wir gewonnen haben«, so López Obrador. So habe die PRI mindestens eine Million Stimmen »gekauft«.

Gestützt werden die Vorwürfe López Obradors durch Analysen des US-amerikanischen Physikers Jorge A. López. Der Professor der Universität von Texas in El Paso warf dem Wahlinstitut IFE vor, das System zur Veröffentlichung von vorläufigen Auszählungsergebnissen manipuliert zu haben. Dabei seien gezielt die Zahlen des Linkskandidaten heruntergerechnet und Peña Nieto zugeschlagen worden. Zum gleichen Ergebnisse kommen auch Hacker des »Anonymous«-Netzwerks, die am Montag Aufnahmen veröffentlichten, die aus dem internen Netz des IFE stammen sollen. Die dort abgebildeten Ergebnisse unterscheiden sich deutlich von den zeitgleich veröffentlichten. So lag demnach am Montag um 20.30 Uhr Ortszeit – bei einem Auszählungsstand vom 98,95 Prozent – López Obrador mit 38,64 Prozent deutlich von Peña Nieto, der auf 31,15 Prozent kam. Der Abstand zwischen beiden Kandidaten soll fast drei Millionen Stimmen betragen haben.

Gegen die veröffentlichten Wahlergebnisse demonstrierten am Montag abend (Ortszeit) auch Tausende Anhänger der Studentenbewegung »#YoSoy132«. Nach einer Versammlung zogen sie in Mexiko-Stadt zum Parteisitz der PRI, zum Gebäude der für Delikte im Zusammenhang mit Wahlen zuständigen Staatsanwaltschaft FEPADE und zu den Studios des Fernsehsenders Televisa. Für den gestrigen Dienstag war ein weiterer Protestzug zum IFE angekündigt.

Die Bewegung war Mitte Mai spontan entstanden, als Peña Nieto an der Iberoamerikanischen Universität, einer Privathochschule in Mexiko-Stadt, auftrat. Die versammelten Studenten reagierten mit Pfiffen und Buhrufen auf die Äußerungen des Kandidaten, der sich durch einen Notausgang in Sicherheit bringen mußte. Über diesen Zwischenfall berichteten Fernsehen und Presse in einer Weise, durch die sich die Studenten verleumdet sahen. 131 von ihnen veröffentlichten im Internet eine Protesterklärung, der sich Tausende andere per Internet anschließen. Das dafür im Internetdienst Twitter verwendete Kennwort »#YoSoy132« (Ich bin die Nummer 132) wurde zum Namen der ganzen Bewegung, die sich längst nicht mehr auf virtuelle Welten beschränkt, sondern zu einem politischen Faktor auf den Straßen des Landes geworden ist.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 4. Juli 2012


López Obrador beantragt Neuauszählung aller Stimmen

Mexiko-Stadt. In Mexiko halten die Proteste gegen den mutmaßlichen Betrug bei der Präsidentschaftswahl am vergangenen Sonntag an. Der den offiziellen Zahlen zufolge unterlegene Kandidat der Partei der Demokratischen Revolution (PRD), Andrés Manuel López Obrador, beantragte am Dienstag (Ortszeit) offiziell beim mexikanischen Bundeswahlinstitut (IFE) eine Neuzählung aller Wahlurnen. Es habe »weder saubere noch freie Wahlen gegeben«, sagte er am Dienstag. Auch zivilgesellschaftliche Organisationen, Medien und die Studentenbewegung »#YoSoy132« berichteten von massiven Regelverstößen und Manipulationen.

Nachdem am Montag Tausende mit einem Marsch durch die Hauptstadt ihren Unmut über die Geschehnisse zum Ausdruck gebracht hatten, erreichte der Protest inzwischen weitere Städte. In Xalapa, Guadalajara, Sán Cristobal und Puebla mobilisierte die Studentenbewegung Anhänger, die neben Demonstrationen vereinzelt auch Protestzelte aufgeschlagen haben. In mehreren Bundesstaaten wurden Protestmärsche zu den jeweiligen Geschäftsstellen des IFE organisiert.

Die »Alianza Cívica«, eine Organisation, die sich seit 1994 für Demokratisierung in Mexiko einsetzt, veröffentlichte Berichte von eigenen Wahlbeobachtern, in denen von menschenverachtenden Praktiken während der Wahlen berichtet wird. Neben Stimmenkauf, Erpressung und bewaffneter Bedrohung in den Wahllokalen soll die PRI auch Kinder zur Wahlfälschung eingesetzt haben. Die in der Regel zwischen acht und zehn Jahre alten »Falkenkinder« wurden demnach dazu mißbraucht, Bürger beim Urnengang zu begleiten, um danach einem Mittelsmann von dessen Votum zu berichten. Dafür sollen sie zwischen 100 und 200 mexikanische Pesos (6–12 Euro) erhalten haben.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 5. Juli 2012


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