Felipe Calderón siegt bei den mexikanischen Präsidentschaftswahlen
Unterlegener Linkskandidat Obrador: "Wir können diese Ergebnisse nicht anerkennen oder hinnehmen"
Nach dem am Abend des 6. Juli 2006 veröffentlichten Endergebnis erreichte Calderon mit 35,88 Prozent der Stimmen nur gut 0,5 Prozent mehr als Lopez Obrador. Dieser erhielt 35,31 Prozent. Der unterlegene Linkskandidat kündigte an, er werde die juristische Auseinandersetzung um den Sieg bis zum obersten Wahlgericht tragen. Damit könnte sich der Streit bis Anfang September hinziehen. Für Samstag (8. Juli) rief Lopez Obrador seine Unterstützer zu einer Demonstration auf dem Zocalo-Platz im Herzen der Hauptstadt auf, in der er früher Bürgermeister war. "Wir können diese Ergebnisse nicht anerkennen oder hinnehmen", sagte er unter Hinweis auf angebliche Unregelmäßigkeiten. Bei einem langen Streit um das Wahlergebnis befürchten Beobachter Instabilität und wochenlange Straßenproteste.
Die im Folgenden dokumentierten Artikel vom 7. Juli vermitteln einen Einblick in die gespaltene Stimmungslage der Bevölkerung Mexikos nach der Präsidentschaftswahl vom 2. Juli.
Mexikos Linke mobilisiert gegen Wahlbetrug
Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen López Obrador und Felipe Calderón weiterhin ohne Sieger
Von Dinah Stratenwerth *
In Mexiko zeichnet sich ein wochenlanges Tauziehen um das Wahlergebnis ab. Den
Sozialdemokraten Andrés Manuel López Obrador und Felipe Caldéron trennen nur wenige Zehntel
an Prozentpunkten.
Eulalia Bermudez hat soeben einen kleinen Erfolg erkämpft. Nach anderthalb Stunden Diskussion
mit den Wahlhelfern im Büro Nummer 15 der Wahlbehörde (IFE) in Mexiko-Stadt wird der erste
Umschlag zur Überprüfung eines Stimmzettels geöffnet. Vier Tage nach der Präsidentschafts- und
Parlamentswahl geht die Schlacht um jede Stimme weiter und die Nadel der Waage zittert in der
Mitte: Nicht einmal ein Prozentpunkt trennte am Donnerstag den Linkspolitiker Andrés Manuel López
Obrador (PRD) und seinen konservativen Konkurrenten Felipe Calderón (PAN). Ein wochenlanges
Tauziehen bahnt sich an.
»Wir wollen, dass alle Stimmzettel nachgezählt werden«, sagt die 42-jährige PRD-Anhängerin
Bermudez. So hatte es Obrador gefordert: »Stimme für Stimme«. Ein PAN-Vertreter verweist
dagegen auf das Gesetz, das Nachzählungen nur im Falle von »arithmetischen Fehlern« oder
»Anomalien« bei den Auszählungsergebnissen gestattet. Der sozialdemokratischen PRD unterstellt
er, sich schon jetzt auf die Anfechtung des Ergebnisses festzulegen – »auch ohne gesetzliche
Grundlage«.
Schon am Sonntagabend (2. Juli) hatten die PRD-Anhänger protestiert. »Betrug, Betrug!« war auf dem Zócalo, dem zentralen Platz in Mexiko-Stadt, zu hören. Sie schwenkten Fahnen, ließen die Hupen ihrer Autos ertönen und posierten mit der Maske ihres Favoriten Andrés Manuel López Obrador. Der hatte sich kurz vor Null Uhr in der Nacht zum Montag zum Sieger der mexikanischen
Präsidentschaftswahlen erklärt. Minuten danach hatte sein Gegner Felipe Calderón von der
rechtskonservativen Partei der Nationalen Aktion (PAN) dasselbe getan. Das Ergebnis war zu
knapp, um offiziell zu sein, hieß es von Seiten des Wahlinstitutes IFE. Felipe Calderón hatte einen leichten Vorsprung. Doch die PRD-Anhänger, allen voran López Obrador, kurz AMLO genannt,
zweifelten diesen knappen Vorteil an. AMLO kritisierte das Vorgehen in der ersten
Auszählungsrunde, dem PREP, den das IFE am Montag abschloss.
Beim PREP kommen aus allen Wahllokalen die so genannten Wahlakten zusammen und werden
ausgewertet. In der Wahlakte ist das Ergebnis des jeweiligen Wahllokals zusammengefasst. Nicht
dabei sind Akten, bei denen Unregelmäßigkeiten auftreten und einige aus abgelegenen
Wahllokalen, die nicht rechtzeitig ankommen. Laut dem IFE umfasste der PREP 98 Prozent der
Wahllokale. López Obrador verglich nun die Walbeteiligung mit den vom IFE beim PREP
berücksichtigten Stimmen und kam zu dem Ergebnis, dass drei Millionen Stimmen fehlten. Am
Dienstagnachmittag gaben Vertreter des IFE vor der Presse und den internationalen Beobachtern
zu, dass im PREP nicht 98 Prozent der Stimmen enthalten waren, wie am Montag behauptet.
Vielmehr fehlten noch 14 000 Wahllokale oder 8,5 Prozent der Stimmen.
Die PAN behauptete dennoch, der Auszählungsprozess sei korrekt. Auch die internationalen
Wahlbeobachter äußerten sich weitestgehend positiv. Dennoch wurde der Forderung der PRD
nachgegeben. Seit Mittwochmorgen läuft die zweite Auszählungsrunde – mit offenem Ausgang.
Die Angst der PRD vor einem Wahlbetrug hat historische Wurzeln. 1988 setzte sich der Kandidat
der damaligen Staatspartei der Institutionalisierten Revolution (PRI) durch massiven Betrug gegen
den PRD-Anwärter Cuauthémoc Cárdenas durch. Damals fielen plötzlich alle Computer aus, und
Salinas de Gortari von der PRI war Präsident.
* Aus: Neues Deutschland, 7. Juli 2006
Nachzählung mit Anfechtungen
Weiter Zweifel an Sieg des Regierungskandidaten in Mexiko
Von Harald Neuber **
Mexiko-Stadt. Klar ist, daß nichts klar ist. Auch am vierten Tag nach der Präsidentschaftswahl in Mexiko steht der Sieger noch nicht fest. Auf Druck der sozialdemokratischen »Partei der Demokratischen Revolution« (PRD) und deren Kandidaten Andrés Manuel López Obrador wurden die Stimmen ab Mittwoch noch einmal geprüft. Im Verlauf dieser Nachzählung war das ursprüngliche Ergebnis in der Nacht zum Donnerstag revidiert worden: Am Sonntag hatte es zunächst geheißen, der konservative Präsidentschaftsanwärter Felipe Calderón von der regierenden »Partei der Nationalen Aktion« (PAN) habe gesiegt.
Bei 95 Prozent der neu ausgezählten Stimmen lag López Obrador am Donnerstag morgen mit 35,9 Prozent der Stimmen mit 0,6 Prozentpunkten vor Calderón. Als wenig später 98 Prozent nachgezählt waren, lag der konservative Kandidat wieder knapp vor López Obrador.
Nach Angaben der linksliberalen mexikanischen Tageszeitung La Jornada will die PRD das Ergebnis anfechten. Nach wie vor werden Unregelmäßigkeiten bei 50000 Urnen beanstandet. Leonel Cota, der Präsident der PRD, sprach am Donnerstag wiederholt von »Wahlbetrug«. Anhänger von López Obrador und der PRD kündigten daher landesweite Demonstrationen an. Bestätigt wurden sie von internationalen Wahlbeobachtern. Die US-Nichtregierungsorganisation Global Exchange etwa sprach von einem »Wahlprozeß voller Unregelmäßigkeiten«. Zum Streit trägt auch die Verfassung bei: Selbst einem knappen Ergebnis wird ein Sieger erklärt. Eine Stichwahl, wie in den meisten lateinamerikanischen Staaten, sieht das Reglement nicht vor.
** Aus: junge Welt, 7. Juli 2006
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