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Dialog über "Verschwundene"

Neue Hürden für Gespräche zwischen Guerilla und Regierung Mexikos

Von Andreas Knobloch *

Der Ton zwischen der mexikanischer Regierung und der Guerillaorganisation EPR (Ejército Popular Revolucionario – Revolutionäres Volksheer) wird wieder schärfer. Zuvor hatte es durchaus nach Entspannung ausgesehen.

Innenminister Juan Camilo Mouriño schürte dieser Tage wieder den Konflikt mit dem EPR. So wies er Verlautbarungen der Guerilla zurück, dass es sich bei dem Fall der beiden verschwundenen EPRKämpfer Edmundo Reyes Amaya und Gabriel Alberto Cruz Sánchez um ein »forciertes Verschwinden« handele. In Mexiko gebe es weder politische Gefangene, noch lasse der Staat politische Gegner »verschwinden« oder begehe Verbrechen gegen die Menschwürde. Zuvor hatte das EPR in einem Kommuniqué von der Regierung die Freilassung politischer Gefangener, ein Datum der Präsentation der Verschwundenen und glaubhafte Zeichen der Entspannung gefordert.

Zwar hatte die Guerilla direkte Gespräche mit der Regierung abgelehnt, doch am 20. Mai war es zu einem ersten formalen Treffen zwischen mexikanischer Regierung und der vom EPR initiierten Vermittlergruppe gekommen. Beide Seiten äußerten sich nach dieser ersten Zusammenkunft zufrieden und lobten den »positiven und produktiven« Charakter der Gespräche. Dabei wurde vereinbart, den Dialog zunächst auf den Verbleib der beiden verschwundenen EPR-Kämpfer zu konzentrieren.

»Die Vermittlungskommission operiert nicht als ›Kommentator‹ des EPR, genauso wenig als deren Sprecherin. Wir werden uns auf den Punkt der Verschwundenen konzentrieren«, sagte der Schriftsteller Carlos Montemayor in seiner Eigenschaft als Sprecher der siebenköpfigen Gruppe. Ihr gehören unter anderen der emerierte Bischof Samuel Ruiz, der Journalist und Anwalt Miguel Angel Granados Chapa, der Anthropologe Gilberto López y Rivas und in ihrer Eigenschaft als Mitglied der Nationalen Front gegen Repression (FNCR) die Senatorin Rosario Ibarra an, deren Sohn seit 33 Jahren spurlos »verschwunden« ist.

Bei dem Treffen wurden zudem einige mit dem »Verschwindenlassen« von Menschen zusammenhängende Themen analysiert, um den historischen Kontext aufzuzeigen. Denn diese Praxis gegen politische Gegner hat in Mexiko eine mehr als 30-jährige Tradition – beginnend bei den ersten Fällen nach den Demonstrationen der Studentenbewegungen von 1968 und 1971, als das mexikanische Militär Hunderte Jugendliche »verschwinden« ließ.

Die beiden EPR-Kämpfer Edmundo Reyes Amaya und Gabriel Alberto Cruz Sánchez waren vor gut einem Jahr, am 25. Mai 2007, im Bundesstaat Oaxaca verhaftet worden. Seitdem fehlt von ihnen jede Spur. Im April dieses Jahres hatte das EPR eine Waffenruhe angekündigt, um eine Vermittlung zwischen Guerilla und Regierung durch gesellschaftliche Persönlichkeiten zu ermöglichen – mit dem Ziel, die Freilassung oder ein Lebenszeichen der verschwundenen EPR-Kämpfer zu erreichen. Daraufhin waren von der staatlichen Seite als Voraussetzung für einen Dialog direkte Gespräche sowie eine endgültige Aufgabe von Sabotage und Gewalt genannt worden.

Zudem sollte es nach dem Willen der Regierung bei den Gesprächen nicht ausschließlich um das Verschwinden der beiden Guerilleros, sondern auch um die Art und Weise gehen, den bewaffneten Kampf aufzugeben. Ein Niederlegen der Waffen und eine Eingliederung in das gesellschaftliche Leben aber lehnte das EPR ab und kritisierte zugleich, dass die von ihr vorgeschlagenen Vermittler nur als »stumme Zeugen« zugegen sein sollten. Auch wies sie die Forderung der Regierung von Felipe Calderón nach direkten Gesprächen als »heimtückisch, plump und betrügerisch« zurück, da diese »keinerlei Willen erkennen lasse, die von ihr und früheren Regierungen begangenen Menschenrechtsverletzungen aufzuarbeiten«.

Es wäre überhaupt erst das dritte Mal in der Geschichte Mexikos, dass es zu direkten Gesprächen zwischen der Regierung und einer bewaffneten Gruppe kommt. Vor diesem Hintergrund ist schon das Zustandekommen des Dialogs mit der Vermittlungskommission ein Erfolg. Nach mehr als 40 Jahren Kampf des EPR und ihrer Vorläuferorganisationen (Partido de los Pobres, Procup und anderen Gruppen) erscheinen nun erstmals Verhandlungen mit der Regierung möglich.

Die Staatsanwaltschaft geht unterdessen davon aus, dass die beiden Verschwundenen tot sind, hat aber noch keine ausreichenden Beweise für diese These. Die Regierung ihrerseits wiederholte mehrfach, dass sie in keiner Weise an der mutmaßlichen Festnahme und dem Verschwinden von Reyes Amaya und Cruz Sánchez beteiligt sei. Für einen erfolgreichen und ehrlichen Dialog nicht gerade die besten Voraussetzungen.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Juni 2008


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