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Protest gegen Polizeigewalt

Mexiko: Studenten besetzen Hochschule in Michoacán

Von Andreas Knobloch *

In Morelia im mexikanischen Bundesstaat Michoacán haben Studenten am Mittwoch (Ortszeit) erneut Einrichtungen der örtlichen Universität besetzt. An der Aktion beteiligten sich Mitglieder der Koordination der kämpfenden Universitätsstudenten (CUL) sowie »Normalistas«, wie in Mexiko Studenten pädagogischer Hochschulen genannt werden. Für mehr als 50000 Studenten der Universidad Michoacana de San Nicolás de Hidalgo (UMSNH) fiel daraufhin der Unterricht aus.

Die Besetzer fordern die Freilassung von zehn Kommilitonen, die seit fast zwei Wochen inhaftiert sind. Ihnen wird vorgeworfen, Ende April während gewaltsamer Proteste im historischen Zentrum von Morelia Behördenfahrzeuge in ihre Gewalt gebracht und einige davon angezündet zu haben. Bei einer Verurteilung drohen ihnen fünf bis zehn Jahre Gefängnis.

Am Sonntag hatte ein Richter formell Haftbefehl erlassen. Daraufhin war die Uni am Montag zum ersten Mal besetzt worden. Tags darauf wurde die Aktion zunächst beendet, nachdem sich die Regierung des Bundesstaates und der CUL angenähert hatten. Man suche nach rechtlichen Wegen, um die Anschuldigungen fallen lassen zu können, hatte es aus Regierungskreisen geheißen, und der Gouverneur von Michoacán, Fausto Vallejo Figueroa, hatte den »respektvollen« Dialog mit den Aktivisten gelobt.

Das waren ungewöhnliche Töne aus dem Munde eines Mannes, der nur wenige Tage zuvor noch ganz anders geredet hatte. Ohne Beweise vorzulegen mutmaßte Vallejo, daß die Guerilla der »Revolutionären Volksarmee« (EPR) hinter den Aktionen der Studenten stecken könnte. Zudem beklagte er, daß viele der Studenten der UMSNH aus anderen Bundesstaaten kämen und damit Einheimischen »Chancen rauben« würden. Auch Michoacáns Innenminister Jesús Reyna Garcia, der eine Freilassung der zehn Studenten am Wochenende noch als »nicht verhandelbar« ausgeschlossen hatte, äußerte sich zu Wochenbeginn versöhnlicher.

Tatsächlich scheinen die Gespräche letztlich jedoch gescheitert zu sein, woraufhin die CUL am Mittwoch ihre Aktion wieder aufnahm. Um die ursprünglichen Streitpunkte, die im April zu den Auseinandersetzungen geführt hatten, geht es dabei mittlerweile nur noch am Rande. Am 17. März hatten Mitglieder der CUL die Regierung gebeten, Geldmittel und Fahrzeuge zur Verfügung zu stellen, um in verschiedenen Landkreisen und Bezirken die Ausschreibung der Studienplätze an der Uni bekanntmachen zu können. Die Regierung verbreitet diese seit einigen Jahren nur noch über das Internet und setzt damit voraus, daß alle Abiturienten Zugang zum Netz haben. Doch gerade in ländlichen Regionen ist das nicht immer der Fall. Die Verbreitung der Ausschreibung ist zwar nicht Aufgabe der Studenten, doch von der Universitätsleitung wurden sie dabei unterstützt.

Auf die Absage der Regierung am 25. April antwortete die CUL mit Straßenblockaden und Protesten im Zentrum Morelias. Dabei kam es auch zu den Vorfällen, die nun Grundlage für die Anklage gegen die zehn Studenten sind. Die Protestierenden hatten insgesamt vierzehn Fahrzeuge der Behörden in ihre Gewalt gebracht, drei davon gingen später in Flammen auf. Daraufhin kam es in der Nacht zum 28. April zu massiven Übergriffen durch die Polizei. Mehrere Studentenunterkünfte auf dem Universitätsgelände wurden gestürmt, dabei nach Angaben von Studenten Schlagstöcke, Gummigeschosse und Tränengas eingesetzt. Mehr als 200 Menschen wurden vorübergehend festgenommen, obwohl der Polizei der Zutritt zum Gelände der Universität nicht erlaubt ist, und stundenlang ohne Haftbefehl festgehalten. Zudem wurde ihnen jegliche Kommunikation mit der Familie oder Anwälten verweigert.

* Aus: junge Welt, Freitag, 11. Mai 2012


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