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Kartelle regieren mit

Unregelmäßigkeiten bei Regionalwahlen im mexikanischen Bundesstaat Michoacán

Von Andreas Knobloch *

Knappe Wahlausgänge in Mexiko sind in der Regel mit Vorwürfen wegen unerlaubter Einflußnahme und Fälschung verbunden. Die Regionalwahlen im Bundesstaat Michoacán vom Wochenende (12./13. Nov.) bilden da keine Ausnahme. Sie könnten einen Ausblick darauf gegeben haben, was im Juli nächsten Jahres zu erwarten ist, wenn es um die Präsidentschaft geht.

Nach noch nicht offiziell bestätigten Zahlen hat die langjährige Regierungspartei PRI den Sieg davongetragen – wenn auch denkbar knapp. Deren Kandidat Fausto Vallejo, Bürgermeister der Hauptstadt Morelia, führt mit 35,4 Prozent der Stimmen vor der Kandidatin der konservativen PAN, Luisa María Calderón Hinojosa. Für die Schwester von Präsident Felipe Calderón votierten 32,7 Prozent. Der Kandidat der sozialdemokratischen PRD, Silvano Aureoles Conejo, kam nur auf 28,9 Prozent. Die PRI liegt auch in den meisten Bezirken und Kreisen vorne.

Das Ergebnis verschafft dem Parteichef der PRI, Gustavo Madeira, etwas Luft – über seinen Abgang war zuletzt spekuliert worden – und der Partei weiter Rückenwind für die Rückkehr ins Präsidentenamt. Die Institutionelle Revolutionäre Partei hatte Mexiko jahrzehntelang mit einer Mischung aus Korporativismus, Vetternwirtschaft und Stimmenkauf ununterbrochen regiert, ehe sie 2000 von der konservativen PAN abgelöst wurde. Vertreter der PRI beherrschen bereits jetzt die Kabinette in 18 von 32 Bundesstaaten; Michoacán könnte als neunzehnter dazukommen.

Direkt nach Schließung der Wahllokale, und noch bevor irgendwelche Ergebnisse bekannt waren, hatten sich alle drei großen Parteien zum Sieger erklärt. Aureoles verkündete ein »technisches Unentschieden« mit dem Kandidaten der PRI – basierend auf Umfragen, die von der eigenen Partei durchgeführt worden waren. Die Chefs von PRI und PAN, Humberto Moreira und Gustavo Madeira, riefen dagegen ihre jeweiligen Kandidaten zum Sieger aus. Die von ihnen beauftragten Unternehmen zur Wählerbefragung waren ebenfalls zu ganz eigenen Ergebnissen gekommen. Die Wahlbehörde (IEM), die einen »organisierten Hackerangriff« der Gruppe Anonymous Hispano auf ihr Programm zur Stimmenauszählung vermeldete, rief alle Beteiligten zu Zurückhaltung auf. Das offizielle Ergebnis werde erst am Mittwoch bekanntgegeben.

Das sich abzeichnende Resultat wäre ein Desaster für die PRD. Michoacán ist die Wiege der Partei. Während der letzten Dekade hatte sie hier den Gouverneur gestellt. Bei einem Wahlverlust dürfte sich die bereits bestehende Krise innerhalb der Partei weiter verschärfen.

Am Montag (14. Nov.) griff denn auch PRD-Kandidat Aureoles an. Der Sieg der PRI habe mit dem Drogenhandel zu tun. »Die Menschen in Michoacán dürfen nicht durch einen Kandidaten regiert werden, dessen Kampagne vom organisierten Verbrechen koordiniert wurde.« Es habe so viele Unregelmäßigkeiten gegeben, daß er die Gültigkeit des Ergebnisses anzweifle. Der Präsident der PRD, Jesús Zambrano, sprach davon, daß ein Triumph der PRI Michoacán in einen »Narcostaat« verwandeln würde. Der derzeitige Bürgermeister von Mexiko-Stadt und mögliche Präsidentschaftskandidat der PRD, Marcelo Ebrard, dagegen rief zur Anerkennung des Wahlergebnisses auf.

Auch die Kandidatin der PAN, Luisa María Calderón, die lange in den Umfragen geführt hatte, sprach von Einmischung der Drogenkartelle. Ein Bürgermeister war während einer Wahlkampfveranstaltung ermordet worden, andere zogen nach Drohungen ihre Kandidatur zurück. Der Präsident der PAN in Michoacán, German Tena, sagte, bewaffnete Männer seien in verschiedenen Wahllokalen aufgetaucht und hätten den Leuten befohlen, wie sie abzustimmen haben. Allerdings wurden auch 42 Anhänger der PAN wegen Einschüchterungsversuchen festgenommen.

Michoacán ist der Heimatstaat von Präsident Felipe Calderón. Selbst wenn es für den Sieg wohl nicht ganz gereicht hat, dürfte das Abschneiden seiner Schwester der PAN Auftrieb und neue Zuversicht geben.

Der Bundesstaat ist wichtiger Produzent und Umschlagplatz von Methamphetaminen und Marihuana. Calderóns »Krieg gegen die Drogen« nahm an dieser Stelle seinen Anfang – und hat in fünf Jahren allein hier mehr als 2000 Tote gefordert. Die Politik im Bundesstaat gilt als von den Drogenkartellen beeinflußt. Polizei und viele Rathäuser sind von ihnen unterwandert. Sie diktieren, wer zur Wahl antreten »darf« und wer wem die Stimme gibt.

* Aus: junge Welt, 16. November 2011


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