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Mexikos Parlament bleibt besetzt

Proteste gegen Privatisierung im Ölsektor

Von Andreas Knobloch, Mexiko-Stadt *

Die von der regierenden konservativen Nationalen Aktionspartei (PAN) geplante weitgehende Privatisierung des mexikanischen Erdölkonzerns PEMEX stößt auf Widerstand. Seit Donnerstag vergangener Woche halten die Abgeordnete der Breiten Progressiven Front (FAP) die Rednerbühne des Senats besetzt -- unterstützt von Tausenden vor dem Gebäude.

Die derzeitige Blockade beider Kammern des mexikanischen Parlaments ist der vorläufige Höhepunkt einer seit Wochen anhaltenden Auseinandersetzung um die von der Regierung geplante Energiereform, die insbesondere den staatlichen Ölkonzern PEMEX für privates Kapital öffnen soll. Wenige Tage vor Bekanntgabe des PEMEX-Privatisierungspaktes stellte Oppositionsführer Andrés Manuel López Obrador von der sozialdemokratischen PRD die in seiner Umgebung aufgebauten zivilen Widerstandsbrigaden vor, denen 10 000 Frauen und 18 000 Männer angehören. Tausende Angehörige dieser Widerstandsbrigaden blockieren seit über einer Woche das Parlament. Gleichzeitig besetzten Abgeordnete der Breiten Progressiven Front (FAP) die Rednertribünen in beiden Kammern, so dass die Parlamentssitzungen unterbrochen werden mussten.

Die FAP ist ein Zusammenschluss der drei parlamentarischen Mitte-Linksparteien PRD, PT und Convergencia. Die Front fordert eine breite öffentliche Debatte sowie ein Referendum über die Privatisierungspläne. Da Referenden jedoch in der Verfassung nicht vorgesehen sind, müssten die Gesetze dahingehend geändert werden. Das Volk solle über die Zukunft des Reichtums der Nation direkt entscheiden können, verlangt die FAP.

Die Pläne der PAN und der Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI), die bis 2000 jahrzehntelang geherrscht hatte, sehen das nicht vor. Die zunächst vorgesehene Verabschiedung der Energiereform noch in dieser Sitzungsperiode des Parlaments, die Ende April endet, scheint zwar sehr unwahrscheinlich, doch auch die von der FAP geforderte 120-tägige Debatte von Mai bis Ende August lehnen PAN und PRI ab und bieten 50 Tage an, in denen vor einer Abstimmung Experten zum Thema angehört werden sollen. Die FAP droht derweil, die Besetzung des Parlaments aufrecht zu erhalten.

Die Fronten scheinen verhärtet, vor allem seit Energieministerin Georgina Kessel die Initiative für die geplante Energiereform im Senat eingereicht hat. Diese sieht einige Gesetzesänderungen vor, um PEMEX zu ermöglichen, private Partner etwa bei Bohrvorhaben erfolgsabhängig bezahlen zu dürfen. Das soll solche Aufträge attraktiver machen und das Erschließen neuer Vorkommen beschleunigen. Zudem soll unter anderem die Steuerlast für PEMEX gesenkt werden, um dem Konzern größerer Spielraum für Investitionen zu geben.

Doch der Einstieg privaten Kapitals in den mexikanischen Energiesektor berührt ein Tabu mexikanischer Innenpolitik. PEMEX ist der größte Konzern Lateinamerikas und erwirtschaftet nicht zuletzt wegen der hohen Ölpreise knapp 40 Prozent der mexikanischen Staatseinnahmen. Das Unternehmen wurde gegründet, nachdem am 18. März 1938 der damalige Präsident Lázaro Cárdenas die ausländischen Erdölfirmen einschließlich aller Einrichtungen auf mexikanischem Territorium enteignet und die natürlichen Ressourcen verstaatlicht hatte. Seitdem ist die Nationalisierung des Erdöls so etwas wie der Heilige Gral nationaler Unabhängigkeit. Zwar gab es vor allem von konservativer Seite immer wieder Forderungen nach Privatisierung und Zulassung ausländischer Kapitalbeteiligungen, doch so recht getraut hat sich das bisher noch keine mexikanische Regierung.

Auch diesmal wird die angestrebte Zulassung nichtstaatlicher Kapitalinvestitionen nicht Privatisierung genannt, sondern als Reform des Energiesektors und Modernisierung von PEMEX verpackt. So soll privatem Kapital ermöglicht werden, in verschiedene Sparten des Unternehmens zu investieren, darunter die Erdölgewinnung auf Hochsee sowie die Lagerung, den Transport und den Verkauf von Erdölprodukten.

Die FAP und mit ihr die außerparlamentarische Linke sehen in der Reform des Energiesektors nur den ersten Schritt einer stufenweisen vollständigen Privatisierung von PEMEX und lehnen sie grundsätzlich ab. Dabei bestreiten auch sie keineswegs, dass PEMEX dringend mehr Geld für Investitionen und neue Technologie benötigt. Doch sei das Problem vor allem Korruption und Misswirtschaft im Konzern selbst. So ist neben der Parlamentsbesetzung eine breite Mobilisierungswelle mit Hungerstreiks, Menschenketten und Demonstrationen angelaufen, zudem droht die Opposition, mit Zehntausenden Anhängern Flughäfen, Autobahnen und Regierungsgebäude zu blockieren, um die Reform zu vereiteln.

* Aus: Neues Deutschland, 19. April 2008


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