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Neue Gegenkraft

Aufständische Volksbewegung in Oaxaca entwirft Programm. Weitere Großdemonstration geplant

Von Gerold Schmidt (npl), Mexiko-Stadt *

Während die südmexikanische Stadt Oaxaca nach wie vor von den »Sicherheitskräften« der Bundesregierung besetzt ist, wendet sich die aufständische Selbstverwaltung der politischen Zukunft zu. Seit Freitag (10. November 2006) ist die bisher provisorische »Versammlung der Bevölkerung Oaxacas« (APPO) auf einem dreitägigen offiziellen Gründungstreffen damit befaßt, sich ein politisches Programm zu geben und weitere Ziele zu definieren. Damit ist klar, daß die APPO über den aktuellen Kampf um den Rücktritt des Gouverneurs hinaus eine Rolle im Bundesstaat Oaxaca spielen wird.

Der APPO sind über 350 Organisationen und Gruppen aus einem breiten politischen und sozialen Spektrum angeschlossen. Sie haben die Stadt selbstverwaltet, nachdem Gouverneur Ulises Ruiz im Sommer vertrieben worden war. Der Politiker der langjährigen Staatspartei PRI (Partei der Institutionalisierten Revolution) hatte im Mai versucht, einen Streik von 70000 Lehrern mit Polizeigewalt zu beenden – und damit den Volksaufstand provoziert.

Nach den schweren Auseinandersetzungen zwischen Bundespolizei und APPO vor den Toren der Universität am 2. November sind größere Gewaltakte in den letzten Tagen ausgeblieben. Nach wie vor befinden sich aber Tausende Bundespolizisten in der Stadt, Gouverneur Ruiz will weiterhin nicht zurücktreten. Statt dessen wurden gegen Mitglieder der APPO-Führung Haftbefehle erlassen. Von einer Beruhigung der Situation kann also keine Rede sein, zumal das Schicksal von rund 90 Inhaftierten weiterhin unklar ist.

Außerdem wurden APPO-Anhänger in den vergangenen Tagen mehrfach beschossen, und so nimmt die Angst vor paramilitärischen Übergriffen wieder zu. Ende Oktober hatten Todesschwadronen, die mit dem Gouverneur in Verbindung gebracht werden, mehrere Menschen ermordet, darunter einen US-Journalisten.

Obwohl inzwischen auch die konservative PAN-Regierung in Mexiko-Stadt dem PRI-Politiker Ruiz den Rücktritt nahelegt, verschafft sie ihm durch die Präsenz der Bundespolizei Rückendeckung. Am Mittwoch (8. Nov.) legte Ruiz sogar einen Sechs-Punkte-Plan vor, der neben Reformen für Oaxaca eine »Versöhnung« mit der Opposition vorsieht. APPO-Sprecher Florentino López machte jedoch umgehend klar, daß für das Volksbündnis nur eine Lösung ohne den Gouverneur denkbar ist.

Wie die Sympathien verteilt sind, wurde wiederholt deutlich. Ruiz konnte in den vergangenen Tagen nur zwei kleinere Demonstrationen organisieren, an denen vor allem Polizisten, Verwaltungsangestellte und PRI-Mitglieder teilnahmen. Gegen seinen Verbleib im Amt und für die APPO gingen am vergangenen Sonntag bei der bereits 6. Großdemonstration erneut mehrere hunderttausend Menschen auf die Straße. Die Teilnehmerzahl soll an diesem Sonntag übertroffen werden. Vor allem aus Mexiko-Stadt, aber auch vielen anderen Bundesstaaten haben sich Auto- und Buskarawanen zur Unterstützung auf den Weg gemacht. Die sozialen Bewegungen Mexikos verfolgen das Geschehen in Oaxaca aufmerksam. Dem Gründungskongreß der APPO an diesem Wochenende kommt deswegen bei aller Unsicherheit über den Ausgang des Konfliktes große politische Bedeutung zu.

* Aus: junge Welt, 11. November 2006


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