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Mexiko wählt

Entscheidung über neuen Präsidenten am Sonntag. Studentenbewegung wirbelte Kampagnen durcheinander

Von Torge Löding, Mexiko-Stadt *

Die erst im Mai gegründete Studierendenbewegung »Yo soy 132« ist zur Protagonistin des mexikanischen Wahlendspurts geworden. Welche Auswirkung ihre Kampagne für eine faire und transparente Abstimmung, für eine Demokratisierung der Medien und gegen eine Rückkehr der alten, autoritären Staatspartei PRI (Institutionelle Revolutionäre Partei) an die Macht bei den Wahlen am Sonntag jedoch haben wird, blieb auch in den Tagen davor noch unklar. Obwohl die Bewegung keinen Wahlaufruf verfaßt hat, profitiert von ihrer Ablehnung der PRI vor allem der Kandidat der um die gemäßigt linke Partei der Demokratischen Revolution (PRD) gebildeten »Progressiven Bewegung«, Andrés Manuel López Obrador.

Doch während »Yo Soy 132« eine demokratische Hoffnung darstellt, ist die Lage für Menschenrechtsverteidiger und Journalisten so schwierig wie nie zuvor. Der scheidende Präsident Felipe Calderón von der rechtskonservativen PAN läutete eines der blutigsten Kapitel der mexikanischen Geschichte ein, den »Krieg gegen die Drogen«. Der forderte bereits bis zu 60000 Todesopfer und 30000 »Verschwundene«. Außerdem wurden etwa 250000 Menschen innerhalb des Landes zu Flüchtlingen. Es sind vor allem dieser Krieg und die in Mexiko herrschende Straflosigkeit, die ein Klima von Terror und Angst geschaffen haben. Vertreter der sogenannten Zivilgesellschaft beklagen, daß vor diesem Hintergrund die Grundbedingung für eine demokratische Beteiligung der Bevölkerung nicht gegeben ist. Allein im ersten Halbjahr 2012 wurden in Mexiko elf Journalisten getötet. Anfang dieser Woche wurden in Oaxaca Unterstützer von »Yo soy 132« gewaltsam attackiert, wenig später wurde ein Mordanschlag auf zwei kritische Reporter verübt. »Es sind nicht die Banden der organisierten Kriminalität, die für die Verletzung der Menschenrechte verantwortlich sind, verantwortlich ist der mexikanische Staat«, sagte Alejandro Cerezo von der Menschenrechtsvereinigung ACUDDEH am Dienstag (Ortszeit) bei der Vorstellung des Jahresberichts seiner Organisation. 2011 wurden demnach 209 Übergriffe gezählt, im Vergleich zum Vorjahr ein Zuwachs von 418 Prozent.

Während die Bilanz von zwölf Jahren PAN-Regierung vor allem vom Wachstum der Armut und der Explosion der Gewalt geprägt ist, präsentiert sich die PRI als zum Paulus gewandelte demokratische Partei. Doch diese Darstellung ihres Anwärters Enrique Peña Nieto darf bezweifelt werden, war er doch als Gouverneur des Bundesstaates Mexiko selbst zuständig für die staatliche Unterdrückung. Erst im Mai verteidigte er erneut den von ihm zu verantwortenden brutalen Polizeieinsatz gegen Protestierende in Atenco 2006, bei dem zwei Demonstranten getötet, Hunderte verletzt und 26 Frauen vergewaltigt worden waren. Darüber hinaus ist Peña Nieto bestens mit dem vorletzten PRI-Präsidenten Carlos Salinas (1988–1994) und anderen Mächtigen aus dem alten PRI-Apparat vernetzt. Nachgesagt werden ihm zudem Verbindungen zur organisierten Kriminalität.

Das politische Angebot des fortschrittlichen Herausforderers López Obrador ist indes begrenzt. Er wirbt vor allem damit, die erfolgreiche Sozialpolitik, für die er zwischen 2000 und 2005 als Bürgermeister von Mexiko-Stadt stand, für das gesamte Land umsetzen zu wollen. Finanzieren möchte er diese durch Korruptionsbekämpfung, Streichung von Privilegien hochbezahlter Spitzenbeamter und ein progressives Steuersystem. Deutlich steht er für einen Bruch mit dem Neoliberalismus, und als einziger Präsidentschaftskandidat klagt er die Privatisierungsorgien unter den letzten PAN- und PRI-Regierungen an. Deshalb setzt ein großer Teil der politischen Linken Hoffnungen in ihn. Unterstützt wird seine Kandidatur nicht nur von seiner Partido de la Revolución Democrática (PRD) sondern auch von zwei Kleinparteien und der »Bewegung der nationalen Regeneration« (MORENA), einer zivilgesellschaftlichen Organisation mit mehreren Millionen Mitgliedern. Auf Ablehnung stößt er hingegen bei den Aktivisten der »Anderen Kampagne« der Zapatisten und bei Kleinparteien wie den Kommunisten. Letztere treten nicht bei der Wahl an, da per Gesetz alle Parteien von den Wahlen 2012 ausgeschlossen wurden, die nicht bereits vor sechs Jahren dabei waren.

* Der Autor leitet das Büro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Mexiko.

Aus: junge Welt, Donnerstag, 28. Juni 2012



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