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"Die Neoliberalen hinterlassen verbrannte Erde"

In Mexiko führen Linke einen erbitterten Kampf gegen Privatisierungen und den nationalen Ausverkauf. Ein Gespräch mit Paco Ignacio Taibo II *


Der gebürtige Spanier Paco Ignacio Taibo II gehört zu den bekanntesten Autoren Mexikos. Er politisierte sich 1968 in der blutig niedergeschlagenen Studentenbewegung, schrieb vielbeachtete Biographien von Che Guevara und Pancho Villa sowie ein Werk zur Geschichte der Kommunistischen Bewegung in Mexiko. Er gilt auch als Begründer des neuen lateinamerikanischen Kriminalromans.

Sie sind als linker Autor bekannt – verstehen Sie sich auch als Intellektueller?

Als ich einmal zu einer Lesung in eine Fabrik kam, hörte ich einen Arbeiter sagen: »Ach, jetzt kommt dieser Intellektuelle.« Ich erklärte ihm, ich wisse zwar, daß er acht Stunden oder länger an der Maschine steht – ich selbst aber müsse jeden Tag zwölf oder 14 Stunden arbeiten, und zwar auf dem Arsch sitzend. Das eine ist nicht mehr wert als das andere. Beides ist anstrengend.

Mit Blick auf die Präsidentschaftswahlen im kommenden Jahr arbeiten Sie politisch mit der Basis der »Partei der Demokratischen Revolution« (PRD) zusammen. Lohnt es, sich mit dieser höchst zerstrittenen Partei einzulassen?

Ja natürlich lohnt sich das. Zum einen werden wir durch die sogenannte Reform der Arbeitsgesetzgebung herausgefordert, ein durch und durch reaktionäres Vorhaben zur Zerschlagung sozialer Errungenschaften, auf das sich die rechten Parteien PAN und PRI verständigt haben. Diese Parteien kandidieren zwar gegeneinander, aber das Gesetz zeigt deutlich, daß beide zwei Seiten ein und derselben Medaille sind.

Auf zentralen Plätzen, zum Beispiel dem Zócalo in Mexiko-Stadt, veranstalten wir Kundgebungen, bei denen die bekanntesten Schriftsteller des Landes reden. Außerdem verteilen wir Bücher, die sich mit Aspekten der mexikanischen Arbeiterbewegung befassen. Natürlich betrifft uns auch der sogenannte Krieg gegen den Drogenhandel, der Teile unseres Landes verwüstet. Mit Hinblick auf die Präsidentschaftswahlen 2012 ist auch das Ergebnis im Bundesstaat Mexiko strategisch von Bedeutung, wo im Juli ein neuer Gouverneur gewählt wird. Dort ist es wichtig, den neuerlichen Wiederaufstieg der PRI zu bremsen.

Im Laufe der Jahre bin ich allerdings Pragmatiker geworden. Ich denke, jeder noch so begrenzte Vorschlag zur Bekämpfung des Neoliberalismus sollte ernst genommen werden. Wenn die Neoliberalen auch nur zwei Meter vorrücken, hinterlassen sie verbrannte Erde, Schlamm oder Wüste: Mal 44000 entlassene Elektrizitätsarbeiter und eine zerstörte nationale Elektrizitätswirtschaft, die an spanische Konzerne fällt. Mal 38000 Tote durch die Drogenkriege im Norden und im südlichen Zentrum des Landes.

Ließen sich diese Kriege stoppen?

Das wäre durchaus möglich, innerhalb von sechs Monaten. Die Regierung von Felipe de Jesús Calderón Hinojosa müßte nur dazu bereit sein. Aber in diesem verrückten Land kommen ungewohnte Änderungen manchmal schneller, als man denkt. In Mexiko ist nichts kalkulierbar.

Vieles spricht dafür, daß die linken Kandidaten 2006 durch Wahlbetrug ihres Sieges beraubt wurden. Kann die Linke angesichts solcher Praktiken irgendwann mal Wahlsieger werden?

Erstens müßte sie tatsächlich in der Stimmenzahl vorne liegen. Zweitens muß es eine Kraft geben, die das Ergebnis verteidigen kann. Drittens muß die Bourgeoisie davon überzeugt sein, daß ein erneuter Wahlbetrug das Land an den Rand eines Bürgerkrieges bringen würde. Wenn diese drei Situationen eintreten, können wir die Wahl tatsächlich gewinnen.

Interview: Torge Löding

* Aus: junge Welt, 4. Mai 2011


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