Mafiajagd mit dem Panzerwagen
Die mexikanische Polizei und staatliche Behörden partizipieren am lukrativen Geschäft mit den illegalen Substanzen und führen damit die offizielle Regierungspolitik des Anti-Drogen-Kampfes ad absurdum
Von Albert Sterr *
Kaum ein Tag vergeht, ohne dass die Nachrichtenagenturen von neuen Morden im mexikanischen Drogenkrieg berichten. Im vergangenen Jahr wurden in Mexiko mindestens 5600 Menschen ermordet. Im Januar 2009 allein 500 – eine Verdoppelung gegenüber dem Vorjahresmonat. Ende 2006 startete die mexikanische Regierung unter Felipe Calderón eine Offensive gegen die Drogenkartelle, an der sich mehr als 36 000 Polizisten und Soldaten beteiligen. Überzeugend ist das angesichts der offenkundigen Verwicklung von Polizeikräften und Regierungsbeamten in die illegalen Geschäfte trotzdem nicht.
Der autoritär-neoliberale Präsident Mexikos, Felipe Calderón, setzt auf militärische Erfolge im »Krieg gegen die Drogenmafia«. So will er sich für die bevorstehenden Kongresswahlen im Sommer positionieren. Nullwachstum, stark gestiegene Nahrungsmittelpreise, der Verlust Hunderttausender von Arbeitsplätzen, verringerte Gastarbeiterüberweisungen der 12 Millionen Landsleute in den USA, Abschottung der US-Grenzen gegenüber Arbeitsmigranten und der aktuell niedrige Ölpreis verschärfen die sozial- und wirtschaftspolitische Krise Mexikos. Mit diesen Themen kann die Regierung nicht punkten. Die bei seinem Amtsantritt vor zwei Jahren ausgerufene »Politik der harten Hand« gegen die Drogenkartelle bleibt somit der einzige Trumpf der regierenden »Nationalen Aktionspartei«.
Dabei hat die Militarisierung der Anti-Drogen-Politik unter Präsident Calderón bisher vor allem eines bewirkt: eine geradezu explosionsartige Zunahme von Gewalt. Gegenüber dem Vorjahr hat sich 2008 die Zahl der Mordopfer bei Rauschgiftdelikten mehr als verdoppelt. Nach Angaben der mexikanischen Generalstaatsanwaltschaft belief sie sich in den ersten elf Monaten des Jahres 2008 bereits auf 5400. Tag für Tag werden dutzende Menschen auf spektakuläre und zum Teil bestialische Art und Weise umgebracht. Der Gewöhnungseffekt führt dazu, dass die Massenmedien fast nur noch über besonders grausame Vorfälle wie etwa Enthauptungen berichten.
Warnungen vor Kolumbiens Beispiel
Zu den Tötungsdelikten kamen im selben Zeitraum 950 Entführungen, wobei 56 Verschleppte ebenfalls ermordet wurden. Die Dunkelziffer dürfte noch weit höher liegen. Experten gehen davon aus, dass aus den unterschiedlichsten Gründen mindestens zwei Drittel aller Freiheitsberaubungen nicht angezeigt werden. Für die Entführungen sind Banden verantwortlich, die zumeist eng mit Drogenkartellen kooperieren. Das Rotlichtmilieu, Waffenhandel und Geldwäsche sind weitere Aktionsfelder der Drogenmafia. Im nördlichen Grenzgebiet zu den USA sind Gewalt und öffentliche Unsicherheit besonders ausgeprägt.
2008 wurden allein in der Grenzmetropole Ciudad Juárez über 1400 Personen ermordet. Diese Situation mit mächtigen, allgegenwärtigen und äußerst gewalttätigen Drogenkartellen erinnert an das Kolumbien der 80er und 90er Jahre. Linke und Menschenrechtsorganisationen warnen denn auch vor der »Kolumbianisierung Mexikos«. Trotz der massiven Präsenz von 40 000 Soldaten auf den Straßen und in den Städten hat sich die Gewalt auf weitere Regionen und soziale Sphären ausgeweitet. Zudem kommt es bei Armeeoperationen immer wieder zu schweren Verletzungen von Grundrechten, wie Menschenrechtsorganisationen berichten. Die außerparlamentarische Linke klagt an, dass besonders in ländlichen Konfliktregionen der Bundesstaaten Oaxaca oder Guerrero unter dem Deckmantel von Anti-Drogen-Einsätzen in Wirklichkeit eine Politik der Aufstandsbekämpfung betrieben werde. Diese habe das Ziel, durch Verhaftungen, Folter oder »Verschwindenlassen« von Aktivisten systemkritische Gruppierungen zu zerschlagen und sozial motivierte Erhebungen bereits im Keim zu ersticken. Unter dem Vorwand, illegale Drogenpflanzungen zu zerstören, drangen Polizei- und Militärkräfte, zum Teil unterstützt von paramilitärischen Gruppen, mehrfach in Zapatistengebiete ein und gingen gewaltsam gegen friedliche Dorfbewohner und Kooperativen vor. Der Militäreinsatz gegen die Drogenmafia, angesichts des Versagens der Polizei das »kleinere Übel«, hat sich, so die Zeitung »La Jornada«, unter dem Gesichtspunkt der Rechtstaatlichkeit in ein zusätzliches Übel verwandelt.
Ein Ende der tödlichen Spirale ist nicht in Sicht. Der mexikanische Generalstaatsanwalt Eduardo Medina Mora sagte bei der Präsentation der neuesten Zahlen: »Wir haben den Höhepunkt der Gewalt noch nicht erreicht«. Nach Ansicht des Generalstaatsanwalts wird sich die Situation weiter verschlechtern. Besonders gravierend ist, dass, anders als bisher, nicht nur Bandenmitglieder, deren Angehörige, Helfershelfer oder Sicherheitskräfte unter den Opfern sind. Seit einigen Monaten bedroht die Narco-Gewalt auch völlig Unbeteiligte. Mittelschichtangehörige werden Opfer von Schnellentführungen mit anschließender Lösegeldzahlung, und bei Schießereien am helllichten Tag kommen unbeteiligte Passanten zu Schaden.
Am 16. September 2008, einem Nationalfeiertag explodierten im Bundesstaat Michoacán zwei Handgranaten während einer Festveranstaltung, und in Ciudad Juárez wurden die Lehrer erpresst, ihr Weihnachtsgeld abzugeben. Sie weigerten sich. Aus Angst vor den angedrohten Repressalien schickten viele Eltern die Kinder vorübergehend nicht mehr zur Schule. Kurz davor waren hunderte Klinikmitarbeiterinnen auf die Straße gegangen, um dagegen zu protestieren, dass Mafiakiller bis ans Krankenbett vordringen, um ihre verletzten Opfer endgültig umzubringen. Auch Journalisten, die über derartige Vorfälle berichten, leben gefährlich.
Journalisten im Visier der Drogenbanden
Seit dem Ende des Staatsparteiensystems im Jahre 2000 wurden in Mexiko 45 Journalisten ermordet, die meisten von Drogenkartellen. Angst macht sich breit. Die innermexikanischen Konflikte strahlen auch auf die Nachbarstaaten aus. Beim südlichen Nachbarn Guatemala, mit dem Mexiko eine 950 Kilometer lange, wenig besiedelte und kaum erschlossene Grenze teilt, verstärkt die mexikanische Drogenmafia ihre Aktivitäten. Ihre Helikopter, die in Höhe der Baumwipfel fliegen, um die heiße Ware zu transportieren, sind kaum zu orten. In den letzten Wochen kam es in Guatemala wiederholt zu Massakern an Zivilpersonen, für die mexikanische Killertrupps verantwortlich gemacht werden. Guatemala kündigte die Militarisierung des Grenzgebietes an. Die knapp 3200 Kilometer lange Nordgrenze zwischen Mexiko und den USA ist längst abgeschottet. Dort versuchen die USA mit erheblichem technischen Aufwand, die Grenze für unerwünschte Personen und illegale Güter unpassierbar zu machen.
Auch auf die Innenpolitik ihres Nachbarn nehmen sie verstärkt Einfluss. Die US-Außenpolitik verkompliziert die ohnehin verworrenen innermexikanischen Konfliktkonstellationen weiter. Mit Auslieferungsanträgen gegen Drogencapos, gezielt lancierten Informationen sowie einer massiv ausgeweiteten Zusammenarbeit in den Bereichen Militär, Polizei und Geheimdienste mischen die USA in der mexikanischen Innenpolitik mit. Allein für 2008 sind im Rahmen der »Mérida-Initiative« dafür etwa 400 Millionen US-Dollar vorgesehen; im Zeitraum von drei Jahren insgesamt 1,4 Milliarden US-Dollar. Nun autorisierte der US-Kongress die Freigabe von 100 Millionen US-Dollar, die bisher für Waffenlieferungen an Mexiko bewilligt wurden. Mit Überwachungsflugzeugen vom Typ CASA 235, Bell-Hubschraubern, gepanzerten Fahrzeugen und zusätzlichen Scannern sowie verbesserter Beratung soll die mexikanische Armee schlagkräftiger gegen die Drogenkartelle vorgehen.
Parallel dazu werden die geheimdienstlichen Ermittlungen im Drogenmilieu ausgebaut. Wie in Kolumbien werden hier private US-Sicherheitsfirmen tätig, die auf US-Bürger hispanischer Herkunft zurückgreifen. Vor wenigen Tagen wurde Félix Batista, ein amerikanischer Sicherheitsberater mit kubanischen Wurzeln, im nordmexikanischen Saltillo von Unbekannten entführt. Die britische BBC zitierte Stimmen, die dies als Machtdemonstration der Kartelle werten. Offenbar verfügen die US-Sicherheitsdienste über qualitativ hochwertige Erkenntnisse über das Innenleben der mexikanischen Kartelle, welche den auf 100 Milliarden Dollar geschätzten US-Drogenmarkt mit kontrollieren. So konnten die Fahnder im vergangenen Juli in Washington den ehemaligen Polizisten José Alberto Pérez Guerrero festnehmen, der unter seinem Deckname Felipe für ein mexikanisches Kartell arbeitete. Seit seiner Festnahme fungiert er gegenüber der US-Justiz als Kronzeuge und gibt sein umfassendes Insiderwissen preis.
Weitere Quellen sind die an die US-Justiz ausgelieferten Mexikaner, die schwerer Gesetzesverstöße beschuldigt werden. So kann die US-Drogenbekämpfungsbehörde DEA offenbar sehr gezielt Druck auf die mexikanische Regierung ausüben. Es waren diese Informationen aus den USA und nicht etwa der kriminalistische Spürsinn mexikanischer Sicherheitsbeamter, welche in den letzten Wochen die Verwicklung einer ganzen Reihe hochrangiger mexikanischer Polizeichefs ins Drogengeschäft aufdeckten. Allein aus der Führungsebene der Sondereinheit zur Aufklärung der Organisierten Kriminalität mussten etwa 40 Offiziere ihren Job quittieren.
Ihr Vorgesetzter, der mexikanische »Antidrogenzar« Noé Ramírez Mandujano, der sein Land bei der UN-Antidrogenbehörde in Wien vertrat, wird beschuldigt, auf der Lohnliste des Pazifik-Kartells gestanden zu haben. Kostenpunkt für die Informationen: 450 000 US-Dollar pro Monat. Der Chef von Interpol Mexiko, Ricardo Ramírez, stand ebenfalls auf den Gehaltslisten eines Kartells. Auch sein monatliches Entgelt war sechsstellig. »Bis unter das Dach« seien das Ministerium für öffentliche Sicherheit und die Generalsstaatsanwaltschaft von den Drogenkartellen infiltriert, schrieb das angesehene Wochenmagazin »Proceso«. Auch Armeeoffiziere im direkten Umfeld des Präsidenten arbeiteten Kartellen zu. So lieferten für monatlich 100 000 US-Dollar zwei Sicherheitsoffiziere dem Sinaloa-Kartell seit 2005 detaillierte Angaben über die Reisepläne des Präsidenten, trainierten Kartell-Pistoleros und verkauften Waffen, die rivalisierenden Banden bei Militäreinsätzen abgenommen worden waren.
Obwohl die erwähnten Sicherheitsoffiziere nach Enthüllungen eines Kronzeugen namentlich bekannt sind und die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen sie eröffnet hat, sind sie weiter in ihren Funktionen tätig. Diese Einzelfälle illustrieren, dass Präsident Calderón ein Grundsatzproblem hat: Polizei, Justiz und andere viele staatliche Behörden sind in einem hohen Maße korrupt.
Nach Angaben der Nationalen Menschenrechtskommission, die eine aktuelle Studie vorstellte, werden überhaupt nur zehn Prozent aller Straftaten angezeigt, und von allen Anzeigen endet nur ein Prozent mit der Bestrafung der Täter. Mit anderen Worten: 99 Prozent aller Straftaten bleiben ungesühnt, Straflosigkeit ist die Regel. Nach Schätzungen des Verteidigungsministeriums war mindestens einer von drei Drogenkriminellen früher Soldat.
Die Killerbanden der Kartelle wie etwa die »Zetas« rekrutieren sich vorwiegend aus ehemaligen Elitesoldaten. Auch ehemalige guatemaltekische Soldaten, »Kaibiles«, die eine traurige Rolle im Bürgerkrieg spielten, sowie Bandenmitglieder aus El Salvador und Guatemala mischen mit. Die Killertruppen der Kartelle agieren wie paramilitärische Gruppen und haben, wie in Kolumbien, Kontakte zu Polizei und Militäreinheiten.
Kartelle kennen keine Nachwuchssorgen
Dass unter diesen Umständen die Militarisierung der Drogenbekämpfung wenig erfolgversprechend ist, sollte niemanden überraschen. Obwohl in Kolumbien mit dem »Plan Colombia« die USA und ihre lokalen autoritär-konservativen Verbündeten schon seit einer Dekade auf Militär und Gewalt setzen, die USA nahezu fünf Milliarden US-Dollar in Militärhilfe investierten und dauerhaft mindestens 800 »private US-Sicherheitsberater« vor Ort sind, blieb die Kokainproduktion Kolumbiens konstant beziehungsweise stieg im vergangenen Jahr sogar wieder an.
Große Kartelle wurden zerschlagen, an ihre Stelle traten jedoch kleinere, flexiblere Einheiten, welche den Transport auf den US-Markt ihren mexikanischen Verbündeten übertrugen. Die Militarisierung der Anti-Drogenpolitik, wie sie von den USA nun auch in Mexiko fortgeführt wird, hat bisher das Kokainangebot nicht verringert. Die von der Regierung Mexikos favorisierte Strategie, in bestimmten Landesteilen Militär zu konzentrieren, führt lediglich dazu, einzelne Kartelle zu schwächen. Ihre Stelle nehmen konkurrierende Banden ein, die lukrative Geschäfte übernehmen.
Solange die Regierung fortfährt, nationale Reichtümer wie Erdöl, Strom, Wasser oder touristisch nutzbare Meeresstrände auf Kosten der verarmten Mehrheiten zu privatisieren, werden die Kartelle keine Nachwuchsprobleme haben. Und solange horrende Haftstrafen lediglich für soziale Aktivisten wie die Campesino-Führer von Atenco oder die Beschlagnahme von Bankkonten nur für unliebsame Gewerkschaften wie die der streikenden Minenarbeiter vorbehalten bleiben, solange sind durchschlagende Erfolge im Kampf gegen die Drogenmafia nicht in Sicht.
* Albert Sterr ist Mexiko-Experte und veröffentliche zuletzt »Mexikos Linke – ein Überblick«, 216 S., Neuer ISP-Verlag, Köln/Karlsruhe 2008, 22 Euro.
Aus: Neues Deutschland, 7. Februar 2009
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