Polizei und Armee sind Teil des Problems
Heike Hänsel über die Klage gegen den mexikanischen Präsidenten Felipe Calderón und die Menschenrechtslage *
Vom 1. bis 9. Oktober weilte die deutsch-mexikanische Parlamentariergruppe auf Delegationsreise in Mexiko. Daran nahm Heike Hänsel teil, entwicklungspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE. Über die Menschenrechtssituation in dem vom »Krieg gegen die Drogen« gezeichneten Land sprach mit ihr für das "neue deutschland" (ND) Martin Ling.
Eine Gruppe von Anwälten, Professoren
und Journalisten hat vor
wenigen Tagen beim Internationalen
Strafgerichtshof in Den
Haag Klage gegen den amtierenden
Präsidenten Mexikos, Felipe
Calderón, eingereicht, weil sie ihn
für Verbrechen gegen die Menschlichkeit
im Zuge des von ihm ausgerufenen
»Krieges gegen die Drogen
« verantwortlich machen. Ist so
eine Anklage berechtigt?
Ja. Es ist überfällig zu thematisieren,
welche Folgen der sogenannte
Krieg gegen die Drogen von Calderón
für die Menschen in Mexiko
bedeutet. Er geht mit einer Militarisierung
des gesamten Landes
einher, mit zahlreichen systematischen
Menschenrechtsverletzungen,
Folterungen und dem
Verschwindenlassen von Menschen.
Man spricht von offiziell
über 40 000 Toten, die mittlerweile
dieser »Krieg gegen die Drogen
« gekostet hat. Dazu kommen
noch mehr als 15 000 Verschwundene
und die zahlreichen
Binnenvertriebenen. Gegen Calderóns
Politik mit rechtlichen Mitteln
vorzugehen, war ein überfälliger
Schritt.
Welche Rolle spielen deutsche
Rüstungsexporte dabei?
Der Großteil der Waffen kommt
aus den USA – dem nahe gelegensten
Markt. Nichtsdestotrotz
gibt es deutsche Rüstungsexporte
nach Mexiko, die im Zeitraum
2006 bis 2010 sogar angestiegen
sind. Eigentlich sind Rüstungsexporte
in Krisen- und Konfliktregionen
verboten, Mexiko wird aber
nicht insgesamt als Krisenregion
geführt. Es gibt zwar einige Einschränkungen,
so dass in manche
konfliktreiche Bundesstaaten keine
Waffen geliefert werden dürfen,
aber es gibt kein generelles
Verbot, nach Mexiko Waffen zu
liefern. Und zu allem Überfluss
wurden auch in konfliktreichen
Bundesstaaten wie Guerrero, Oaxaca
oder Chihuahua Waffen des
deutschen Rüstungskonzerns
Heckler & Koch aus Baden-Württemberg
gefunden. Da ermittelt
mittlerweile die Staatsanwaltschaft
Stuttgart, weil es sich hier
offenbar um illegale Waffenlieferungen
handelt.
Um was für Waffen handelt es
sich da?
Es wurden G 36-Gewehre bei der
lokalen Polizei in Bundesstaaten
gefunden, in denen vor allem auch
die Polizei und die Armee für Menschenrechtsverletzungen
verantwortlich
gemacht werden. Und es
gab Nachweise, dass es von Heckler
& Koch Ausbildungskurse gab.
Wird das von Berlin angestrebte
Sicherheitsabkommen mit Mexiko
dadurch infrage gestellt?
Keinesfalls. Daran hält die Bundesregierung
fest. Es sieht unter
anderem vor, dass die Polizei in
Mexiko Ausbildung und Ausstattungshilfe
bekommen soll. Mit der
mexikanischen Armee gibt es bereits
ein Kooperationsabkommen,
wo die Bundeswehr mexikanische
Offiziere ausbildet. Das wird praktiziert,
obwohl in Mexiko und darüber
hinaus bekannt ist, dass sowohl
Teile des Militärs als auch der
Polizei in Menschenrechtsverletzungen
involviert sind. Dieser Zustand
ist völlig inakzeptabel. Alle
Menschenrechtsorganisationen
fordern von Deutschland, dieses
Sicherheitsabkommen nicht abzuschließen
und die Waffenlieferungen
nach Mexiko sofort zu
stoppen.
Die Bundesregierung sieht über
die dokumentierten Menschenrechtsverletzungen
hinweg?
Ja, die Bundesregierung negiert
schlichtweg die Tatsache, dass Polizei
und Armee Teil des Problems
sind und nicht Teil der Lösung in
diesem Konflikt.
Mexikos Oberstes Gericht hat im
Juli entschieden, Menschenrechtsverletzungen
der Armee und
Zivilisten sollen künftig vor zivilen
Gerichten verhandelt werden.
Damit kamen die Richter den Forderungen
von Menschenrechtsorganisationen
nach fairen Verfahren
endlich nach. Ist das ein Hoffnungsschimmer?
Der Entscheidung des Gerichts gehen
die Urteile des Interamerikanischen
Menschenrechtsgerichtshofs
voraus, der von Mexiko eingefordert
hat, dass endlich Menschenrechtsverletzungen
der Armee
vor zivilen Gerichten verhandelt
werden müssen. Formal ist es
nun möglich. Real sieht es nicht
danach aus. Die konkreten Fälle,
die den Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof
auf den
Plan gerufen haben, bleiben nach
wie vor juristisch ungeahndet,
auch wenn sie formal jetzt von der
Generalstaatsanwaltschaft untersucht
werden. Vollkommen unangepackt
bleibt die Frage des Opfer-
und Zeugenschutzes oder des
Schutzes der Menschenrechtsverteidiger.
In Mexiko sind deutsche
Investitionen besser geschützt als
Menschenrechtsverteidiger. Insofern
ist die Entscheidung des
Obersten Gerichtes zwar ein wichtiger
Schritt, aber er muss konkret
umgesetzt werden und er reicht
natürlich bei Weitem nicht aus.
Sie haben sich während der Delegationsreise
unter anderem mit
der Bundesgeneralstaatsanwältin
Marisela Morales getroffen. Was
sagt sie dazu, dass 97 Prozent der
Menschenrechtsverletzungen in
Mexiko überhaupt nicht juristisch
verfolgt werden?
Das Treffen mit der Generalstaatsanwältin
war sehr ernüchternd.
Sie hat generell immer die
internationale Unterstützung angefordert.
Darüber hinaus hat sie
die bedenkliche Auffassung geäußert,
dass ein Großteil der Opfer
von Menschenrechtsverletzungen
aus dem Bereich der organisierten
Kriminalität kommen, die sich
dann an Menschenrechtsverteidiger
wenden, obwohl sie Kriminelle
sind. Sie hat auch schon in einem
Interview Menschenrechtsverteidiger
als nützliche Idioten der organisierten
Kriminalität bezeichnet.
Ein seltsames Rechtsverständnis.
Sie kriminalisiert die
Opfer als Kriminelle, obwohl 97
Prozent der Fälle nicht aufgeklärt
werden. Wie also soll sie wissen,
dass ein Großteil eigentlich aus der
organisierten Kriminalität kommt?
Das entspricht ein bisschen der
generellen Linie der Regierung
Calderón: Wir kämpfen gegen die
organisierte Kriminalität und dann
gibt es eben auch ein paar Opfer.
Eine sehr zynische und auch propagandistische
Sichtweise, die die
internationale Gemeinschaft nicht
akzeptieren darf.
* Aus: neues deutschland, 18. Oktober 2011
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