Vom Thron in den Kerker
Mexikos mächtigster Gewerkschafterin Gordillo droht wegen Korruption hohe Strafe
Von Sara Charlotte König, Mexiko-Stadt *
Die Gewerkschaftsbewegung war in Mexiko traditionell der von 1929 bis
2000 ununterbrochen regierenden Partei der Institutionalisierten Revolution
(PRI) bedingungslos untergeordnet. Nach ihrer Rückkehr an die
Macht 2012 propagiert die PRI den Kampf gegen Korruption – ein bewährtes
Mittel, Rivalen aus dem Weg zu räumen wie Elba Esther Gordillo.
Sie ist alles andere als über einen
Korruptionsverdacht erhaben: Elba
Esther Gordillo, Chefin der
mächtigsten Gewerkschaft Lateinamerikas,
der mexikanischen
Lehrergewerkschaft SNTE. Offizielles
Monatsgehalt: umgerechnet
rund 4700 Euro.
Dennoch hatte die ehemalige
Grundschullehrerin aus Chiapas
keine Skrupel, mit teuren Gucciund
Prada-Taschen und in edlen
Kostümen von Chanel und Escada
Sitzungen zu besuchen. Angereist
kam sie des Öfteren im Privatjet
von einem ihrer unzähligen Besitztümer
in Mexiko und den USA.
Es ist ein offenes Geheimnis,
wie sie zu ihrem Besitz gekommen
ist: Fast 24 Jahre lang hat sie als
SNTE-Chefin hohe Funktionen und
Posten in der Arbeitnehmervertretung
und der Regierung an
Freunde und Familie verteilt.
Ebenso vergab sie Privilegien an
treue Genossen und feilschte mit
den Präsidenten um den politischen
Preis für den Frieden der 1,7
Millionen Gewerkschaftsmitglieder.
Dabei vergaß sie nie, sich
selbst ein großes Stück Kuchen
einzuverleiben.
Gordillo dachte, sie wäre allmächtig,
unersetzbar, unantastbar.
Nun sitzt »La maestra« (die
Lehrerin) seit dem 26. Februar
streng bewacht hinter Gittern. Eine
Freilassung auf Kaution lehnte
der zuständige Haftrichter ab,
denn die Beweislast wiegt schwer.
Umgerechnet über 155 Millionen
Euro soll die 68-Jährige von
2009 bis 2012 aus der Gewerkschaftskasse
auf Konten Dritter in
Liechtenstein und der Schweiz abgezweigt
haben. Mit dem Geld habe
sie teure Besitztümer für ihre
Familie sowie kostspielige Schönheitsoperationen
finanziert. Dem
mexikanischen Fiskus fiel das lange
nicht auf. Der hat bisher erst
zwei von insgesamt 80 Konten
überprüft – es dürfte also noch viel
mehr ans Licht kommen.
Fast die gesamte politische
Klasse mitsamt Präsidenten fiel
einst vor der mächtigsten Frau
Mexikos auf die Knie, aus Angst,
sie könne ihr Heer an Lehrern mobilisieren
und Reformen blockieren.
Ihr Machteinfluss entschied
nicht nur über Präsidentschaftswahlen,
sondern definierte auch
die Bildungspolitik im Land. Mit
gravierenden Folgen: Mexiko besitzt
eine von UNESCO und OECD
bestätigte miserable Bildungsqualität.
Kinder besuchen abbruchreife
Schulen mit Lehrern, die auch
als Analphabeten eine Anstellung
erhalten, solange das Schmiergeld
stimmt. Gordillo trug wesentlich
dazu bei, dass Gewerkschaften in
Mexiko einen schlechten Ruf genießen
und als korrupte Vereinigungen
abgestempelt werden.
Nachdem die PRI im Dezember
2012 die Partei der Nationalen
Aktion (PAN) nach zwölf Jahren
ablöste, waren auch die Tage von
Frau Gordillo gezählt. Obwohl die
Gewerkschaftsführerin ihren Aufstieg
der PRI verdankt, wechselte
sie schon früh zum politischen
Gegner, um volle Immunität zu genießen.
Dem neuen Präsidenten
Enrique Peña Nieto war die Dame
schon länger ein Dorn im Auge,
blockierte sie doch die verabschiedete
Bildungsreform und
drohte mit Massenprotesten. Zusätzlich
benötigte der PRI-Politiker
ein imposantes Medienereignis,
um seinen umstrittenen Wahlsieg
durch Anerkennung im Volk zu legitimieren
und die Autorität der
Regierung zu stärken.
Als erfolgreicher Schlag gegen
die Korruption ist Gordillos Festnahme
jedoch nicht zu deuten, wie
es von der Regierung in den Medien
verkauft wird. Viel eher handelt
es sich hierbei um ein Warnsignal
an politische Gegner, die
künftig nicht mit der neuen Regierung
kooperieren sollten. Im anderen
Fall hätte Peña Nieto im
Kongress schon längst für mehr
Transparenz und Demokratisierung
der Gewerkschaften geworben.
Ein politischer Schritt, den die
PRI aber weiterhin vehement blockiert,
möchte sie doch selbst gern
die Kontrolle über die großen Gewerkschaften
im Land zurückgewinnen.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 14. März 2013
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