Gegen Calderón
Gemeinsame Proteste von Gewerkschaften und Bauernorganisationen in Mexiko. Arbeitsplätze und höhere Löhne gefordert
Von Andreas Knobloch *
Die PAN müsse abgewählt werden. Darin waren sich am Dienstag Zehntausende Arbeiter und Bauern einig, die im Zentrum von Mexiko-Stadt gegen die Sozialpolitik der regierenden konservativen Partei von Felipe Calderón demonstrierten. Keine Stimme für die PAN, die bis zum Jahr 2000 regierende PRI oder irgendeine andere Partei, die das Volk »betrogen« habe, so die Losung der Teilnehmer. Von den Kandidaten für die im Juli stattfindenden Präsidentschaftswahlen forderten sie eine Lösung der dringendsten gesellschaftlichen Konflikte.
Unabhängige Gewerkschaften und Bauernorganisationen demonstrierten am Dienstag gemeinsam. Neben den für Mexikos Bauern typischen Sombreros waren viele Piloten und Elektriker auszumachen. Deren Gewerkschaften sind in lang andauernde Arbeitskämpfe verwickelt. Auch Arbeiter der größten Universität des Landes, der UNAM, beteiligten sich zahlreich an dem Protest. Wie ihre Kollegen an insgesamt 35 Hochschulen im ganzen Land streiten sie um Lohnerhöhungen, bessere Sozialleistungen und für die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze.
Vor rund 20000 Zuhörern rief Hauptredner Fernando Perfecto, Vorsitzender der Pilotengewerkschaft ASPA, angesichts der ökonomischen Unsicherheit, in die die Regierung das Land gestürzt habe, wegen der generalisierten Gewalt, der Landflucht, der Arbeitslosigkeit und »des Kampfes, den Präsident Calderón entfacht hat, um die Seinen an der Macht zu halten«, dazu auf, den Protest zu verstärken. »Vereinigen wir uns, radikalisieren wir unsere Kämpfe, und stehen wir zusammen, um keine weitere Regierung der PAN oder eine andere neoliberale Regierung zuzulassen.«
Nach dem Zusammenbruch der Fluggesellschaft Mexicana vor anderthalb Jahren verlief die Suche nach einem Investor zur Rettung der Fluglinie ergebnislos. Die 8500 früheren Beschäftigten hängen seitdem in der Luft. Während der Demonstration warfen Arbeiter von Mexicana Eier auf ein Hotel, das dem früheren Eigentümer der Fluglinie, Gastón Azcárraga, gehört. Dieser hatte die Gesellschaft in den Bankrott gewirtschaftet. In Sprechchören forderten sie: »Gastón, du Ratte, gib uns unser Geld zurück!« Bis heute sind weder ausstehende Löhne noch Abfindungen gezahlt worden.
Bauernvertreter verlangten ihrerseits, runde Tische auf »höchster Ebene« einzurichten, um der Nahrungsmittelkrise zu begegnen, die die PAN-Regierung mitzuverantworten habe. Wegen lang anhaltender Trockenheit im Norden des Landes ist es zu enormen Ernteausfällen gekommen. Doch vor allem die Konkurrenz durch die großen US-amerikanischen Agrarkonzerne und die US-Agrarsubventionen seit der Gründung des Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) 1994 haben viele kleinere und mittlere mexikanische Bauern in den Ruin getrieben. Heute muß Mexiko einen großen Teil seiner Grundnahrungsmittel, darunter Mais, importieren, während die Lebensmittelpreise weltweit steigen.
Für die Gewerkschaft der Elektrizitätsarbeiter (SME) ergriff deren Vorsitzender, Martín Esparza, das Wort. Er erinnerte daran, daß nach der Abwicklung des staatlichen Energieversorgers Luz y Fuerza immer noch rund 16000 Elektriker um die Wiederherstellung ihrer Arbeitsplätze kämpfen. Sie fordern die Gründung eines neuen dezentralen staatlichen Unternehmens, das die ehemaligen Arbeiter einstellt. Luz y Fuerza war im Oktober 2009 von Präsident Calderón per Dekret aufgelöst worden. Ein Teil der 44300 entlassenen Beschäftigten wurde in die Bundeskommission für Elektrizität (CFE) eingegliedert. Andere wurden ausgezahlt. Rund 16000 Arbeiter lehnten die angebotenen Abfindungszahlungen ab und streiten weiterhin für ihre Rechte.
Esparza wiederholte die Forderung nach der Bildung eines Dachverbandes unabhängiger, demokratischer Gewerkschaften. Bereits am vergangenen Wochenende hatten mehrere tausend Menschen in Mexiko-Stadt für höhere Löhne und angesichts »systematischer Attacken« auf die Arbeitsbedingungen in den verschiedensten Sektoren für eine gewerkschaftliche Autonomie demonstriert.
»Wir können denen, die uns bedrohen, uns die Arbeit wegnehmen, uns umbringen und unsere Aktivisten einsperren, nicht unsere Stimmen geben. Wir können den Parteien, die unser Land betrügen, keinen Blankoscheck ausstellen«, so Esparza. Die Elektriker antworteten mit Sprechchören: »Wir werden Widerstand leisten! Bevor wir gehen, geht der Präsident!«
* Aus: junge Welt, 3. Februar 2012
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