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Mexiko im Bann der Finanzkrise

Zwar gilt das Landesfinanzsystem als stabil: Viele Bürger haben aber hohe Schulden

Von Matthias Knecht *

Die Banken in Mexiko scheinen auf den ersten Blick gegen die US-Finanzkrise gut gewappnet. Doch das dicke Ende könnte noch kommen. Denn Mexikos Außenhandel hängt bis zu 85 Prozent von den Vereinigten Staaten ab. Hinzu kommt, dass sich viele Mexikaner in den vergangenen Jahren hoch verschuldet haben. Und aus den USA treffen weniger Überweisungen von Auswanderern ein.

Der mexikanische Finanzminister Augustín Carstens rät mit Blick auf die Finanzkrise zu größter Vorsicht. »Es wäre illusorisch zu glauben, dass uns angesichts der großen Integration mit den USA die Folgen nicht treffen«, warnte er. Die Exporte in die USA könnten einbrechen, und der Strom der Urlauber aus dem Nachbarland schrumpfen.

Mexikos Finanzsystem gilt jedoch als stabil. Das Land hat bereits 1994 einen Finanzcrash erlebt, der als Tequilakrise bekannt wurde. Ähnlich wie derzeit in den USA konnten damals viele Hausbesitzer in Mexiko ihre Kredite nicht mehr bedienen. Seither wurde das Bankensystem von Grund auf reformiert. Das System gilt heute als so krisenfest, dass die Ratingagentur Fitch ihre Bewertung der mexikanischen Banken vor wenigen Tagen ausdrücklich auf bisherigem Niveau beibehielt. Hilfreich war dabei, dass Mexikos Banken -- im Gegensatz zu den europäischen -- kaum in riskante Anlagen in den USA investiert hatten.

Böse Überraschungen könnten aber noch kommen. »Nichts ist unmöglich«, warnt Enrique Castillo, Präsident der mexikanischen Bankenvereinigung ABM. Viele Geldhäuser in Mexiko sind in ausländischem Besitz. Strauchelt die Muttergesellschaft in New York, Madrid oder London, wirkt sich das direkt auf die Tochtergesellschaft in Mexiko-Stadt aus. Um die Stabilität in Mexiko wäre es dann schnell geschehen.

Rächen könnte sich auch bald die offensive und großzügige Vergabe von Kreditkarten, wie Finanzminister Castillo warnte. Seit 2005 drängten die Banken den Bürgern auch Konsumentenkredite förmlich auf. Doch jetzt stehen viele Mexikaner vor einem Berg unbezahlbarer Schulden. Laut der Agentur Fitch hat sich die Ausfallquote bei Kreditkarten in den vergangenen drei Jahren verdoppelt, ebenso der Anteil fauler Konsumentenkredite in den Bankenbilanzen. Mexikos Regierung bezeichnet das Risiko bisher als verkraftbar. Verbraucherorganisationen sprechen aber bereits von einer finanziellen Zeitbombe.

Die Wirtschaft des Landes wuchs 2007 um 3,3 Prozent. Als Dämpfer für die Konjunktur dürfte sich bereits der Rückgang der Überweisungen von mexikanischen Migranten aus den USA auswirken. Von diesen Transfers, im vergangenen Jahr 24 Milliarden US-Dollar, leben viele Familien in Mexiko. Doch die Geldsendungen schrumpfen seit Monaten. Im August wurde ein Rückgang gegenüber dem Vorjahresmonat um zwölf Prozent registriert. Das ist eine Folge der schwächelnden US-Konjunktur, zumal die Zuwanderer aus Mexiko vor allem auf dem Bau tätig sind, der besonders unter der Hypothekenkrise leidet.

Wegen des erwarteten Einbruchs der Exporte in die USA hat die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika die Wachstumsaussichten bereits auf 2,5 Prozent für das laufende Jahr herabgestuft. Damit bildet Mexiko mit Abstand das Schlusslicht im wachstumsstarken Lateinamerika. Der mexikanische Milliardär Carlos Slim empfahl, die US-Finanzkrise als Chance zu nutzen. »Lateinamerika kann Teil der Lösung der Krise für die USA sein«, sagte Slim in Mexiko-Stadt. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass vor allem die Wirtschaftsriesen Lateinamerikas -- Mexiko, Brasilien und Chile -- vermehrt ihre Binnenmärkte ankurbelten und damit Abschwungtendenzen begegneten. epd

* Aus: Neues Deutschland, 4. Oktober 2008


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