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Dreikampf

Mexiko wählt am 1. Juli ein neues Staatsoberhaupt. Favorit Peña Nieto stolpert über Peinlichkeiten

Von Andreas Knobloch *

In Mexiko beginnt der Wahlkampf um das höchste Staatsamt. Die drei großen Parteien haben jetzt ihre Kandidaten für die Präsidentenschaft nominiert, und es könnte doch noch ein spannendes Rennen werden. Bis vor ein paar Wochen hatte es so ausgesehen, als stünde der nächste Staatschef des Landes bereits fest. Doch der haushohe Favorit Enrique Peña Nieto von der Institutionellen Revolutionären Partei (PRI) stolperte seitdem von einem Fettnäpfchen ins nächste. Im Dezember konnte er in einem Interview zur Eröffnung der Buchmesse in Guadalajara zunächst keine Werke nennen, die ihn besonders geprägt hätten, dann verwechselte er auch noch Autoren und Titel. Etwas später war er in einem anderen Interview weder in der Lage, die Höhe des Mindestlohns noch die Preise von Grundnahrungsmitteln zu nennen. Als er dann auch noch genervt ausrief, er sei eben keine Hausfrau, wurde ihm Frauenfeindlichkeit vorgeworfen. Der frühere Gouverneur des Bundesstaates Estado de México wer bisher vor allem jung und telegen. Doch sein aalglattes Auftreten und die Unfähigkeit zu improvisieren könnten für ihn noch zu einem Problem werden. Daß in seine Amtszeit allerdings auch die Menschenrechtsverletzungen in Atenco bei der gewaltsamen Niederschlagung von Protesten im Mai 2006 fallen, wird von den mexikanischen Zeitungen und TV-Kanälen bisher hingegen kaum thematisiert. Dafür wurde seine Hochzeit mit einer bekannten Telenovela- Schauspielerin medienwirksam inszeniert.

In den Umfragen liegt Peña Nieto noch mit großem Abstand in Führung. Er soll der PRI ein neues Image verpassen und die einstige Staatspartei nach zwölf Jahren zurück an die Macht führen. Die PRI habe sich erneuert und nichts mehr mit jener gemein, die das Land mehr als 70 Jahre lang allein regierte, so die Botschaft. Peña Nieto gilt als Vertreter des unternehmerfreundlichen Flügels der Partei und befürwortet unter anderem die Privatisierung des staatlichen Erdölkonzerns Pemex. Ein sensibles Thema in Mexiko, wo die Verstaatlichung des Energiesektors als Zeichen nationaler Unabhängigkeit gilt.

Ihren Rivalen ist die PRI vor allem hinsichtlich ihrer Organisation und territorialen Macht weit voraus. Sie regiert in den meisten Bundesstaaten und kann sich auf eine gut geölte Wahlmaschine verlassen.

Josefina Vázquez Mota ist sich trotzdem sicher, daß sie selbst nach den Wahlen am 1. Juli die Präsidentenschärpe umgehängt bekommen wird. »Ich werde die erste Präsidentin Mexikos in der Geschichte des Landes sein!« rief sie am Wochenende in der Zentrale der rechtsgerichteten Partei der Nationalen Aktion (PAN) den versammelten Größen ihrer Organisation zu. Zuvor war sie aus der internen Mitgliederbefragung als Siegerin hervorgegangen und hatte sich dabei klar gegen den Favoriten des derzeitigen Präsidenten Felipe Calderón, Ernesto Cordero, sowie gegen Santiago Creel durchgesetzt. Für die derzeit die Zentralregierung stellende Partei, die vorgeblich vor allem katholische Werte vertritt, könnte sich die Nominierung von Vázquez Mota noch als Vorteil erweisen, zumal ihr Bürgernähe bescheinigt wird. 2000 wurde sie erste Ministerin für soziale Entwicklung und 2006 ebenfalls als erste Frau Bildungsministerin. Bis September war sie Fraktionschefin der PAN.

Doch im Moment stehen die Zeichen eher auf einen Wechsel der regierenden Partei. Die Bilanz von knapp 50000 Toten, die Calderóns Krieg gegen die Drogen hinterläßt, dürfte eine große, wenn nicht zu große Bürde für die PAN sein. Fraglich scheint derzeit aber, ob die Linke die Unzufriedenheit in Stimmen für sich verwandeln kann. Die Partei der Demokratischen Revolution (PRD) schickt erneut Andrés Manuel López Obrador (AMLO) ins Rennen, der 2006 Calderón hauchdünn unterlegen war. Er hatte seinem Rivalen daraufhin Wahlbetrug vorgeworfen, das Ergebnis nicht anerkannt und sich selbst zum »legitimen Präsidenten« Mexikos ausgerufen. Während er damals Tausende mobilisieren konnte, die wochenlang auf dem Zócalo im Zentrum der mexikanischen Hauptstadt demonstrierten, kosteten ihn diese Kampagne und sein polarisierender Stil im nachhinein viele Sympathien, auch in der eigenen Partei. Dennoch setzte er sich in der internen Ausscheidung knapp gegen Marcelo Ebrard durch, den populären Bürgermeister von Mexiko-Stadt, dem bessere Chancen bei den städtischen Mittelschichten nachgesagt wurden. Doch »AMLO« hat in den vergangenen Jahren seine Wählerbasis vor allem unter den Armen unermüdlich ausgebaut. Derzeit versucht der 58jährige, sein populistisches Image durch einen moderateren Diskurs mit Botschaften von nationaler Versöhnung und Annäherung an die Unternehmer abzulegen.

Egal, wer es sein wird: der neue Präsident steht angesichts der Sicherheitslage, von Korruption und Straflosigkeit vor einer gewaltigen Aufgabe. Zudem hängt die Krise in den USA wie ein Damoklesschwert auch über der Wirtschaft des Nachbarlandes. Viele Mexikaner wären schon froh, wenn es diesmal saubere Wahlen gäbe. Doch wird befürchtet, daß die Drogenkartelle den Ausgang beeinflussen oder die Parteien heimlich mit den Kartellen paktieren.

* Aus: junge Welt, 9. Februar 2012


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