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Ökoparadies ohne Indígenas

Der mexikanische Bundesstaat Chiapas wird nach Regierungsplänen komplett umgebaut: Tourismus, Monokulturen und Städte sollen entstehen. Die betroffene Landbevölkerung wird erst gar nicht gefragt

Von Luz Kerkeling, Chiapas *

Mexiko befindet sich in einer tiefen Krise. Politisch, ökonomisch, sozial und ökologisch. Die aktuelle Regierung des Landes unter Präsident Felipe Calderón von der rechtskonservativ-neoliberalen Partei der Nationalen Aktion PAN tut nach Ansicht zahlreicher sozialer Organisationen alles, um die Krise zu verschärfen. Gemeinsam mit der ehemaligen Staatspartei PRI (Partei der Institutionellen Revolution) und immer stärker auch mit Teilen der sozialdemokratischen PRD verschärft und perfektioniert sie die Ausbeutung von Mensch und Natur.

Demagogie des neuen Gouverneurs

Juan Sabines Guerrero, amtierender Gouverneur von Chiapas, siegte bei den Wahlen im Jahr 2006 unter dem Slogan »Taten statt Worte«. Dieses Wahlversprechen erfüllt er sogar – aber wie? Sabines’ Karriere illustriert anschaulich die Situation der politischen Klasse in Chiapas – wenn nicht in ganz Mexiko. Eigentlich hatte der Sohn des ehemaligen Gouverneurs Juan Sabines Gutiérrez, der von 1979 bis 1982 das gleiche Amt innehatte, für die PRI kandidieren wollen. Doch aufgrund von Interessenskonflikten kandidierte er schließlich für die PRD und gewann die Wahlen. Heute arbeitet er mit Landkreispräsidenten der drei bürgerlichen Parteien PAN, PRI und PRD zusammen und hat sich in den ersten anderthalb Jahren seiner Amtszeit auffällig oft mit Präsident Calderón von der PAN getroffen, um ökonomische und infrastrukturelle Projekte voranzutreiben – von politischen Konflikten zwischen der sozialdemokratischen PRD und der rechtskonservativen PAN keine Spur.

In seiner ersten Regierungserklärung nach einem Jahr im Amt betonte Sabines, daß er die gesellschaftliche Pluralität im Bundesstaat schätze und pflegen wolle, wobei er auch explizit die zapatistische Bewegung erwähnte. Er kündigte eine Aufarbeitung der Straflosigkeit, ein Ende der Polizeigewalt, soziale Maßnahmen und ein enormes Wirtschaftswachstum an. In der »Deklaration von Comitán«, die Sabines vor der Wahl unterzeichnete, und in der aktuellen Tourismusplanung seiner Administration wird angekündigt, Chiapas in ein neues Cancún, ein neues touristisches Mekka und ein öko-archäologisches Musterprojekt zu verwandeln.

Die progressiv gefärbte Ausrichtung der Umgestaltung des Bundesstaates richtet sich an internationale Akteure aus Politik und Wirtschaft – darunter die EU, die Investitionen in Höhe von 55 Millionen Euro für »nachhaltige Entwicklungsprogramme« angekündigt hat. Alle Interessenten sollen mehr und mehr davon überzeugt werden, daß Chiapas nicht mehr das korrupte und brutale Hinterland ist. Dagegen spüren immer breitere Teile der Landbevölkerung die Auswirkungen: Was für die Ohren der potentiellen Investoren »Ökotourismus« und »Partizipation der Bevölkerung« genannt wird, bedeutet für die meist indigene Bevölkerung vor Ort Vertreibung, Landenteignung, Migration oder Konvertieren in Lohnarbeiter.

Die vermeintlich »kommunitären« und »ökologischen« Tourismusprojekte in Ixcán, Guacamayas, Lacanjá Chansayab und weiteren Gemeinden des Lakandonischen Regenwalds sind nach Angaben von Miguel Angel García von der Nichtregierungsorganisation »Maderas del Pueblo« »weder umweltfreundlich, noch nutzen sie den Gemeinden als Ganzes«. Das ehemals unverkäufliche und kollektive Gemeindeland wird über vorgebliche Hilfsprogramme privatisierbar gemacht. Nur einige wenige Familien profitieren davon, und nicht selten wird das Land an wohlhabende Grundbesitzer oder Unternehmer verkauft, was ein hohes Maß an sozialer Ungleichheit und irreversible Desintegrationsprozesse in den Dörfern mit sich bringt.

Der Plan »Puebla Panamá«

Der im Jahr 2000 unter Präsident Vicente Fox auf den Weg gebrachte Plan »Puebla Panamá« (PPP) ist keineswegs vom Tisch. Wegen des offensichtlichen Widerstands der Landbevölkerung und vieler Nichtregierungsorganisationen, der geringen Medienpräsenz und der zögerlichen Haltung der internationalen Investoren freuten sich einige Beobachter aus dem Umfeld der sozialen Bewegungen zu früh. Der Plan bleibt bestehen: ein gewaltiges Infrastrukturprojekt für Südmexiko und Zentralamerika, das den Bau von Straßen, Häfen, Flughäfen, Kraftwerken, das Verlegen von Telekommunikations- und Stromleitungen, die Erweiterung der Maquiladora-Industrie sowie die Anlage von Monokulturen und die Ausbeutung von Biodiversität, Wasser und Bodenschätzen umfaßt. Zahlreiche Großprojekte und das steigende Interesse mexikanischer und internationaler Investoren – auch aus Japan und China – belegen dies. Die als Mesoamerika bezeichnete Region, die aus Perspektive des Kapitals noch immer nicht ausreichend an den Markt angekoppelt ist, soll durch den Plan anschlußfähig und somit ausbeutbar gemacht werden.

Für Chiapas hat das zur Folge, daß neben den »Ökotourismusprojekten« die klassischen, am Rande des Regenwalds gelegenen Standorte – die Ruinenstadt von Palenque oder die Wasserfälle von Agua Azul – erheblich ausgebaut werden sollen. Neben einer Autobahn von San Cristóbal nach Palenque ist auch der Ausbau des dortigen Flughafens vorgesehen.

Unter diesen sogenannten Entwicklungsmaßnahmen werden Dutzende Gemeinden leiden – auch die der Regierung nahestehenden Dörfer, wie Agua Azul. Ein Sprecher der nun von Räumung bedrohten zapatistischen Gemeinde Nuevo Progreso versicherte im Interview: »Die neue Schnellstraßen und die Tourismusprojekte nutzen nur den lokalen Kaziken (Machthabern, L. K.), der Regierung und den Imperialisten der internationalen Tourismusbranche.« Offiziell sollen zu allen Teilprojekten des PPP die jeweils betroffene Bevölkerung konsultiert werden – die bisherige Praxis sieht jedoch nach einhelliger Aussage unabhängiger Organisationen anders aus.

Die im Kontext des Plans gebauten Straßen sind in der Regel kostenpflichtig, da sie über Public-Private-Partnership-Maßnahmen finanziert werden, und verfügen fast nie über Zufahrten zu kleinen Gemeinden, so daß sie für die lokale Bevölkerung vollkommen nutzlos sind. Gleichzeitig wird der an der Pazifikküste wirtschaftsstrategisch äußerst günstig gelegene Hafen Puerto Chiapas ausgebaut, um mehr Transport- und Kreuzfahrtschiffe aufnehmen zu können, wodurch wiederum der Druck auf eine schnelle Fertigstellung der Schnellstraßen erhöht wird.

Juan Bosco Martí, PPP-Koordinator, gab im Februar 2008 bekannt, daß bisher 4,5 Milliarden US-Dollar, 56 Prozent der geplanten Ausgaben, in das Gesamtprojekt investiert worden sind. Mexiko habe 1,6 Milliarden Dollar in 2053 Kilometer Straßenbau und 30 Millionen Dollar in kommerzielle Infrastruktur eingebracht. Präsident Calderón wiederholt gebetsmühlenartig, daß die Infrastruktur- und Modernisierungsmaßnahmen unerläßlich für die Wettbewerbsfähigkeit der mexikanischen Wirtschaft seien. Gemeint ist damit die Umsetzung des PPP, aber auch die weitere Öffnung des staatlichen Ölunternehmens Pemex für Privatkapital. Aus den Pemex-Erlösen stammen bislang aber etwa die Hälfte der Staatseinnahmen – in den Augen vieler Mexikaner unverzichtbare Mittel, die zum Nutzen der Bevölkerung eingesetzt werden sollten. Eine breite Regierungskampagne in Fernsehen und Radio soll daher die skeptische Bevölkerung von der dringenden Notwendigkeit der umstrittenen Megaprojekte überzeugen. Die Restrukturierung im Rahmen des PPP endet laut Juan Bosco im Juni. Das Projekt werde dann umbenannt, »um die Ziele mit größerer Klarheit zu kommunizieren« – die manipulativen Interessen dieser Art von Öffentlichkeitsarbeit sind dabei unübersehbar.

Verlust indigener Lebensweisen

Bei all den Maßnahmen im Rahmen des Plans Puebla Panamá und anderer Entwicklungsprojekte sind die Menschen im Wege, die in Tausenden Dörfern auf dem Land leben. Daher werden sie nicht nur durch Projekte vertrieben, die ihre Gemeinden zerstören. Die ländlich-indigenen Gebiete werden auch durch den beginnenden Bau von ciudades rurales (ländlichen Städten) entvölkert, der von der Regierung massiv vorangetrieben wird und durch den die Landbevölkerung auf wenige Wohnorte konzentriert werden soll. Angelockt werden die Menschen durch Versprechen auf Trinkwasser, Betonböden, Kanalisation, Elektrizität, Bildung und Gesundheitsversorgung.

Es zeichnen sich verstärkt Anstrengungen ab, das Leben in den ländlichen Regionen grundsätzlich umzustrukturieren. Neben der Schwächung des indigenen Widerstandes, der vor allem in den von der Zapatistischen Armee zur nationalen Befreiung (EZLN) kontrollierten Regionen eine nicht zu ignorierende soziale Kraft darstellt, geht es um die Privatisierung von Gemeindeboden und um die Transformation der Subsistenzwirtschaft in eine marktorientierte Produktionsweise. Alberto Castelazo, Präsident der Stiftung für ländliche Entwicklung, erklärte jüngst freimütig in der Tageszeitung Reforma, daß den mexikanischen Bauern eine unternehmerische Vision fehle. Die Stiftung führt zur Zeit einen Modellversuch in Chiapas durch, bei dem es laut Castelazo darum geht, daß die Bauern sich zusammenschließen, »Monsanto ihnen aufgewertetes Saatgut und Bayer den Dünger verkauft sowie Gruma ihnen die Produktion abkauft«. So könnten sechs Tonnen Mais pro Hektar statt bisher anderthalb Tonnen pro Ernte erwirtschaftet werden. Castelazo räumte ein, daß es extrem schwierig sei, die Menschen zu überzeugen – Jahrhunderte schlechter Erfahrungen mit vermeintlich gutgemeinten Ratschlägen haben offenbar ihre Spuren bei den Indígenas hinterlassen.

Die indigene Lebensweise ist nicht nur durch Kampagnen zur Selbstauslieferung der Kleinstproduzenten an die Agrarindustrie in Gefahr. Es droht weiterer Landraub: Für verschiedene Regionen gibt es Pläne, die bereits existierenden Monokulturen (vor allem Ölpalme und Zuckerrohr) auszubauen. In diesem Kontext wird unter hohem Druck aus der Privatwirtschaft geprüft, ob die Produktion des umstrittenen Agrartreibstoffs rentabel ist. Sollte das der Fall sein, wird dies entweder eine Renaissance größerer Fincas oder des fremdbestimmten Arbeitens armer Landbauern mit der Energiepflanze auf kleinster Parzelle mit sich bringen. Egal, wem die entsprechenden Ländereien im Endeffekt gehören werden: Es besteht die Gefahr einer Ausbreitung der Lohnsklaverei, ein Verlust der dörflichen Sozialstrukturen und massive Umweltschäden.

Zusätzlich zur Umgestaltung und Erweiterung der landwirtschaftlichen Nutzflächen kommt der von Umweltgruppen kritisierte »Naturschutz ohne Menschen«. Darunter sind vereinte Anstrengungen von Staatsbehörden, Kaziken und der Privatwirtschaft zu verstehen, die Bevölkerung aus den noch intakten Regenwaldgebieten und anderen Ökosystemen zu vertreiben, um die Biodiversität, die Wasservorkommen und die dort befindlichen Bodenschätze ökonomisch nutzen zu können. Weitere Tourismusprojekte sind für diese Regionen, darunter das berühmte Reservat Montes Azules im Lakandonischen Regenwald, geplant.

Der Druck auf die dörfliche Lebensweise wird schließlich noch einmal erhöht, indem die mexikanische Zentralregierung über 500000 Hektar Land, das sind sieben Prozent der Fläche von Chiapas, für die Ausbeutung von Bodenschätzen konzessioniert hat.

Militarisierung der Herrschaft

Wenn die Gemeinden sich nicht freiwillig den Plänen von Regierung und Wirtschaft fügen – was häufig durch Korrumpierung der Führungspersönlichkeiten erreicht wird – oder gar Widerstand organisieren, treten die staatlichen Sicherheitskräfte oder Paramilitärs auf den Plan. Bis heute operieren in Chiapas illegale Gruppen, die die oppositionelle Bevölkerung einschüchtern, vertreiben, verletzen und töten. Die Menschenrechtlerin Momo Bauer berichtet über ihre Erfahrungen: »Die Drohungen und Angriffe der regierungsnahen ›Organisation zur Verteidigung der indigenen und bäuerlichen Rechte‹ (OPDDIC) auf zapatistische Gemeinden haben in den letzten Monaten ein so besorgniserregendes Maß angenommen wie seit zehn Jahren nicht mehr: Sie erinnern an die Übergriffe, die dem Massaker von Acteal am 22. Dezember 1997 vorausgingen, bei dem 45 Menschen ermordet wurden.« Das Menschenrechtszentrum Fray Bartelomé de las Casas in San Cristóbal konnte mehrfach nachweisen, daß die Paramilitärs, die das Massaker von Acteal zu verantworten haben, im Auftrag von Regierung und Militär gehandelt haben. Die EZLN geht davon aus, daß es sich im Fall der OPDDIC um eine ähnliche Strategie handelt.

Aber die Militarisierung ist kein spezifisches Phänomen dieser Region. Präsident Calderón militarisiert das gesamte Land. Dieser Prozeß wird mit dem Kampf gegen das organisierte Verbrechen, vor allem gegen den Drogenhandel, gerechtfertigt. Doch nachhaltige Erfolge bleiben seit Monaten aus, vielmehr wird immer wieder berichtet, daß die Eliten um Calderón die Drogenkartelle des Landes nach ihrer Fasson ordnen würden. Kritische Intellektuelle und Menschenrechtsorganisationen warnen, daß die Militarisierung eine langfristige autoritäre soziale Disziplinierung mit sich bringe und de facto eine Präventivmaßnahme für potentielle gesellschaftliche Unruhen sei. Dies scheint plausibel, denn mehr als die Hälfte der Bevölkerung gilt als arm – Tendenz steigend nicht zuletzt deshalb, weil Anfang 2008 die letzte Stufe des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens NAFTA in Kraft getreten ist. Dazu kommt die niedrige Aufklärungsrate von Verbrechen im Land und die fast totale Weigerung der Eliten, über die Verbesserung der Lebensverhältnisse der marginalisierten Bevölkerungsteile zu verhandeln. Sogar die Weltbank ist inzwischen über die extreme Polarisierung der mexikanischen Gesellschaft besorgt.

Die unabhängige internationale Menschenrechtskommission CCIODH, die die Bundesstaaten Chiapas und Oaxaca sowie die Stadt San Salvador Atenco im Februar bereist und über 280 Interviews geführt hat, kommt zu dem Ergebnis, daß gegen die Aktivisten aus sozialen Bewegungen mit willkürlichen Festnahmen, Folter, Gewalt, Mord und Erpressung von Geständnissen für nicht begangene Delikte vorgegangen wird. Die Organisation verweist darauf, daß – um diese Misere zu beenden – strukturelle Veränderungen erforderlich seien, die von Seiten der Regierung allerdings überhaupt nicht in Sicht sind.

Privatisierung der Politik

Die aktuellen Veränderungen in Chiapas und Mexiko stehen in einem direkten Zusammenhang mit internationalen Entwicklungen. Die am 23. März 2005 von den Präsidenten Vicente Fox und George Bush sowie dem kanadischen Premierminister Paul Martin unterzeichnete »Nordamerikanische Allianz für Sicherheit und Wohlstand« (ASPAN) stellt eine qualitative Veränderung der Beziehung der drei Staaten und ihrer jeweiligen nationalen Politik dar und bildet unter Umständen sogar einen Modellfall auf internationalem Niveau.

Offiziell geht es um Schutz vor Terrorismus und Kriminalität sowie um die Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung. Tatsächlich zielt die Allianz jedoch darauf ab, die aus Perspektive der Regierungen und der ökonomischen Eliten bisher nicht erreichten Ziele aus dem Freihandelsabkommen NAFTA zu verwirklichen und das notwendige Instrumentarium dazu zur Verfügung zu stellen. Im Sicherheitsbereich wird die »Initiative Mérida« – auch »Plan Mexiko« genannt – vorangetrieben, die die militärische Zusammenarbeit des Landes mit den USA intensiviert. In diesem Kontext werden mexikanische Militärs von der US-Armee ausgebildet; Mexiko erhält enorme Finanzmittel und US-Hochtechnologie. Zudem unterstehen die Armeen von Mexiko und Kanada durch ASPAN dem US-amerikanischen Comando Norte, womit beide Staaten auch ins Raster militärischer Gegner der USA geraten. Sogar Militärs sind besorgt: Für den ehemaligen mexikanischen General José Francisco Gallardo ist die Realisierung von ASPAN nur mit einem Ereignis in der Geschichte Mexikos vergleichbar: mit dem Verlust der Hälfte des nationalen Territoriums im Jahre 1847 an die USA.

Im ökonomischen Sektor zielt die Allianz darauf ab, den freien Fluß von Waren, Dienstleistungen und Finanzen bei gleichzeitiger Kontrolle der Arbeitsmigration zu garantieren. ASPAN unterwirft Mexiko stärker als jemals zuvor den ökonomischen und militärischen Interessen der USA. Die mexikanische Regierung ist in diesem Kontext jedoch keinesfalls als »Opfer« der US-Regierung zu betrachten: Die Administration Calderón hat im Gegenteil den »Plan Mexiko« massiv eingefordert – zugunsten der eigenen Eliten.

ASPAN ist nach Einschätzung des »Zentrums für ökonomische und politische Forschung« mit Sitz in Chiapas ferner ein Instrument zur Bekämpfung von sozialen Bewegungen, zur Ressourcensicherung und allgemein zur Sicherung der Herrschaft des Kapitals vor dem Hintergrund der instabilen Konjunktur, des starken gesellschaftlichen Widerstands gegen den PPP und die gesamtamerikanische Freihandelszone ALCA, die 2005 bis auf weiteres scheiterte.

Die Allianz ist auf undemokratische Weise auf den Weg gebracht worden, denn sie wurde nicht von den nationalen Parlamenten verabschiedet, wie es noch vom NAFTA-Abkommen bekannt ist, sondern sie ist nach ihrer Ausarbeitung durch die größten Unternehmen der drei Staaten lediglich von den Regierungen schrittweise dekretiert worden.

Nach Land, Bildung, Gesundheit, Wasser und zahlreichen weiteren Bereichen des Lebens werden nun offenbar auch Politik und militärische Sicherheit privatisiert. Neben massenhafter Enteignung zugunsten der wohlhabenden Eliten beinhaltet dieser Prozeß auch eine massive Entdemokratisierung der Gesamtgesellschaft und eine Etablierung neofeudal-imperialistischer Zustände in Nordamerika.

In dem aktuellen Projekt der mexikanischen Eliten stören die indigenen Gemeinden und die Landbevölkerung, die EZLN, die Bewegungen in Oaxaca und Guerrero sowie die vielen weiteren sozialen und politischen des Landes, die Umweltaktivisten, die Frauenorganisationen, die Gewerkschaften und alle Menschen, die sich nicht der kapitalistischen Verwertungslogik unterwerfen, mehr als je zuvor.

Die unabhängigen Bewegungen unternehmen trotz aller Repression und Widrigkeiten – zu denen auch interne Differenzen zählen – große Anstrengungen, um sich gegen die aufoktroyierte Politk der politischen Klasse zu wehren, den weiteren Fortschritt der neoliberalen Projekte zu stoppen und Alternativen zu erarbeiten. Noch wissen die wenigsten Menschen in Mexiko, welch gravierende Konsequenzen die aktuellen Prozesse für ganz Nordamerika haben können, daher bestehen die aktuellen Anstrengungen darin, die Informationsarbeit auszuweiten.

* Luz Kerkeling ist Soziologe und arbeitet beim Zentrum für ökonomische und politische Forschung (CIEPAC A. C.) in San Cristóbal de las Casas, Chiapas, Mexiko.

Aus: junge Welt, 4. April 2008



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