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Mord in Chiapas

Mexiko: Unbekannte erschießen linken Aktivisten, der sich gegen zerstörerische Entwicklungsprojekte engagierte

Von Luz Kerkeling *

Seine Mörder entkamen unerkannt, und es steht zu befürchten, daß sie straffrei davonkommen: Am 24. April wurde Juan Vázquez von Unbekannten mit sechs Schüssen in seinem Haus in San Sebastián Bachajón regelrecht hingerichtet. Vázquez war seit Jahren als Aktivist im Umfeld der linksgerichteten Zapatistischen Befreiungsarmee EZLN aktiv, auch wenn er kein formelles Mitglied der sozialrevolutionären Organisation war. Er engagierte sich als Unterstützer der »Sechsten Deklaration aus dem Lakandonischen Regenwald« der EZLN für eine zivile, außerparlamentarische Neuordnung der mexikanischen Gesellschaft gegen Rassismus, Kapitalismus, Sexismus und Naturzerstörung. Vázquez genoß den Respekt diverser Gemeinden seiner Heimatregion und kämpfte auf friedliche Weise gegen die zerstörerischen Entwicklungsprojekte, die in dem südmexikanischen Bundesstaat vorangetrieben werden.

Die von Regierung und Privatwirtschaft geförderten Großvorhaben, darunter Monokulturen von Ölpalme und ehrgeizige Luxus-Tourismusprojekte kollidieren drastisch mit den Interessen der Mehrheit der ortsansässigen kleinbäuerlich-indigenen Bevölkerung, die ihre Ländereien benötigt, um ihre Ernährung sicherzustellen. Die Selbstversorgungsfelder sollen zu marktkompatiblen Plantagen transformiert werden, die Kleinbauern zu Unternehmern, die cash crops für den Weltmarkt produzieren. Die Regierung agiert in diesem Kontext nicht nur mit Repression, sondern auch mit Hilfsprogrammen für die landwirtschaftliche Umstellung, um die Menschen aus dem Widerstand herauszukaufen.

Das unabhängige Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de las Casas forderte eine schnelle Aufklärung des Mordes an Vázquez und erinnerte daran, daß immer wieder indigene Aktivisten attackiert werden, die sich für ihre Gemeinden einsetzen, obwohl Mexiko die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation ILO zu indigenen Selbstbestimmungsrechten unterzeichnet hat. Mexiko bricht so tagtäglich nationales und internationales Recht. Darüber hinaus kritisierte das Zentrum, daß immer mehr Menschenrechtsaktivisten Opfer von Gewaltverbrechen werden.

Hintergrund der seit Jahren schwelenden Konflikte sind die Pläne der herrschenden Klasse, die Regionen Südmexiko und Mesoamerika, die aufgrund des indigenen Widerstands noch nicht völlig vom Kapitalismus durchdrungen sind, an dieses System anzudocken und die ressourcenreiche Region, die von hoher biologischer Vielfalt, Öl-, Gas- und Edelmetallvorkommen geprägt ist, gewinnbringend auszubeuten. Ein zentraler Mechanismus dieser Bestrebungen ist das Proyecto Mesoamérica (früher Plan Puebla-Panamá), ein infrastrukturelles Großvorhaben, das die Region mit Straßen, Häfen, Flughäfen, Stromleitungen, Staudämmen und Billiglohnfabriken überziehen soll und von allen dortigen Regierungen unterstützt wird.

Ein durchgreifender Erfolg für Regierung und Konzerne ist allerdings nicht garantiert: Die Bewohnerinnen und Bewohner von Bachajón kündigten an, daß ihr Widerstand gegen die neoliberalen Projekte weitergehen werde. Sie reihen sich damit in eine große Zahl von Basisorganisationen ein, die weiterhin für ihre Selbstbestimmung kämpfen und mit den kapitalistischen Großprojekten keineswegs einverstanden sind.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 8. Mai 2013


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