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"Die Energie gehört dem Volk!"

Im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas leistet die Bevölkerung kreativen Widerstand gegen die hohen Strompreise

Von Luz Kerkeling, Chiapas *

Im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas wächst ein kreativer ziviler Widerstand gegen die hohen Strompreise. Die Regierung antwortet mit Desinformation, Korruption und Repression.

Nach einer siebenstündigen Fahrt von San Cristóbal durch Zentral- und Nordchiapas, vorbei an Wasserfällen und beeindruckenden Berglandschaften, erreichen wir die archäologische Zone von Palenque. Doch die berühmten Maya-Ruinen sind nicht unser Ziel. Das Wachpersonal der Tourismusparks hält uns an, die Männer sind sichtlich nervös, da sie nicht wissen, was 50 Personen bei Einbruch der Dunkelheit hier wollen. Wir sind mit einem Tross indigener Aktivisten unterwegs, die in einer Gemeinde, die in der archäologischen Zone liegt, an einem Lehrgang teilnehmen wollen. Da sich unter uns auch Bewohner des Dorfes befinden, dürfen wir schließlich passieren.

Autonome Elektriker sorgen für Volksstrom

Nach der Begrüßung und dem Abendessen geht es gleich zur Sache: Valente Hernández (Die Namen aller Aktivisten wurden aus Sicherheitsgründen verändert), Gewerkschaftsaktivist aus Mexiko-Stadt, der seit Mitte der 90er Jahre die rebellischen Gemeinden von Chiapas beim Aufbau einer Energieversorgung unterstützt, skizziert den Ablauf des Kurses: »Compañeros, wir sind hier, um weitere autonome Elektriker auszubilden. Gleichzeitig gibt es hier im Dorf verdammt viel zu tun, wir müssen einige Strommasten versetzen und wieder verkabeln, denn die Kommission kümmert sich um nichts.«

Die Kommission, das ist die »Föderale Elektrizitätskommission«, der staatliche Stromkonzern CFE. Valente erinnert daran, dass es 50 Jahre nach der Verstaatlichung noch immer zahlreiche Dörfer gibt, die unter extrem hohen Gebühren oder schlechtem Service leiden. Besonders hohe Tarife werden in den Dörfern von Chiapas veranschlagt, obwohl die sieben Staudämme des Bundesstaats enorme Energiemengen, rund zehn Prozent der nationalen Produktion, generieren. Acht Prozent der Haushalte haben noch immer keinen Zugang zu elektrischer Energie. Camilo Pérez, autonomer Elektriker aus der Region, berichtet: »Früher haben die Leute hier 15 oder 20 Pesos für ihren Strom bezahlt. In letzter Zeit kamen immer wieder Rechnungen von 1000 bis 2000 Pesos an. Das finden die Leute völlig übertrieben. Wir haben also angefangen, uns zu organisieren und den Strom nicht mehr zu bezahlen.«

Die Menschen sind von der Legitimität ihres Kampfes überzeugt. »Der Strom ist ein Produkt aus Chiapas. Und wir sind Chiapaneken. Wie ist es möglich, dass wir etwas bezahlen, was uns gehört?«, argumentiert Gustavo Gómez. Camilo kritisiert den schlechten Service der CFE: »Auch als wir immer pünktlich bezahlt haben, ist die Kommission nie gekommen, um die Anlagen instandzuhalten. Wenn dann der Strom ausgefallen ist, dauerte es Tage, bis sie sich darum gekümmert haben.« Nicht ohne Stolz berichtet Camilo von den Fortschritten bei der Ausbildung der autonomen Elektriker: »Ich habe schon an sechs Kursen teilgenommen. Wir sind da, wenn es ein Problem gibt und wir keinen Strom haben. Die Leute sagen uns Bescheid, wir gehen los und reparieren den Schaden.«

Die soziale Ungerechtigkeit, die Umweltzerstörung durch die Staudämme und die drastisch gestiegenen Gebühren der CFE haben dafür gesorgt, dass in Chiapas von über einer Million Kunden 427 420 Abnehmer den Strom nicht mehr bezahlen. Besonders seit Beginn des Aufstands der Zapatistischen Befreiungsarmee (EZLN) am 1. Januar 1994 ist die Zahl der Dörfer im Bezahlstreik massiv gestiegen - egal, ob sie die EZLN unterstützen oder nicht. In 68 von 118 Landkreisen gibt es Widerstand.

Die EZLN-Gemeinden zahlen generell keinen Strom, aber es gibt auch andere Dörfer, die sozialen Organisationen angehören und die Zahlungen verweigern. Doch nicht alle, die im Widerstand sind, gehören einer politischen Organisation an, oft treibt die blanke Not die Menschen dazu.

Nach der Veröffentlichung der »Sechsten Deklaration aus dem Lakandonischen Urwald« der EZLN im Sommer 2005 bildete sich eine mexikoweite Bewegung, die »Andere Kampagne«, die mittels einer außerparlamentarischen zivilen Mobilisierung eine neue Verfassung und eine neue Form des Politikmachens durchsetzen will. In Chiapas hat die Kampagne dazu geführt, dass immer mehr zapatistische und nichtzapatistische Dörfer zusammenarbeiten.

Die staatliche Antwort heißt Repression

Arnoldo Fernández erinnert in einer kleinen Ansprache an die Gründung des Widerstandsnetzwerks: »2006 haben wir feierlich das Netzwerk 'Die Stimme unseres Herzens' gegründet, wir haben uns der 'Anderen Kampagne' verpflichtet, in der viele Organisationen gemeinsam für ein Ziel kämpfen: gegen die Pläne und Alliierten der schlechten Regierung, darunter das NAFTA-Freihandelsabkommen oder die Welthandelsorganisation.«

Jesús Perez erläutert, wie die CFE auf die Weigerung, den Strom zu bezahlen, reagiert: »Die Kommission schneidet uns immer wieder vom Stromnetz ab. Sie macht uns ständig Ärger, manchmal kommt sie sogar mit der Polizei zu uns.« Nach jahrelangen Erfahrungen mit kreativen Reaktionen aus den Reihen des Widerstands - darunter Übergießen der CFE-Monteure mit Wasser, Blockieren und Festsetzen der Arbeiter, bis der Strom wieder angeschlossen wird - werden häufig staatliche Sicherheitskräfte um Unterstützung gebeten. Oft wird auch der Teil der entsprechenden Gemeinde, der nicht im Widerstand ist, gegen die Bewohner im Bezahlstreik aufgehetzt. Jesús erklärt den Neueinsteigern diese Spaltungsstrategie: »Sie schließen sich mit den Leuten zusammen, die nicht im Widerstand sind.« So verbreite die CFE regelmäßig die Drohung, dass die gesamte Gemeinde für die Schulden der Familien im Widerstand aufkommen müsse, was nicht selten zu körperlichen Auseinandersetzungen führt. Darüber hinaus werden die Aktivisten im Widerstand sowohl von der CFE wie von lokalen Machthabern immer wieder eingeschüchtert - mit Haftbefehlen, aber auch mit Todesdrohungen. Der Strombedarf verbindet

In den nächsten Tagen wird um fünf Uhr aufgestanden und bis zur Dämmerung gegen 19 Uhr durchgearbeitet. Immer mehr Dorfbewohner schließen sich den Brigaden an. Die Kurse des Netzwerkes werden stets in Gemeinden durchgeführt, in denen dringende Arbeiten anliegen, wo das Stromnetz marode ist oder Masten zu versetzen sind, die die Techniker zusammen mit der jeweiligen Dorfbevölkerung ohne schwere Maschinen abbauen, versetzen und wieder aufrichten.

Esmeralda Jiménez, eine zapatistische Veteranin, hebt die Fortschritte hervor: »Wir haben jetzt die ausgebildeten Elektriker, wir zahlen lediglich ihre Reisekosten, und sie reparieren unsere Stromversorgung. Es sind Compañeros.« Sie weist auch auf die Solidarität untereinander hin: »Wenn einem etwas passiert, dann gibt es die Einheit mit den anderen Gemeinden oder sogar Bundesstaaten. Das ist es, was ich als einen Fortschritt des Netzwerkes sehe. Es gibt Unterstützung.«

Gustavo betont, dass der Widerstand weitergehen werde und dass es nicht nur um die hohen Stromtarife gehe: »Wir sind in den Widerstand eingetreten, damit die Abkommen von San Andrés über indigene Rechte erfüllt werden, damit alle Naturreichtümer zum Wohl des Volkes genutzt werden.«

Nachts werden alternative Dokumentarfilme angesehen oder lange Diskussionsrunden durchgeführt. Auch wenn einige Teilnehmer noch auf den Stühlen einschlafen, tragen diese nächtlichen Runden erheblich zum Informationsaustausch und zur Politisierung der Menschen bei. Der Kurs endet damit, dass sich das gesamte Dorf dem Widerstand anschließt. Aber fast wöchentlich werden Dörfer vom Stromnetz abgetrennt. Auch die Drohungen gehen weiter. Doch im Moment wächst die Bewegung in Chiapas und in weiteren Bundesstaaten wie Campeche, Chihuahua, Guerrero, Oaxaca oder Veracruz stetig an. Das rückt sie allerdings auch stärker in den Blickpunkt von Regierung und Konzernen, die weiter an der bereits eingeleiteten Privatisierung des Energiesektors arbeiten und denen eine alltagsorientierte und undogmatische Bewegung ein großer Dorn im Auge ist.

* Luz Kerkeling ist Mitarbeiter von CIEPAC (Zentrum für ökonomische und politische Forschung) in San Cristóbal, Chiapas.

Aus: Neues Deutschland, 26.05.2009


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