Kühler Empfang für Calderón
Drogenkrieg verfolgt Mexikos Altpräsidenten bis nach Harvard
Von Gerold Schmidt, Mexiko-Stadt *
Mexikos Altpräsident Felipe Calderón,
erst am 1. Dezember 2012 aus dem
Amt geschieden, war auf der Suche
nach einer neuen Beschäftigung bei
der elitären Harvard University in den
USA fündig geworden. Doch prompt
erhob sich Protest.
Felipe Calderón, von 2006 bis
2012 Staatsoberhaupt Mexikos,
tritt in dieser Woche auf Einladung
der Universitätsautoritäten ein
einjähriges Stipendium an der
John F. Kennedy School of Government
der Harvard University
an. Das Stipendium umfasst keinen
Lehrauftrag, sondern bietet Forschungsmöglichkeiten
und die Verpflichtung, an einigen Seminaren
und Konferenzen teilzunehmen.
Wie die »Dallas Morning News«
bereits im vergangenen August
schrieb, hatte Calderón auf der
Suche nach einer Beschäftigung
nach seiner Präsidentschaft auch
bei den Universitäten Georgetown
und Stanford und bei der University
of Texas angefragt, die er wohl
bevorzugt hätte. Doch Studenten
und auswärtige Demonstranten
protestierten heftig gegen ein
Lehramt für Calderón, den sie auf
Transparenten einen »Mörder«
nannten, der seiner Bestrafung in
Mexiko entgehen wolle.
Die Kennedy School von Harvard
dagegen pries den so Gescholtenen
als »beispielhaft dynamischen
« und erfahrenen Staatsmann,
der sich den Herausforderungen
Mexikos gestellt habe. Allerdings
stieß auch der Vertrag
zwischen Calderón und Harvard in
den vergangenen Wochen auf erheblichen
Widerspruch. Proteste
häuften sich. Eine über die Internetplattform
www.change.org initiierte
Petition forderte die Universität
auf, den Vertrag mit Calderón
zu annullieren. Knapp 35 000 Personen
vor allem aus den USA und
Mexiko hatten sich der Petition seit
Mitte Dezember angeschlossen.
Unter dem Motto »Sag Nein zu
Mexikos Drogenkriegspräsident
Felipe Calderón« wurden dort als
Argumente unter anderem die
mehr als 60 000 Toten, die 25 000
Verschwundenen und 250 000 interne
Vertriebene des Drogenkrieges
angeführt, der unter seiner
Präsidentschaft geführt wurde.
Ebenso werden ihm die um mehr
als sieben Millionen gewachsene
Zahl der extrem Armen in Mexiko
und ein Niedergang des Bildungssystems
in seiner Amtszeit angelastet.
Héctor Vasconcelos, ehemaliger
mexikanischer Botschafter in
verschiedenen Ländern und Harvard-
Absolvent der Generation
1968, beschrieb die Präsenz Calderóns
an der Universität in einem
offenen Brief an Dr. David Ellwood,
den Rektor der Kennedy School, als
eine »radikale Negation der Werte,
die diese Universität mir beigebracht
hat«. Der Diplomat stellte
den Altpräsidenten zudem als
»Vertreter der religiösen Rechten«
dar. Wenn Harvard seine Entscheidung
aufrechterhalte, werde
er – Vasconcelos – seinen dort erworbenen
Titel zurückgeben.
Auch der Dichter Javier Sicilia,
sichtbarster Kopf der international
bekannten Bewegung für Frieden
mit Gerechtigkeit und Würde, forderte
zusammen mit dem Wissenschaftler
Sergio Aguayo in einem
offenen Brief eine Erklärung von
Ellwood. Ihr Vorwurf: Calderón
habe die Würde der Opfer im Drogenkrieg
nicht respektiert, er habe
von den Konsequenzen seiner Politik
nichts wissen wollen und sei
der Verantwortung für seine Taten
ausgewichen. Rektor Ellwood antwortete
darauf mit »Verständnis«,
berief sich aber auf den von Harvard
gepflegten »freien Austausch
der Ideen« und die Chance für Diskussionen
zwischen Studenten und
hochrangigen Stipendiaten.
Die Kennedy School hat sich in
der Vergangenheit bereits mehrfach
mit bekannten Politikern, darunter
auch ehemalige Staatsoberhäupter,
geschmückt. Ein Bestandteil
der universitären Imagekampagne.
Bei Felipe Calderón,
der in den 90er Jahren in Harvard
in Vorbereitung auf spätere höhere
Aufgaben bereits einen Masterstudiengang
»Öffentliche Politik«
absolvierte, geht dieses Kalkül bisher
offenbar nach hinten los. Die
Kennedy School wird dem Altpräsidenten
dennoch kaum sein Stipendium
entziehen. John Randolph
und Eduardo Cortés, die Initiatoren
der Petition, sollten zwar
in Harvard empfangen werden,
allerdings nur von einem Mitarbeiter
des Rektors.
* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 31. Januar 2013
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