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Calderón rüstet auf

Mexikos Präsident treibt Militarisierung des Landes voran. Antidrogenkampf Vorwand für Repression gegen soziale Bewegungen. Zapatisten fürchten Armeeoffensive

Von Luz Kerkeling, San Cristóbal de las Casas *

Gut ein Jahr nach seinem Amtsantritt setzt Präsident Felipe Calderón von der rechtskonservativ-neoliberalen Partei der Nationalen Aktion (PAN) immer stärker auf die Militarisierung Mexikos. Der Historiker Carlos Aguirre Rojas charakterisierte den Staatschef bei einer Veranstaltung an der Universität ­UNAM in Mexiko-Stadt wie folgt: »Calderón verfügt über keinerlei Legitimität. Weiten Teilen der Bevölkerung ist klar, daß er durch einen Wahlbetrug an die Macht gekommen ist. Er kann sich nur durch eine Kombination aus Militärpräsenz und massiven Medienkampagnen dauerhaft an der Regierung halten.«

Gesellschaft polarisiert

Auch wenn makroökonomische Zahlen Mexiko eine gute Situation bescheinigen - das Land gilt als zehntgrößte Wirtschaftsmacht der Welt -, tritt immer offener zu Tage, daß die mexikanische Gesellschaft momentan so polarisiert ist wie seit der Diktatur von Porfirio Díaz nicht mehr, die 1910 mit der mexikanischen Revolution endete. Seit Inkrafttreten des Freihandelsabkommens NAFTA 1994 zwischen den USA, Mexiko und Kanada mußten laut Weltbank über 25 Prozent der Bauern die ländlichen Gebiete verlassen. Neben China und Indien ist Mexiko global gesehen am meisten auf Rücküberweisungen von Arbeitsmigranten, mehrheitlich aus den USA, angewiesen. 60 Prozent der Bevölkerung in Mexiko gelten als arm. So verwundert es nicht, daß der soziale Widerstand gegen Sozial­abbau, Privatisierung und Repression permanent wächst.

Die PAN-Regierung arbeitet gemeinsam mit der ehemaligen Staatspartei PRI und in einigen Fällen auch mit der sozialdemokratischen PRD zielstrebig an der schrittweisen oder direkten Privatisierung des mächtigen, mehrheitlich staatlichen Ölkonzerns Pemex sowie der Gesundheits-, Sozialversicherungs- und der Rentenprogramme. Zudem wird die Rechtsprechung nach und nach verschärft - so sollen Hausdurchsuchungen ohne richterlichen Beschluß ermöglicht werden.

Präsident Calderón von der PAN, die 1939 gegründet wurde und sich damals aus katholischen Fundamentalisten und Faschismus-Sympathisanten rekrutierte, macht keinen Hehl aus seiner Attitüde und zeigt sich im Land gern in Militär- oder Polizeiuniform, vertritt jedoch nicht nur die Interessen der nationalen Eliten: Über den »Plan México«, auch »Initiative Merida« genannt, hat sich die Regierung in Sicherheitsfragen stärker als jemals zuvor an die USA gebunden. Aufgrund der Linksentwicklung in Südamerika setzt die US-Regierung verstärkt auf ihre loyalen Alliierten: die Achse Kolumbien-Mexiko. Der Analyst und Journalist Carlos Fazio betonte dazu gegenüber junge Welt: »Die enorme Militarisierung des Landes verletzt die Menschenrechte massiv. Vor kurzem wurde der sogenannte Plan México bekannt gegeben. Er umfaßt Milliarden von Dollar und wird von den USA mitfinanziert; sein Hauptaspekt ist die weitere Militarisierung. Daraus folgt im wesentlichen ein Krieg gegen die Bevölkerung, gegen die sozialen Bewegungen - unter dem Vorwand einer Offensive gegen das Drogenbusineß. Damit einher geht ebenfalls ein erheblicher Souveränitätsverlust für Mexiko zugunsten der USA.«

Chiapas erwartet Offensive

Während eines mehrtägigen Kolloquiums Mitte Dezember in San Cristóbal in Chiapas erläuterte Subcomandante Marcos, Sprecher der linken zapatistischen Befreiungsarmee EZLN, daß man sich auf eine Offensive der staatlichen Sicherheitskräfte bzw. paramilitärischer Gruppen vorbereite: »Unsere Compañeras und Compañeros werden zur Zeit angegriffen wie schon lange nicht mehr. Dies ist schon zuvor passiert, das ist richtig. Aber es ist das erste Mal seit jenem Morgengrauen im Januar 1994, daß die soziale Antwort - national wie international - so gering oder gleich null war.« Marcos kritisierte auch die Medien, die nur berichteten, wenn es Tote gäbe. Er unterstrich, daß die Zapatisten sich weiter auf pazifistische Weise für eine neue antikapitalistische Verfassung einsetzen würden.

Michael Chamberlin vom Menschenrechtszentrum Fray Bartolomé de las Casas wies gegenüber junge Welt darauf hin, daß das Massaker von Acteal, bei dem am 22. Dezember 1997 im Hochland von Chiapas 45 Oppositionelle von Paramilitärs getötet wurden und die Polizei aus 200 Metern Entfernung zuschaute und nicht eingriff, bis heute nicht juristisch aufgearbeitet sei. »Wenn der Fall Acteal nicht gelöst wird - die Drahtzieher des Verbrechens stammen aus hohen Militär- und Regierungskreisen -, gehen die Straflosigkeit und die Menschenrechtsverletzungen weiter«, warnte Chamberlin. Unabhängige Organisationen in ganz Mexiko bemühen sich nun verstärkt darum, der Rechtsentwicklung im Land auf zivile Weise Einhalt zu gebieten.

* Aus: junge Welt, 25. Januar 2008


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