Mauretanien: Kleine Fischer, grosse Fischzüge
Während die Schwarzen schuften müssen, finanzieren sich hellhäutige Mauren ihren Müssiggang mit dem Verkauf von Fischlizenzen
Von Beat Stauffer, Nuakschott*
Ankunft in Nuakschott gegen Mitternacht. In der stickig heissen Ankunftshalle im Flughafen der Hauptstadt herrscht ein Chaos, das seine sympathischen Seiten hat. Vor allem hellhäutige, maurische Frauen mit ihren farbigen Kopftüchern kämpfen unter Einsatz ihres Körpers darum, als erste die Zollkontrolle zu passieren oder versuchen, sich mit einem charmanten Lächeln an den Grenzbeamten vorbeizudrücken.
Mauretanien überrascht mit seinem Charme. Es irritiert aber auch durch seine Verschlossenheit. Mauretanien schockiert schliesslich durch die Mentalität eines Grossteils der herrschenden Schicht, der hellhäutigen, berberisch-arabischen Mauren. Es ist, so der Eindruck, die Mentalität eines ehemaligen Herrenvolks, das von seinen Ressourcen abgeschnitten worden und weitgehend verarmt ist, sich aber kaum mit der Moderne auseinander setzen mag.
Manche Kritiker formulieren es härter: Es handelt sich um eine ehemalige Sklavenhaltergesellschaft, in der aber bis heute Schwarze als Sklaven arbeiten müssen. Der Vorwurf einer «mauretanischen Apartheid», der vor ein paar Jahren beispielsweise von Senegal erhoben wurde, erregte international Aufsehen. Für die Regierung ist dies ein Reizthema. Doch es gibt einige mutige Organisationen, die bezeugen, dass die Sklaverei im Land weiterexistiert.
Eine Stadt für Nomaden
Wer in Nuakschott auch nur einen Hauch von orientalischem Charme erwartet, wird arg enttäuscht. Die erst in den Jahren vor der Unabhängigkeit (1960) hastig hingebaute Stadt wirkt schäbig und banal. An rechtwinklig angeordneten Strassenzügen stehen leicht heruntergekommene, zwei- bis dreistöckige Gebäude im Stil der sechziger Jahre und schreiende Reklametafeln. Entlang breiter, ungepflasterter Trottoirs finden sich überall Ödland und offen herumliegende Abfälle. Staub hängt in der Luft. Wären da nicht ein paar Moscheen, Hotels, Ministerien und Botschaftsgebäude und der protzige Palast des Staatspräsidenten, man glaubte sich in einer gottverlassenen Provinzstadt.
Der einzige Ort im Stadtzentrum, der eine gewisse Ausstrahlung hat - ein kleiner Palmengarten -, ist derart mit Kubikmetern von Abfall verdreckt, dass sich die Folgerung aufdrängt: Nuakschott ist eine Stadt ohne Seele, hingeklotzt, weil Politiker dies so entschieden haben; eine Stadt für Nomaden, die Städte eigentlich hassen. Viele BewohnerInnen der Stadt, darunter Anwältinnen oder Ärzte, fahren so oft wie möglich aus der Stadt, um die Nacht unter freiem Himmel zu verbringen.
Oder ist es schlicht die Armut, die Nuakschott ihr hässliches Gesicht aufzwingt? Der niedrige Lebensstandard der meisten StadtbewohnerInnen ist offensichtlich. Die grosse Mehrheit der Autos befindet sich in einem bedauernswerten Zustand - demolierte Karosserien, fehlende Scheinwerfer und Türen, qualmende Motoren. In die Kleinbusse - «taxi brousse» genannt - quetschen sich bei rund vierzig Grad Hitze dutzende von Menschen. Aber da sind auch blank polierte Geländefahrzeuge - darunter auch die luxuriösesten Modelle -, die sich arrogant einen Weg durch die fahrenden Autowracks bahnen. Einigen geht es verdammt gut in Mauretanien.
Mangos und Boubous
Der Besuch des zentralen Marktes versöhnt etwas. Hier ist viel Leben; hier wird allerlei Mögliches und Unmögliches gehandelt. Das Angebot an Gemüsen und Früchten ist allerdings erstaunlich gering. Bloss prächtige Mangos erinnern daran, dass das subtropische Afrika gar nicht so weit weg ist. Grossen Raum nehmen Textilien und dabei vor allem die traditionellen, weit geschnittenen Umhänge für Männer ein, die hier Darrâh genannt werden. Die meisten Männer kleiden sich auf diese traditionelle, elegante und dem Klima angepasste Weise. Ansonsten ist billigste Ware aus dem Fernen Osten unübersehbar: Haushaltsgegenstände, Spielzeuge, elektronische Geräte. Auf der Strasse vor der weitläufigen Markthalle bieten unzählige HändlerInnen gebrauchte Gegenstände an, und Kinder verkaufen Zigaretten einzeln.
Und da sind die unzähligen Geschäfte, die Mobiltelefone anbieten. Wie Juweliergeschäfte heben sie sich von den übrigen Läden ab. Vor allem junge Mauren spielen und telefonieren pausenlos mit den Mobiltelefonen. «Mauretanier übernehmen vom modernen Leben nur, was weder ihren Lebensstil noch ihre kulturelle Identität beeinträchtigt», ist im Blättchen «Nouakchott Info» zu lesen. Das Mobiltelefon hat die strengen Hürden genommen, die sich die erzkonservative Gesellschaft selber errichtet hat.
Keine Siesta für die Schwarzen
Mittags um zwei. Erstaunlicherweise ist in Mauretanien trotz der extremen Sommerhitze keine verlängerte Mittagspause üblich. Für die meisten Arbeitenden ist der Weg in die Vorstädte über Mittag zu weit. So arbeiten sie eben, bei vierzig Grad im Schatten. Es sind vor allem «negroafricains», die die schweren Arbeiten verrichten: Mauretanier aus den südlichen Landesteilen, Haratins - ehemalige Sklaven - sowie ein paar hunderttausend Migranten aus den südlich angrenzenden Ländern wie Senegal, Gambia oder Guinea. Viele Berufe könnten oder wollten hellhäutige Mauren nicht ausüben, sagt ein Ingenieur: Schreiner, Maurer, Wäscher, Taxifahrer. Auch die Fischerei liegt praktisch vollständig in den Händen von dunkelhäutigen Menschen. Die Stadtverwaltung von Nuakschott hat es nicht geschafft, den unzähligen Fischern im Hafen auch nur einen einzigen Traktor mit Seilwinde zur Verfügung zu stellen, um die langen, schlanken Schiffe - Pirogen genannt - nach getaner Arbeit an Land zu ziehen. So stemmen und ziehen zwei, drei Dutzend junge Männer fast eine halbe Stunde lang, um eine Piroge den steil abfallenden Strand hinaufzuschaffen. Dazu singen sie. Der Fischreichtum spült via staatlich ausgestellte Fischereilizenzen Jahr für Jahr beachtliche Geldsummen ins Land. Diese Menschen sehen wenig bis gar nichts davon.
Zurück in den «Marché de la Capitale», den zentralen Markt. Dort wird ausgiebig Siesta gemacht, stundenlang. Maurische Männer liegen am Boden, auf Kartonschachteln, auf Teppichen, unglaublich geniesserisch. Man empfindet spontan Sympathie für diese Menschen, die sich derart entspannt einer mehrstündigen Siesta hingeben können. Doch ganz lässt sich der Gedanke nicht verscheuchen: Es sind die Dunkelhäutigen, die die Dreckarbeiten erledigen, während sich die Hellhäutigen der Musse hingeben.
«Wir sind ein Volk von Faulenzern», sagt der knapp vierzigjährige Ibrahim, der in Frankreich Raumplanung studiert hat und seit einigen Jahren ein eigenes Kleinunternehmen betreibt. Es gebe in der maurischen Tradition kein Arbeitsethos, man lasse fast konsequent andere für sich arbeiten. Habe ein junger Maure finanzielle Probleme, so erwarte er von der Familie, vom erfolgreichen Onkel oder gar vom Staat Unterstützung. Kaum einer komme auf die Idee, selber Geld zu verdienen. Reiche Familien versuchten ihrerseits kaum, Geld im Land zu investieren, schon gar nicht in Industrieprojekte. Wenn schon, dann eher in den traditionsgemässen Handel, sagt Ibrahim, der seinen richtigen Namen nicht genannt haben will. Und er führt aus, wie sich die herrschende Schicht Mauretaniens durch den Verkauf von Fischereilizenzen an spanische, russische oder japanische Fischereiunternehmen einen komfortablen Lebensstil finanziert.
Weshalb fliessen die finanziellen Abgeltungen für diese Fischereirechte nicht in die stets leere Staatskasse? Ibrahim zuckt mit den Schultern, lächelt. Andere Gesprächspartner wissen mehr: Der Staatschef und hochrangige Funktionäre hätten sich das Recht ausbedungen, derartige Lizenzen an loyale Stammeschefs weiterzugeben, die sie dann ins Ausland weiterverkaufen. Das sichere die Stabilität im Land.
Die mauretanische Wirtschaft profitiert allerdings wenig von diesem System. Statt dem Aufbau einer modernen Fischereiflotte zu dienen oder der Entwicklung einer Fisch verarbeitenden Industrie, die Arbeitsplätze schaffen würde, fliesst der Gewinn aus den an sich unerhört reichen Fischgründen in die Taschen einiger weniger - und darüber hinaus ins Ausland. Dazu kommt, dass die Fangerträge wegen der dauernden Überfischung bereits stark zurückgegangen sind. Innert weniger Jahre, so prognostizieren UmweltexpertInnen, werde die mauretanische Küste weitgehend leergefischt sein.
Eine Festung gegen das Böse
Ibrahim sieht das nicht so dramatisch. Er betont vielmehr, dass in den kommenden Jahren in den mauretanischen Gewässern mehr Kontrollen stattfinden werden. Und er glaubt an einen Aufschwung durch den Erdölboom, der offenbar kurz bevorsteht. Schon Ende 2005 soll ein Erdölkonsortium unter der Führung der australischen Firma Woodside die kommerzielle Förderung aufnehmen. Dem mauretanischen Staat werden dann pro Jahr schätzungsweise 150 bis 250 Millionen US-Dollar zufliessen.
Ibrahim ist auch maurischer Abstammung, ein «beidan»; es scheint nur wenig halbwegs wohlhabende Mauretanier schwarzer Hautfarbe zu geben. Der dynamische Jungmanager entpuppt sich als eingefleischter Traditionalist, der sein Land von schlechten westlichen Einflüssen «rein» halten will. Damit meint er nicht nur Pornografie und Homosexualität, sondern auch die internationale Jugendkultur.
Die jungen MauretanierInnen, die aus diesen engen Traditionen ausbrechen wollen, erleben ihr Land als beengend. «Für mich ist Mauretanien ein Gefängnis», flüstert mir am Flughafen ein junger Schwarzafrikaner ins Ohr. Es fehle an Amüsement, an Nachtclubs, an Freiheit. Die «Hellhäutigen» seien die sturen Hüter einer längst überlebten Tradition.
Strenge Auffassung des Islam
Die Religion spielt im Alltag in der islamischen Republik Mauretanien eine starke Rolle. Die fünf täglichen Gebete werden von einer beachtlichen Zahl von Menschen konsequent praktiziert, sei es in der Abflughalle eines Flughafens oder auf einem staubigen Markt. Die strenge, fast asketische Auffassung des Islam liegt in einer langen Tradition begründet. Erstaunlich ist andererseits, so berichtet ein französischer Entwicklungshelfer, dass der Fastenmonat Ramadan in Mauretanien weit lockerer begangen wird als etwa in Marokko oder Algerien. Man lasse den anderen Gläubigen eine gewisse Freiheit, sich an die Fastenregeln zu halten oder eben nicht.
Die dunkelhäutigen Mauretanier haben ein anderes Verhältnis zur Religion - vor allem aber zu ihrem Körper. Dies schafft immer wieder harte Kontraste, und als Beobachter fragt man sich, was in den Köpfen von traditionsbewussten Mauren wohl geschieht, wenn sie auf der Strasse den - oft sehr sexy gekleideten - schwarzafrikanischen Frauen begegnen. Ist es einfach so, dass man hier, am Schnittpunkt von Arabien und Afrika mit diesen Kontrasten zu leben gewohnt ist? Zumindest in der maurischen Oberschicht hat man etwa mit freizügig gekleideten Kellnerinnen in einem eleganten Restaurant keine Probleme - solange die eigenen Frauen brav zu Hause bleiben und ihren Schleier tragen. Von den dunkelhäutigen Frauen scheint man ohnehin nicht allzu viel zu halten.
Die auf ein Drittel geschätzte schwarze Bevölkerungsminderheit wird - wohl systematisch - diskriminiert und sowohl von der Teilnahme an der Machtausübung wie auch von einträglichen Geschäften ferngehalten. Zwar trifft dies auch für einen Teil der Mauren zu, doch in weitaus stärkerem Mass für Angehörige der schwarzafrikanischen Ethnien. Diese Bevölkerungsgruppen scheinen praktisch keine Chance zur Beteiligung am lukrativen Handel mit Fischfanglizenzen, an Kommissionen bei Aufträgen ausländischer Firmen und bei den anderen Geschäften zu haben, bei denen in Mauretanien das grosse Geld gemacht wird. In der Politik haben de facto ohnehin die dem Stamm des Präsidenten Maauja Uld Sid Ahmed Taja zugehörigen Mauren das Sagen; die Befugnisse des Parlaments sind limitiert. In der Armee schliesslich sind 1989 und 1990 anlässlich von Spannungen und einem Grenzkonflikt mit Senegal über 500 Offiziere und Unteroffiziere aus einer schwarzen Ethnie massakriert worden. Auch die Armee ist seither vollständig unter der Kontrolle der Mauren.
Präsident Taja scheint sich sicher zu fühlen, seit er sich nach den Anschlägen des 11. September 2001 bedingungslos auf die Seite der US-Amerikaner geschlagen hat. Seit diesem Frühling werden die Elitetruppen der mauretanischen Armee denn auch von US-Instruktoren geschult. Dies ist zwar den Intellektuellen in Nuakschott bekannt, kaum aber der breiten Bevölkerung. Es dürfte auch kaum populär sein: Was die US-Amerikaner als Terroristen bezeichnen, kommentiert der Journalist Ahmed Uld Scheich, Redaktor der Wochenzeitung «Le Calame», seien für die meisten seiner Landsleute wohl eher Kämpfer, die einen Dschihad gegen Ungläubige führten.
Ein Zelt im Haus
Dass Nuakschott nicht nur ein hässliches Gesicht trägt, erfahre ich bei der Einladung bei einem jungen Mauren aus gut situierter Familie. Wir fahren drei, vier Kilometer aus dem Stadtzentrum heraus in einen Vorort. Sandige, breite, kaum beleuchtete Strassen, spielende Kinder, eine fast ländliche Stimmung. Das Haus von Hassans Grossfamilie umfasst einen grossen Hof, in dem ein Zelt aufgestellt ist. Daneben liegt ein grosser Teppich, auf dem es sich verschiedene Familienmitglieder bequem gemacht haben. Wir nehmen Platz, trinken süssen Tee, essen Couscous - Mauretanien gehört eben zum Maghreb. Freunde und Verwandte kommen und gehen, stundenlang wird palavert. Die Nacht bringt Kühle, und nur mit viel Überwindung kehre ich ins stickige Stadtzentrum zurück.
* Der Artikel erschien in der kritischen Schweizer Wochenzeitung WOZ vom 23. September 2004
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