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Krise offiziell beigelegt

Die Innenminister von Marokko und Spanien beschwören die guten Beziehungen. Territorialansprüche Rabats auf Melilla bleiben aber bestehen

Von Ingo Niebel *

Die Regierungen von Spanien und Marokko haben am Montag offiziell die Krise um die spanische Exklave Melilla beigelegt. Die bilateralen Beziehungen gelten als gerettet, und Premier José Luis Rodríguez Zapatero (PSOE) hat den Dauerstreit um Spaniens postkoloniale Besitzungen in Nordafrika fürs erste beendet. Die beiderseitigen Territorialansprüche bleiben aber bestehen.

Auslöser für die aktuelle Krise waren mutmaßliche Übergriffe der spanischen Polizei gegen Marokkaner, die in den stark gesicherten autonomen Stadtstaat Melilla einreisen wollten. Rabat schickte daraufhin innerhalb eines Monats fünf Protestnoten nach Madrid, die aber unbeantwortet blieben. Anschließend verkündeten Aktivisten, die den Anschluß von Melilla ans marokkanische Königreich fordern, eine Handelsblockade gegen die einstige spanische Kolonie. Auf dem Höhepunkt der Krise mußte sogar Spaniens König Juan Carlos I. intervenieren, um den guten Zustand der bilateralen Beziehungen zu bekunden.

Letztlich oblag es Zapateros Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba, die Krise am Montag medienwirksam mit einem Besuch bei seinem marokkanischen Amtskollegen, Taieb Cherkaoui, zu beenden. Die beiden Polizeiminister beschlossen, sie würden gemeinsame Polizeikommissariate einrichten und im übrigen seien die Beziehungen »brüderlich« und »tief«. Auf die Übergriffe, die Blockade und die unbeantworteten Protestnoten gingen beide nicht ein. Fragen nach den Hintergründen der Krise blockte Rubalcaba ab. »Der diplomatische Konflikt zwischen beiden Staaten endete genauso undurchsichtig, wie er begonnen hatte«, urteilte Spaniens regierungsnahe Tageszeitung El País. Das Blatt spekulierte, ob Rabat mittels der Aktion versucht hat, Madrid zu zwingen, es in der Westsahara-Frage zu unterstützen. Marokko beansprucht das gesamte Gebiet der ehemaligen spanischen Kolonie. Die UNO hingegen verlangt ein Referendum, in dem die Bevölkerung im marokkanisch besetzten und im befreiten Teil über die Zukunft des Landes entscheiden soll.

Bei der Lösung der Krise um Melilla war die Madrider Regierung auf sich allein gestellt, weil die postfranquistische Volkspartei (PP) von Mariano Rajoy nichts unversucht ließ, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Zu diesem Zweck schickte sie sogar ihren Expremier José María Aznar in den Stadtstaat. Zwar gab der PP-Politiker keine Pressekonferenz, aber seine Anwesenheit reichte, um die Gemüter beiderseits der Straße von Gibraltar in Wallung zu bringen. Die Regierung Zapatero verstand Aznars Melilla-Trip als eine Provokation, da dieser es in seiner Zeit als Kabinettschef (1996-2004) tunlichst unterlassen hatte, mit so einer Geste die Beziehungen zum benachbarten Königreich zu gefährden. In Marokko bleibt unvergessen, daß Aznar die spanische Armada in Marsch setzte, um die Isla de Perejíl »zurückzuerobern«. Im Juli 2002 hatten marokkanische Polizisten das 500 mal 300 Meter kleine unbewohnte Eiland bei Gibraltar besetzt. Aznar wollte ein Exempel statuieren, da der Rechtsstatus der »Petersilieninsel« derselbe ist wie der des nahen Ceuta und des entfernteren Melilla.

* Aus: junge Welt, 25. August 2010


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