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Schamfrist vorbei

Die EU und Marokko verhandeln wieder über ein Fischereiabkommen. Betroffene Bevölkerung der Westsahara nicht einbezogen

Von Axel Goldau *

Am 10. Dezember sollen die Repräsentanten der Europäischen Union in Oslo den Friedensnobelpreis entgegennehmen. Am selben Tag soll in Brüssel die zweite Verhandlungsrunde über ein neues Protokoll zum »Partnerschaftlichen Fischereiabkommen zwischen der EU und Marokko« stattfinden. Die erste Sitzung der Unterhändler beider Seiten fand Anfang November in der marokkanischen Hauptstadt Rabat statt. Während die Besatzungsmacht in der Westsahara mit Gewaltexzessen gegen die saharauischen Bevölkerung vorging, erörterten die Diplomaten lediglich »technische Fragen«. Im vergangenen Dezember hatte das Europäische Parlament eine Verlängerung des ursprünglich 2007 unterzeichneten und bis Februar 2012 befristeten Abkommens unter anderem wegen der Lage in der von Marokko annektierten Westsahara abgelehnt.

Schon während der spanischen Kolonialzeit war Fisch aus der See vor der Küste der Westsahara eine begehrte Beute, und auch im »Dreiseitigen Abkommen« von 1975, in dem Spanien seine »Sahara-Provinzen« völkerrechtswidrig an Marokko und Mauretanien überschrieb, hatte sich Madrid den weiteren Zugang zu den reichen Fischressourcen des Landes gesichert. Dem folgten später bilaterale Abkommen zwischen den Königreichen Spanien und Marokko. Als Madrid der EU beitrat, drängte es auf entsprechende Abkommen zwischen Brüssel und Rabat.

Allen diesen Verträgen gemeinsam ist, daß sie das Abfischen der Hoheitsgewässer der Westsahara beinhalten, ohne daß dazu die Saharauis auch nur gefragt worden wären. Dabei ist die Nutzung natürlicher Ressourcen »nicht-selbstständig regierter Gebiete« völkerrechtlich eindeutig geregelt und nur dann zulässig, wenn dies »den Interessen und Wünschen« der betroffenen Bevölkerung, in diesem Fall der saharauischen, entspricht: Davon jedoch kann keine Rede sein. So erklärte die international bekannte und mehrfach ausgezeichnete Menschenrechtsaktivistin Aminatou Haidar wiederholt: »Diese Abkommen haben leider bisher nur zur Verschärfung der Unterdrückung der saharauischen Bevölkerung durch Marokko geführt.«

Trotz ihrer Niederlage vom 14. Dezember vergangenen Jahres, als die Europaabgeordneten die Verlängerung des Fischereiabkommens auch mit Stimmen aus dem konservativen Lager niedergestimmt hatten, leitete die Europäische Kommission sehr schnell erneute Verhandlungen mit Rabat ein. Eine »Verstimmung« des marokkanischen Partners sollte unbedingt vermieden werden. Schon Anfang 2012 stimmte dasselbe Parlament einem Freihandelsabkommen über Agrarprodukte zu, das dieselben völkerrechtswidrigen Praktiken, die Plünderung der Saharakolonie, zum Inhalt hat.

Doch wichtiger als der Export von Tomaten aus der Westsahara in die EU ist Marokko das Geld für gestohlenen Fisch. Nach einer Schamfrist von nicht einmal einem Jahr nahmen beide Seiten deshalb erneut Verhandlungen auf, um die zerstörerische Industriefischerei der EU als auch die Schatulle des Mahkzens, des wirtschaftlichen und politischen Machtapparats der marokkanischen königlichen Familie, zu bedienen. Nach den Verhandlungen am 10. Dezember in Brüssel ist deshalb zu befürchten, daß Anfang nächsten Jahres in einer dritten und letzten Verhandlungsrunde versucht werden wird, die saharauische See erneut der Plünderung durch die EU-Fischereiindustrie preiszugeben.

* Aus: junge Welt, Freitag, 30. November 2012


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