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Unterworfene Armee

Mali: Afrikanische Union handelt Waffenstillstand aus. Demonstrationen gegen französische Truppen

Von Jörg Tiedjen *

Seit Ende vergangener Woche schweigen in der mehrheitlich von Tuareg bewohnten Provinz Kidal im Norden Malis die Waffen. Zuvor war es den dortigen Separatisten überraschend gelungen, eine Großoffensive der malischen Armee zurückzuschlagen. Während Bamako noch damit beschäftigt war, sich die Augen zu reiben und das ganze Ausmaß des Debakels zu begreifen, das kaum hinter dem verlorenen Sezessionskrieg 2012 zurücksteht, ergriff der mauretanische Präsident und amtierende Vorsitzende der Afrikanischen Union, Mohammed Ould Abdelaziz, die Initiative und tat das einzig Richtige: Er setzte sich am Freitag vor einer Woche kurzerhand in sein Flugzeug, pendelte zwischen Kidal und Bamako hin und her und handelte einen Waffenstillstand zwischen der Regierung und den drei Rebellengruppen MNLA (Nationalbewegung zur Befreiung von Azawad), HCUA (Hoher Rat für die Einheit von Azawad) und MAA (Arabische Bewegung Azawad) aus.

Das entsprechende Abkommen, das eine baldige Fortsetzung der seit Monaten unterbrochenen Friedensverhandlungen zwischen den Konfliktparteien, einen Gefangenenaustausch sowie einen besseren Zugang für Hilfsorganisationen nach Kidal vorsieht, wurde zwar allseits mit Erleichterung aufgenommen. Allerdings dürfte der Druck auf die Regierung in Bamako, sich gegenüber den Separatisten unnachgiebig zu zeigen, durch die erneute »Demütigung«, wie es in Presseberichten genannt wurde, nur gestiegen sein. Statt dessen wird die Regierung viel eher weiterhin darauf setzen, die malische Armee mit Hilfe ausländischer Militärunterstützung zu stärken, um der eigenen Verhandlungsposition Rückhalt zu verleihen. »Die Schlacht ist verloren, der Krieg nicht«, brachte das Journal du Mali die Strategie auf den Punkt.

Ganz in diesem Sinne wurde der Verantwortliche für die Niederlage bereits gefunden: Nach Angaben der Zeitschrift Le Sphinx soll der malische General­stabs­chef Mahamane Touré eigenmächtig und ohne Rücksprache mit Präsident Ibrahim Boubacar Keïta den Befehl zum Angriff auf Kidal gegeben haben. Da es sich aber bei den eingesetzten Soldaten weitgehend um soeben erst ausgebildete Rekruten gehandelt habe, sei es den nun seit mehreren Jahren kampferprobten und zudem ortskundigen Separatisten-Milizen leicht gefallen, diese in die Flucht zu schlagen. Angeblich sei den Soldaten nichts anderes übriggeblieben, als in Stützpunkten der UN-Truppe MINUSMA Zuflucht zu suchen. Präsident Keïta soll entsprechend den Rücktritt von General Touré verlangt haben. Auch Verteidigungsminister Soumeylou Boybeye Maiga trat am Dienstag zurück. Die deutsche Bundeswehr, die Berater nach Mali entsandt hat, um der dortigen Armee in der Wüste Dschihadisten jagen zu helfen, könnte so bald in die Situation kommen, einem reinen Rachefeldzug gegen die Tuareg zu assistieren.

Teile der Opposition in Bamako – wie der gegen Keïta bei den Präsidentschaftswahlen im vergangenen Jahr gescheiterte Soumaïla Cissé – verlangten zudem die Demission des erst im April eingesetzten Premierministers Moussa Mara. Dessen Besuch in Kidal hatte die Gefechte vor zwei Wochen überhaupt erst ausgelöst. In der Presse und bei Demonstrationen in Bamako wurde aber auch mit Kritik an Frankreich nicht gespart. Paris hat seit seiner »Operation Serval« gegen Dschihadisten wie die Gruppe Al-Qaida im islamischen Maghreb im vergangenen Jahr Truppen in Mali stationiert, die nominell der Sicherung der Integrität und Souveränität des Sahelstaats dienen sollen. Das aber hat sich nun allzu deutlich als Illusion und Widerspruch in sich herausgestellt. Der Ärger über die frühere Kolonialmacht, die seit langem im Verdacht steht, insbesondere die Tuareg-Separatisten für ihre eigenen geostrategischen und ökonomischen Zwecke einzuspannen, verschaffte sich gar in Aufrufen zu einem Boykott französischer Waren Luft. Wie die französischen Truppen wurden auch die der UN von Demonstranten aufgefordert, das Land zu verlassen. Ein solches Schicksal könnte Deutschland auch blühen.

* Aus: junge Welt, Samstag, 31. Mai 2014


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