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Tuareg unter Feuer

Malis Premier kündigt Separatisten nach tödlichen Auseinandersetzungen Krieg an. MNLA läßt Verwaltungsangestellte frei

Von Jörg Tiedjen *

Nach den schweren Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und Tuareg-Separatisten im Norden Malis am Samstag, sind 28 Verwaltungsangestellte am Montag freigelassen worden. Truppen der Tuareg-Miliz MNLA (Nationalbewegung zur Befreiung von Azawad) hatten sie zunächst gefangengenommen. Staatspräsident Ibrahim Boubacar Keïta kündigte dennoch eine »unerbittliche Verfolgung der Straftäter« an. Außenminister Abdoulaye Diop forderte am Dienstag per Videoschaltung in eine Krisensitzung des UN-Sicherheitsrats ein »viel robusteres Mandat«. Premierminister Moussa Mara hatte am Sonntag weniger verblümt bereits von einem »Krieg ohne Pardon« gesprochen und die MNLA pauschal als »Terroristen« bezeichnet. 1500 Soldaten sind auf dem Weg in die Provinzmetropole Kidal. 36 Menschen waren dort nach Angaben von Verteidigungsminister Soumeylou Boubèye Maïga am Samstag getötet worden, darunter acht Regierungssoldaten. 25 Armeeangehörige und 62 MNLA-Anhänger wurden demnach verletzt. Eine Stippvisite Maras in der Tuareg-Hochburg hatte zuvor die Zusammenstöße nach Darstellung der MNLA überhaupt erst ausgelöst.

Die malischen Behörden erklärten gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, die Regierungsarmee sei von der MNLA beschossen worden. Die MNLA wies dies jedoch zurück. Die Tuareg-Internetseite Toumastpress berichtete, daß die »Vereinigung der Frauen von Azawad« am Freitag zu einer Demonstration am Flughafen von Kidal aufgerufen habe, um gegen den Besuch des seit April amtierenden Premierministers Moussa Mara zu protestieren. Am Samstag hätten mehrere hundert Demonstranten, überwiegend Frauen und Jugendliche, das Rollfeld besetzt, um die Landung Maras zu verhindern. Soldaten der in Kidal stationierten UN-Mission MINUSMA sollen darauf auf Bitten des Protokollchefs des Premierministers und des Verteidigungsministeriums versucht haben, die Proteste unter Einsatz von Tränengas und Gummigeschossen aufzulösen. Nachdem dieser Versuch scheiterte, sei die malische Armee ausgerückt und habe mit scharfer Munition auf die unbewaffneten Demonstranten geschossen, so der Tuareg-Nachrichtendienst weiter. Zwölf verletzte Demonstranten seien ins örtliche Krankenhaus eingeliefert worden. Ob die MNLA daraufhin die malische Armee angriff oder ob diese umgekehrt auch die Kaserne der MNLA unter Feuer nahm, wie die Tuareg behaupten, darüber gibt es widerstreitende Berichte.

Die Tuareg der MNLA hatten Anfang 2012 gegen die Regierung in Bamako rebelliert. In ihrem Windschatten gelang es damals der Gruppe Al-Qaida im islamischen Maghreb (AQMI) und anderen militanten Islamisten-Vereinigungen, den gesamten Norden des Sahelstaats zu besetzen. Daraufhin putschte das Militär in der Hauptstadt Bamako gegen Präsident Amadou Toumani Touré. Auf internationalen Druck wurde eine Übergangsregierung eingesetzt. Mitte Januar 2013 versuchten die Islamisten, in den Süden des Landes vorzustoßen, um einer Militärintervention zuvorzukommen. Frankreich griff im Rahmen seiner »Operation Serval« ein und schlug die AQMI-Kämpfer zurück. Offiziell wurde verkündet, diese seien besiegt, in Wirklichkeit haben sie ihr Operationsgebiet jedoch in andere Länder der Region verlagert. Der im August 2013 gewählte Präsident Ibrahim Boubacar Keïta war eigentlich verpflichtet, innerhalb von sechs Monaten eine Übereinkunft mit den Tuareg zu erzielen. Diese fordern mehr kulturelle Autonomie und wirtschaftliche Teilhabe. Die MINUSMA sollte in Kidal darüber wachen, daß die malische Armee und die Kämpfer der MNLA demobilisiert werden und in ihren Stützpunkten bleiben. Allerdings sind die Gespräche über den künftigen Status Nordmalis seit Monaten ins Stocken geraten. Tuareg und Bamako werfen sich gegenseitig vor, an keiner Verhandlungslösung interessiert zu sein.

Die Militärintervention gegen die Dschihadisten, die keineswegs mit den Tuareg-Separatisten identisch sind, war seinerzeit international nahezu begeistert aufgenommen und als großartiger militärischer Erfolg dargestellt worden. Deutsche Militärberater schulen seitdem das malische Militär, das nur darauf brennt, sich an den Tuareg für die Niederlage 2012 zu rächen. Der Bundeswehreinsatz wurde jüngst verlängert und ausgeweitet. Die Probleme des Sahelstaates hat die Intervention jedoch nicht gelöst. Zwar kündigte Frankreich an, seine »Operation Serval« noch in diesem Mai zu beenden. Allerdings handelt es sich dabei lediglich um eine Umbenennung der Mission. In Wirklichkeit bleiben die Soldaten im Land.

Die Prognose ist düster: Die Tuareg gelten in dem westafrikanischen Land ohnehin als notorische Unruhestifter, denen zahlreiche Greuel des jüngsten Sezessionskriegs vorgeworfen werden. Jetzt werden sie obendrein pauschal als »Terroristen« gebrandmarkt – und die Militärmaschinerie, die zur Bekämpfung der Dschihadisten aufgestellt worden war, beginnt, sich gegen die Angehörigen der Minderheit zu richten.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 22. Mai 2014


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